Marion Brasch – Die irrtümlichen Abenteuer des Herrn Godot (Hörbuch, Autorenlesung feat. Stefan Kaminski)


Marion Brasch - Die irrtümlichen Abenteuer des Herrn Godot Hörbuch (Cover © Voland & Quist)Man vermutet falsch, wenn man aus dem Cover schlussfolgert, es handele sich um eine Fortsetzung des zweiten Marion-Brasch-Romans “Wunderlich fährt nach Norden”, denn auch auf diesem ziert ein Hut das minimalistische Cover. Vielmehr ist “Die irrtümlichen Abenteuer des Herrn Godot” – wenngleich die Autorin in einem Interview einräumt, dass die jeweiligen Hauptfiguren die Planlosigkeit gemeinsam haben – die buchgewordene ‘Romanversion’ der in Braschs Radiosendung “Songbook” gemeinsam mit Stefan Kaminski performten Radiokolumnen. Wobei man hier nicht wirklich von einem Roman sprechen kann, sondern eher von einer Aneinanderreihung absurdester, skurrilster Kurzgeschichten.

Kurzgeschichten, in denen die 1961 in Ost-Berlin geborene Autorin in Anlehnung an Samuel Becketts Klassiker “Warten auf Godot” die andere Seite des Klassikers auf humorvolle Weise be- beziehungsweise hinterleuchtet. Während im Literaturklassiker der Dialog zwischen den Landstreichern Wladimir und Estragon, die auf Godot warten, im Mittelpunkt steht, ist in vorliegender Veröffentlichung Godot selbst der Protagonist, und es wird auf sehr spezielle Art ergründet, was Godot während Wladimirs und Estragons Warterei alles getrieben haben könnte. Was ihn eventuell aufhielt. Er, der vielleicht nicht einmal wusste, dass die beiden Landstreicher überhaupt auf ihn warteten, wandelt von Abenteuer zu Abenteuer.

Sehr früh fällt auf, dass die Geschichtchen einem sehr freien Geist folgen und zuweilen einen starken Märchen- und Fabelcharakter aufweisen. Sie sind ein Treibenlassen, fast wie improvisierte Jam-Sessions versierter Musiker, die einfach auf ihr Innerstes hören und instinktiv Impulsen folgen. Dementsprechend unvorhersehbar und schräg sind Godots Abenteuer, und so begegnet der einem Gabeln stapelnden Gabelstapler, der großen Popeline, Alex dem Würfelmolch, einer Fischfängerin, dem Unterird und dem Dunkelmunk, Dornfröschen, dem gefährlichen Reißwolf, steht vor dem jüngsten Gericht, macht Bekanntschaft mit zwei telepathischen Chinesen, einem Teufel mit spezieller Haarpracht und letztendlich auch mit Herrmann Hesse und einigen anderen Persönlichkeiten, welche mal eben kiffend beieinanderhocken.

Klingt schräg und ist es auch. Doch die Erzählungen von Godots irrtümlichen Abenteuern wohnt noch etwas Charakteristisches inne, nämlich der nahezu infantile Hang zu Wortspielereien:

Auf diese Art gepeinigt und gedemütigt, habe der Weihnachtsmann schließlich beschlossen, die kleinen Türchen hinter sich zuzuschmeißen, um nie wieder zweimal hintereinander das Wort ‘zu’ zu gebrauchen.

… oder …

»Wo ist der Höcker?«, wollte der Detektiv schließlich wissen.
»Der Höcker ist nicht da.«
»Aber du hast ihn gestohlen.«
»Nein.«
»Doch.«
»Aber nein.«
»Oh doch.«
»Niemals.«
»Allerdings.«
»Nein.«
»Wie, nein.«
»Na, nein eben.«
»Nein?«
»Ja.«
»Das kann nicht sein.«
»Doch.«
»Egal, wo ist Frank?«
»Frank hatte keine Zeit.«
»Hast du ein Pferd für mich?«

… oder etwa …

Da war nur dieser Mann, der ihn breit angrinste. Das Auffälligste an ihm waren die Nahrungskette, die lustig vor seiner Brust hin- und herpendelte, und die Augenringe, die ihm ein bisschen zu klein zu sein schienen. Solche hatte Godot noch nie gesehen, und wenn er ehrlich war, hätte er sie auch gern besessen.

