Juli Zeh – Nullzeit (Buch)


Juli Zeh - Nullzeit (Buch) © Cover: btbNach einer demütigenden Prüfung zum Abschluss seines Jurastudiums hat Sven Fiedler Deutschland den Rücken gekehrt, ist ausgestiegen. Fortan betrachtet er sein Geburtsland als ein Kriegsgebiet der Beurteilungen und seine neue Lebensdevise heißt: “Nur nicht einmischen”. Auf einer spanischen Insel, die an Lanzarote erinnert, betreibt er mit Antje Ferienquartiere und eine Tauchschule. Antje ist einfach mitgekommen. Sie hat als Mädchen Svens Hund Gassi geführt und sich in ihn verguckt, seitdem weicht sie nicht mehr von seiner Seite. Für Sven, der ohnehin nicht an die große Liebe glaubt, ist das praktisch. Antje managt die Ferienwohnungen, erledigt die Buchführung und hat manchmal Sex mit ihm. Svens zentraler Lebensinhalt ist der Tauchsport und den bringt er zahlenden Feriengästen bei.

Jola ist Soap-Darstellerin und hofft, die Filmrolle der Taucherlegende Lotte Hass zu ergattern. Theo ist ihr Lebensgefährte, ein Schriftsteller, der vor Jahren einen Bestseller veröffentlichen konnte. Seither schreibt er an einem “großen Gesellschaftsroman”, oder Kurzgeschichten.

Das wird kein leichter Job für Sven. Denn seine Gäste tun alles, um sich gegenseitig und damit auch ihm das Leben schwer zu machen. Ganz gegen seine Prinzipien wird Sven in dieses Gefecht hineingezogen, in dem den Kontrahenten jedes Mittel zur Demütigung recht ist. Bald geht es auf diesem Kriegsschauplatz nicht mehr nur um Macht und Passion, sondern um Leben und  Tod.

Der Roman “Nullzeit” von Juli Zeh ist ein kontrovers diskutiertes Werk. Als Thriller wird er bezeichnet, obwohl die Autorin eigentlich kein Genre-Fach bedient. Die Bezeichnung passt, denn “Nullzeit” ist ein spannendes, verstörendes Buch, ein Beziehungsroman, in dem es richtig zur Sache geht.  Damit ist nicht in erster Linie, aber auch Sex gemeint, als eine von vielen Methoden mit denen sich die Protagonisten gegenseitig  verletzen. Auch der Vergleich auf dem Cover der btb-Taschenbuchausgabe mit Patricia Highsmith trifft zu, denn die Spannung in “Nullzeit” erwächst aus einem unvorhersehbaren und dennoch zwanghaften Verhalten. Wie  oft in den Romanen dieser Autorin, finden wir hier keine Alltagstypen sondern Außenseiter vor, die  vom Leben enttäuscht und innerlich zerrissen sind. Auch wenn  es sich um Stereotypen handelt, deren Aktionen wenig nachvollziehbar sind, erreicht uns doch die Verzweiflung mit der Jola und Theo ihre destruktiven Konfrontationen austragen.

Der Kriegsterminologie bedient sich der Erzähler, Sven der Tauchlehrer, oft und gern, und was wir erleben, erinnert an einen Krieg.  Seine beiden Feriengäste und Tauchschüler steigern sukzessive die Gewalt, die sie einander antun. Sven lässt sich durch jenen Trick, welchen eine junge gutaussehende Diva perfekt beherrscht, in ihr perfides Spiel hineinziehen.  Ihrer promiskuitiven und verletzlichen Selbstinszenierung  ist er bald erlegen.

Einen leicht surrealen Touch erhält die Geschichte durch die zwei Perspektiven, in denen sich das Erzählte zunehmend widerspricht. Während Sven als personaler Erzähler berichtet, lesen wir zusätzlich Jolas Tagebucheinträge. Sven betont, dass er auf Jolas Avancen nicht eingeht.  Jola hingegen vertraut ihrem Tagebuch neben der grenzenlosen Verachtung für Theo schließlich ihre Affäre und die Hoffnung auf ein neues Glück mit Sven an. Wem soll man glauben?

Man sagt der Autorin einen übermäßig komplexen Schreibstil nach. Doch  in “Nullzeit” hat sie zu einer ausbalancierten Erzählweise gefunden, mit lakonischen bis hin zu epischen Formulierungen. Kraftvolle Sätze wie:

»Unter Wasser waren die Beziehungen einfach, Bedürfnisse eindeutig und Reaktionen radikal. Wer zehn Meter in die Tiefe tauchte, reiste zugleich zehn Millionen Jahre in der Evolutionsgeschichte zurück – oder an den Anfang der eigenen Biographie. Dorthin, wo das Leben begann, im Wasser schwebend und stumm.« [S. 69]

klingen wie Musik und prägen eine Atmosphäre, die dem Leser direkt unter die Haut geht.

Juli Zeh lässt den Leser durch ihre bildhafte und intensive Sprache tief in dieses psychologische Drama im Urlaubsparadies eintauchen. Es ist eine zugleich mitreißende und abstoßende Geschichte um Liebe und Macht, Visionen und Realität. Immer wieder stellt sich die Frage nach dem Warum, Juli Zeh lässt dem Leser Spielraum, darauf selbst Antworten zu finden.

Das Ende des Romans kommt dramatisch aber auch abrupt daher, es lässt den Leser dann doch etwas ratlos zurück. Einerseits passt es perfekt zum Charakter der Story, andererseits  wird mancher einen etwas runderen Abschluss vermissen. Doch das schmälert den Lesegenuss  des Romans  “Nullzeit”  kaum, den man fast wie im Tiefenrausch erlebt.

Cover © btb

Wertung: 12/15

 


3 Kommentare
  1. Synchron trifft es. Oft wird kritisiert, dass die Autorin hier “mainstream” -haft schreibt. Ich finde, das genaue Gegenteil ist der Fall. Der Sprachstil ist so variabel, wie die Story vielschichtig. 🙂

  2. Ich fand das Buch echt super und deine Bezeichnung “Tiefenrausch” passt gut. Ich war begeistert wie synchron die Autorin den Erzählstil und die Handlung sowie die Charaktere gestaltet hat.

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