Der wohlhabende Colin (Romain Duris; “Mademoiselle Populaire”), ein Träumer und Phantast, lebt in einer Welt, in der alles möglich scheint – mit dem Pianocktail, einem Piano, das durch das gespielte Lied köstliche Cocktails zu zaubern in der Lage ist, kreiert er wundervolle Ergänzungen zu den kulinarischen und fürwahr sonderbaren Spezialitäten, die sein guter Freund und Koch Nicholas (Omar Sy; “Ziemlich beste Freunde”, “FBI”) zaubert. Da müssen Aale aus Wasserhähnen gelockt und andere Zutaten auf ebenso eigenwillige Weise organisiert werden, die bildschönen finalen Kreationen bewegen sich von selbst, und geschmacklich liegen sie weit über dem Prädikat erstklassig. Doch auch die eigenwillige Wohnung, in der allerlei schräge Dinge passieren, ist eine Sache für sich: Die Türklingel macht sich achtbeinig selbstständig und kann nur mit einem gezielten Tritt oder Schlag stillgelegt werden, Nicholas’ Fernsehkoch reicht die Zutaten aus dem Bildschirm in die Küche, und für kleine Hilfsarbeiten und Botengänge hält man sich eine Hausmaus in einer Art Schublade.
Als ein weiterer Freund, der literaturbesessene Chick (Gad Elmaleh), zu Besuch kommt und dem großen Jazzfan, Partygänger und der Arbeit nicht gerade zugetanen Colin von seiner Liebe erzählt, wünscht der sich lautstark, auch endlich die wahre Liebe treffen zu dürfen, um endlich das Glück in seiner Gänze zu erleben. Unverhofft wird er auf die Geburtstagsparty des Hundes einer Freundin eingeladen und trifft auf seine künftige Herzdame Chloé (Audrey Tautou) – sie verlieben sich sehr bald, und es dauert nicht allzu lang, bis auch der Heiratswunsch in der Luft schwebt. Die darauf folgende Hochzeit wird ein quietschbuntes und aufwändiges Spektakel , doch als die beiden schließlich auf Hochzeitsreise sind, machen sich bei Chloé körperliche Beschwerden bemerkbar. Sie muss immer heftiger husten und wird von Schmerzen gequält. Der Arzt (gespielt vom Regisseur Michel Gondry höchstpersönlich) stellt eine eindeutige Diagnose: Auf Chloés Lunge wächst eine Seerose, die das Leben der jungen Frau Tag für Tag mehr bedroht. Keine Behandlung scheint anzuschlagen – doch Colin setzt alles daran, Chloés Leben zu retten – und dafür nimmt er auch seinen finanziellen Ruin in Kauf, ganz gleich, ob er trotz harter Arbeit etwas gegen die Abwärtsspirale ausrichten kann oder nicht.
Lange galt der gleichnamige Roman des französischen Schriftstellers Boris Vian aus dem Jahr 1946 als unverfilmbar, doch der aus demselben Land stammende Regisseur Michel Gondry (“Human Nature”, “Vergiss mein nicht!” und diverse Musikvideos für beispielsweise Björk, Radiohead, The White Stripes) ließ sich von dieser Behauptung nicht beirren. Nicht reden, nicht zweifeln, sondern einfach machen. Und tatsächlich gelang es Gondry und seiner Crew, ein mehr als respektables Ergebnis zu erzielen und somit ein klares Antistatement gegen die Unverfilmbarkeit solch gearteter Literatur zu setzen. Hierbei sei angemerkt, dass die 131-minütige Langfassung sich deutlich näher am Roman befindet als die fast vierzig Minuten kürzere Kinoversion, die sich mehr auf die Liebesgeschichte konzentriert und in welcher auch einige Details fehlen, die im Grunde genau die Fragen beantworten, die in der Kurzfassung unbeantwortet bleiben. Möglicherweise ist die Kurzfassung für das Kino und den Mainstream auch der Grund für die teils durchwachsenen Kritiken in der Filmpresse, denn diese Kritiken, auch die eher schonenden, werden ad absurdum geführt, wenn man in den Genuss des “vollständigen” Films kommt.
Sicherlich schweben so oder so grellbunte Fragezeichen über des Zuschauers Kopf, da sich der Sinn mancher Dinge nur schwerlich erschließen mag, doch generell ist die Visualisierung dieser extrem kreativen Geschichte über den Sinn und den Wert des Seins und Liebens eine äußerst verzaubernde, vereinnahmende und nachhaltig wirkende Angelegenheit. In liebevollen Bildern und unzähligen Details, die zum Mehrfachsehen animieren, wird analog zum Buch überwiegend der surrealistische Pfad eingeschlagen, wobei es nicht abwegig ist zu behaupten, dass Surrealismus-Künstler wie M. C. Escher, Hieronymus Bosch, Salvador Dalí, Wolfgang Lettl oder René Magritte Pate gestanden haben dürften (was zeitlich auch passen würde), und den Machern des Films könnten durchaus auch die malerischen Erzeugnisse des noch lebenden Schweizers H. R. Giger inspiratorisch durch den Kopf geschwirrt sein.
Oftmals wirkt “Der Schaum der Tage”, ein Film, der durch seine Unberechenbarkeit auch dieselbige des Lebens, der Liebe und das Traumsein der Träume (Schäume?) widerspiegelt, ebenso deren Zerbrechlichkeit. Wie ein cineastischer LSD-Rausch lässt der Film Realität und Fiktion miteinander verschwimmen, die Stimmungen miteinander kämpfen und entführt einen in die Welt der halluzinogensten Regionen und abgedrehtesten Träume. Die zuweilen absurden Bilder wurden hinsichtlich der Wechselhaftigkeit virtuos umgesetzt, denn die krassen Kontraste zwischen wunderschön und abgrundtief hässlich, zwischen Freudentaumel und Niedergeschlagenheit werden mit einer solchen Intensität dargestellt, dass das Staunen zum Normalzustand beim Betrachten des Films wird. Faszinierend ist dabei oftmals, wie man innerhalb weniger Minuten oder gar Sekunden von Glücksgefühlen aufgeputscht und dann wieder mit mehrfacher Erdanziehungskraft auf den harten Boden der Tatsachen geworfen wird.