Hinzu kommt, dass die einzelnen Kapitel – trotz Hesse und Konsorten – mehr oder minder in der Jetztzeit spielen und die Sprache diverser Figuren durchaus flapsig bis derb ist, je nach dem, wie es gerade kommt. Schablonen sind Marion Brasch bei ihrem Geschriebenen völlig gleichgültig – sie ließ ihrer Kreativität einfach freien Lauf. Was passiert, passiert einfach.

Wer inmitten all dieses unterhaltsamen Nonsens einen roten Faden sucht, dem wird es wie Wladimir und Estragon mit Godot ergehen, denn man sucht umsonst. Und das ist bei diesen insgesamt 26 CD-Tracks plus Bonustrack auch von keinerlei Relevanz. Denn “Die irrtümlichen Abenteuer des Herrn Godot” ist schlichtweg ein liebevoll bestückter Gemischtwarenladen der Seltsamkeiten, der Möglichkeiten, der – um eingangs genannte Termini noch einmal aufzugreifen – Absurditäten und Skurrilitäten. Es wird schlichtweg herumgesponnen, es wird mit der Sprache gespielt, sie wird abstrahiert, man gibt bekannten Wörtern einfach mal eine neue Bedeutung – es geht um den Spaß an der Sache, ganz ohne dramaturgischen Anspruch, ohne Message, ohne die stieselig an die Nasenspitze geschobene Lesebrille. Und ohne wirkliche Logik – diese wird hier auch gar nicht erst benötigt. Letztendlich bereitet dieses auf seine ureiegene Art anspruchsvolle und daher so kreative Werk Freude, gerade weil es ist, wie es ist.

Besitzer der Buchversion werden sich sicherlich fragen, wie man das Problem der fehlenden Illustrationen von Matthias Friedrich Muecke gelöst hat, welche auf dem CD-Digipak und auf den CDs selbst natürlich nur sparsam untergebracht werden konnten. Eine der Geheimwaffen ist Marion Braschs Stimme selbst, denn die Autorin ist voll in ihrem Element und sorgt dafür, dass die Geschichten äußerst lebendig wiedergegeben werden. Eine weitere Geheimwaffe ist der in Hörbuchkreisen sehr renommierte und gefragte Stimmenzauberer Stefan Kaminski, den Brasch für dieses ungekürzte Hörbuch für einige Kapitel gewinnen konnte und der dem Werk auf sehr kreative Weise besondere Farbtupfer beschert, die zuweilen fast comichaft anmuten – denn Kaminski beschränkt sich nicht nur auf Stimmen, sondern bringt gleich eine beachtliche Geräuschkulisse mit, sodass das Hörbuch manchmal fast in Hörspielregionen abdriftet. Im Bonustrack “Godot in Rheinsberg” schlüpft Kaminski dann auch einfach mal selbst in Godots Rolle. Zudem wird das Hörbuch hier und dort durch minimalistische Musik aus der Feder Sascha Neumanns aufgelockert, was für zusätzliche Leichtigkeit sorgt.

“Die irrtümlichen Abenteuer des Herrn Godot” ist ein Hörbuch, das einen 156 Minuten lang am Stück einfach mal aus der Realität holt, hinein in eine Phantasiewelt voller Witz und Unerklärlichem, voller Quatsch mit Soße, voller Anspielungen, Querverweise und Verspieltheiten. Es funktioniert allerdings auch hervorragend in kleinen Etappen, gerade weil die Geschichten kaum bis gar nicht aufeinander aufbauen. Es lässt schmunzeln und den Kopf schütteln. Es unterhält.

Cover © Voland & Quist

Wertung: 13/15 dpt


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