Weinberg – Die komplete Serie (1 DVD/2 Blu-ray)


Weinberg - Cover © STUDIOCANALUnd die Nächste, bitte! Schon wieder schickt sich eine Serie an, die beste deutsche seit Jahren zu sein: Seit „Weinberg“ im Oktober und November des letzten Jahres erstausgestrahlt wurde, geben sich Kritiker und Zuschauer entzückt über den mysteriösen Grusel-Sechsteiler aus der Provinz. Rund ein Jahr später können sich nun auch DVD- und Blu-ray-Käufer ein Urteil über die Qualität der Miniserie bilden, allerdings wird es zum Balanceakt, diese Meinung im Anschluss preiszugeben. Auf die Seite der Kritiker übertragen lautet die Frage: Wie soll man über eine Mystery-Serie schreiben, ohne die mühsam versteckten Hinweise auf das Ende zu verraten? Im vorliegenden Fall gestaltet sich die Sache besonders schwierig, was logischerweise als Lob zu verstehen ist.

Aber zunächst zu den Hintergründen von „Weinberg“: Obwohl sich HBO stets als zuverlässiger Lieferant für Qualitätsfernsehen erweist, stellt das Pay-TV-Prinzip für deutsche Produktionen immer noch die große Ausnahme dar. Alleine schon die Tatsache, dass „Weinberg“ nach dem Social Media-Experiment „Add A Friend“ erst die zweite Serie ist, die von TNT produziert wurde, lenkte die Aufmerksamkeit auf ein Projekt, das am Ende immerhin stolze 3,5 Million Euro kostete. Mut und Aufwand wurden schließlich mit noch mehr Aufmerksamkeit und dem Grimme-Preis belohnt, was dafür sorgen könnte, dass es nicht das letzte Bezahlfernsehformat in Deutschland und bei TNT bleibt. Das Experiment glückte aber auch deswegen, weil die Drehbuchautoren Arne Nolting und Jan Martin Scharf im Jahr 2015 einige wegweisende Entscheidungen getroffen haben.

Weinberg - Szenenfoto © STUDIOCANALDas Duo, das vornehmlich Folgen für Krimiserien wie „Alarm für Cobra 11“, „Wilsberg“ und „Der letzte Bulle“ schreibt, begab sich letztes Jahr auf etwas abwegigere Pfade und landeten bei Vox mit der deutschen Version von „Der Club der roten Bänder“ eine Überraschungserfolg. Auch hier räumte man einen Grimme-Preis ab und wurde mit der Produktion einer zweiten Staffel beauftragt. Mit „Weinberg“ wagen sich die beiden noch ein Stück weiter heraus, indem sie ein Originaldrehbuch für eine sechs Folgen umfassende Mystery-Serie verfassten und ein umfangreiches Budget in die Hand bekamen. Ihr Erfolg wird ihnen in einem vom Sicherheitsgedanken etwas mutlos gewordenen Deutschland einige Türen öffnen und ihnen ermöglichen, weiterhin frische Ideen in den steifen Fernsehbetrieb zu tragen.

Aber was macht „Weinberg“ denn nun so gut? Es fällt schwer, die Qualitäten der Serie herauszustellen, ohne Andeutungen zu machen, die das Rätsel vereinfachen könnten. Dazu gehört beispielsweise auch die Beobachtung, dass die Serie zunächst etwas schwer in Tritt zu kommen scheint. Der mysteriöse Held der Geschichte (Friedrich Mücke) wacht im dichten Nebel auf einem Weinberg auf und erblickt eine tote Prinzessin. Verletzt und verwirrt trifft er in der Nähe auf einen Jungen (Jonah Rausch), der vor ihm wegläuft und ihm ein weiteres Rätsel aufgibt. Als er schließlich das (fiktive) Dorf Kaltenzell erreicht, fällt dem Helden in der Interaktion mit den Bewohnern auf, dass er sein Gedächtnis und seine Identität verloren hat. Er nennt sich fortan Johannes Fuchs und geht nur deswegen nicht zur Polizei, weil Bürgermeister Zepter (Arved Birnbaum) ihm klar macht, dass man im Dorf doch alles selber löst.

Weinberg - Szenenfoto © STUDIOCANALSoweit weit, so unspektakulär. „Weinberg“ wirkt erst einmal wie eine Produktion, die sich im Wust der Veröffentlichungen verliert, die immer wieder alte Kamellen aufwärmt. Und auch als der Held bei seiner Suche nach Antworten herausfindet, dass es sich bei der Prinzessin um eine Weinkönigin handelt, die zu seiner Überraschung gar nicht tot ist, liegt die Vermutung nah, dass die Serie ihren selbstgesteckten hohen Ansprüchen nicht gerecht werden könnte. Dieses Gefühl bleibt durch die manchmal etwas staksigen Dialoge erhalten, in denen rein gar nichts Neuartiges verhandelt wird und die so auch in anderen Drehbüchern stehen könnten sowie die übernatürlichen Ereignisse in Kaltenzell. Was einen zu diesem Zeitpunkt bei der Stange hält, ist größtenteils der Style, der deutlich von amerikanischen Produktionen beeinflusst ist, aber bei genauerem Hinsehen zu oft nicht dem Budget gerecht wird.