Wie es die kreative und mutige Kunst mit sich zieht – gerade, wenn sie sich von der Realität wegbewegt -, lässt auch “Der Schaum der Tage” viel Interpretationsfreiraum innerhalb dieses sehr lose gesteckten Rahmens. Hierbei wurde in den skurril-humorigen Szenen bewusst die Grenze zur Albernheit überschritten, und selbst dadaistische Züge lassen sich in diesem Bewegtbild-Pendant zum Free Jazz erkennen oder zumindest vermuten. Eine kostbare von vielen Komponenten ist auch die satirische, persiflierende. So wird das Leben im Überfluss gnadenlos ironisiert, und mit der Verballhornung des Existenzialisten Jean-Paul Sartre, der als idolisierter Phrasenroboter Jean Sol Patre die Massen zu lenken versucht und einen unfassbaren Personenkult um sich betreibt, ist sowohl dem 1959 in Paris verstorbenen Autor Vian in literarischer als auch dem Filmstab in audiovisueller Form eine satirische Meisterleistung gelungen.
So vollgestopft das filmische Spektakel allerdings auch sein mag, mit all seinen kalkuliert künstlich wirkenden Effekten einerseits und den perfekten, realistisch wirkenden Effekten andererseits, so sehr – und das mag jetzt abstrus tönen – wirkt der Mut zum Unperfekten als zusätzliche Ebene als eine Art Erdung der charmanten Art. Inmitten all des Overkills der Eindrücke – die knalligen Farben, die seltsamen Kreaturen, die merkwürdigen Dinge, die verwirrenden Geschehnisse – finden sich zudem zahlreiche Subtilitäten wieder, die sich letztendlich nur schwer bis gar nicht in Worte fassen lassen, dem Film jedoch eine Textur bescheren, die beim Zuschauer beinahe synästhetische Wahrnehmungen evozieren.
Man kann bei diesem Film die Dünnheit der Gespräche oder auch die nicht allzu ausgeprägten persönlichen Profile der einzelnen, von den Darstellern hervorragend gespielten Charaktere kritisieren, doch zumindest aus subjektiver Warte heraus benötigt diese Produktion im Grunde sowohl keine Dialogdichte als auch keine präzise Skizzierung der Figuren, da die expressionistischen bewegten Bilder es sind, die das Erzählen der Geschichte auf metaphorischer Ebene übernehmen. Fast könnte man behaupten, die Menschen seien nur Statisten und die Dialoge nur Beiwerk. So als seien sie in all dem bunten und grauen Universum nichts weiter als winzige, vergängliche Bläschen. Bläschen im Schaum der Tage. Der Tage, die vergehen. Bläschen, die irgendwann, ohne Zutun, zerplatzen werden. Zukunft, Gegenwart, Vergangenheit in ihrer stetigen Verschiebung – und mittendrin die Liebe. Oder:
»The point of love was to help you survive. The point was also to forget meaning. To stop looking and start living. The meaning was to hold the hand of someone you cared about and to live inside the present. Past and future were myths. The past was just the present that had died and the future would never exist anyway, because by the time we got to it, the future would have turned into the present. The present was all there was. The ever-moving, ever-changing present. And the present was fickle. It could only be caught by letting go.« (Matt Haig, “The Humans”; 2013, Canongate Books Ltd., Edinburgh, Schottland)
Cover & Szenenfotos © Arthaus
- Titel: Der Schaum der Tage
- Originaltitel: L’Ecume des Jours
- Romanvorlage:
Gleichnamiger Roman aus dem Jahr 1946,
von Boris Vian - Produktionsland und -jahr: Frankreich, 2013
- Genre:
Drama, Komödie, Tragödie, Romanze, Kunst
- Erschienen: 13.02.2014
- Label: Arthaus
- Spielzeit:
94 Minuten auf DVD
(+126 Minuten als Langfassung auf Bonus-DVD)
94 Minuten auf Blu-Ray
(+131 Minuten als Langfassung)
- Darsteller:
Romain Duris
Audrey Tautou
Gad Elmaleh
Omar Sy
Aïssa Maïga
Charlotte Le Bon
Sacha Bourdo
Philippe Torreton
Vincent Rottiers
Laurent Lafitte
Natacha Regnier
Zinedine Soualem
Alain Chabat
Michel Gondry
- Regie: Michel Gondry
- Drehbuch:
Michel Gondry
Luc Bossi - Story: Boris Vian
- Kamera: Christophe Beaucarne
- Musik: Etienne Charry
- Produktion:
Luc Bossi
Doris Yoba
Gilles Castera
Xavier Castano - Extras:
Langfassung des Films
Dokumentationen
Geschnittene Szenen
Trailer - Technische Details (DVD)
Bild: 1,85:1 (anamorph)
Sprachen/Ton: Deutsch, Französisch (5.1 DD)
Untertitel: Deutsch
- Technische Details (Blu-Ray)
Bild: 1,85:1 1080/24p Full HD
Sprachen/Ton: Deutsch, Französisch (5.1 DTS-HD MA)
Untertitel: Deutsch
FSK: 12 - Sonstige Informationen:
Produktseite zum Film auf Arthaus
Homepage zum Film
Wertung: 13/15 dpt