Das aufwändige Intro ist im Stil von „Six Feet Under“, „True Detective“ und „Olive Kitteridge“ gehalten und deutet durch zentrale Symbole und Elemente auf den weiteren Verlauf der Serie hin. Am deutlichsten sind die Parallelen (auch über das Intro hinaus) allerdings zu einer ursprünglich nicht-amerikanischen Serie: „The Returned“ spielt ebenfalls in der Provinz und puzzelt sich Stück für Stück zu einem größeren Ganzen zusammen. Die Amerikaner haben auch diese Serie – mäßig erfolgreich – kopiert, was zumindest in dem Sinne vorbildlich ist, als dass der Fokus von der Stadt (meist New York) auf das Land verschoben wird und interessante Aspekte zu Tage fördert. In Deutschland haben wir kein Problem mit der Unterversorgung von dörflichen Spielorten, trotzdem bleiben diese Serien oft klischeebeladen. Leider schafft es auch „Weinberg“ nicht (und will es auch gar nicht schaffen) dem ländlichen Südwesten der Bundesrepublik ein besseres Image zu verschaffen, dafür ist das enge Dorfleben zu dunkel gezeichnet und reproduziert zu viele Klischees von unterdrückten Trieben und bösen Nachbarn. Dabei ist gute Nachbarschaft das, was uns gerade fehlt auf dieser verrückten Welt.

Weinberg - Szenenfoto © STUDIOCANALAuch an die ausgeklügelte Konstruktion von „The Returned“ reicht „Weinberg“ nicht heran, zu schnell werden Personen und Situationen miteinander verbunden und eingeschlagene Pfade wieder verlassen. In der Figurenkonstellation steckt durchaus das Potenzial für mindestens zehn Folgen, aber vermutlich hätte das das Budget zu groß werden lassen. Das führt auch dazu, dass manch ein Pfad am Ende zu offensichtlich ins Leere führt und ungenutzt bleibt. Erst relativ spät nimmt „Weinberg“ an Fahrt auf, dafür dann aber richtig und auf mutigen Wegen mit einem Wahnsinn, der „Twin Peaks“-Züge annimmt und geschickt mit der Unsicherheit spielt, ob das da gerade wirklich stattfindet. Aber – und das ist das große Qualitätsmerkmal der Serie – das Meiste fällt einem erst auf, wenn die Serie nach sechs Folgen endet und man schnell das Verlangen spürt, das Ganze noch einmal nachzuvollziehen und einzuordnen. Das ist durchaus kein neuer Effekt, aber es lohnt sich in jedem Fall ihn selbst zu erleben. Auch hier werden einige Dinge auffallen, die nicht gänzlich aufgehen und anderes, was glücklicherweise offen gelassen wird, aber am Ende darf man für deutsche Mainstreamverhältnisse zufrieden sein, weil es das Format nicht so stark überreizt wie es beispielsweise „Victoria“ („der beste deutsche Film seit Jahren“) tut.

Nach so viel (oder eben wenig) Abstraktem vielleicht noch ein paar härtere Parameter: Neben zahlreichen Newcomern und jungen Gesichtern gibt es auch noch einige gestandene Schauspieler zu sehen. Gudrun Landgrebe (Therapeutin) ist seit den 1970ern aktiv und dürfte aus zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen bekannt sein. Die wunderbare Christina Große spielt die Mutter der Weinkönig und zeigt dabei ihr ganzes Können. Der größte Name allerdings ist Antje Traue, die in Deutschland paradoxerweise immer noch etwas unter dem Radar fliegt. In Hollywood ist man hingegen schon auf ihre mysteriöse Schönheit aufmerksam geworden, sie wurde dort schon für Blockbuster wie „Man Of Steel“ und „Seventh Son“ gecastet.

Weinberg - Szenenfoto © STUDIOCANALEs wird spannend zu sehen sein, ob „Weinberg“ auch für die Schauspielerinnen und Schauspieler als Sprungbrett fungieren kann und vor allem, ob das Pay-TV-System sich in Deutschland etablieren kann. Das Potenzial ist definitiv gegeben, besonders wenn man sich vor Augen führt, dass Netflix und Co. nicht anders funktionieren. Ob es allerdings zu ein flächendeckenden Experimenten in dieser Richtung in Deutschland kommt, bleibt zu bezweifeln, dafür funktionieren „sichere“ Formate wie „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ zu gut. Ob sich „Weinberg“ auch im Free-TV behaupten kann, wird zurzeit bei Vox getestet. Eine gute Quote ist den Machern zu wünschen, damit sich etwas bewegt im deutschen Fernsehen.

FAZIT: „Weinberg“ ist durchaus eine außergewöhnliche Serie, weil sie sich für deutsche Verhältnisse mutig zeigt und etwas frischen Wind in das deutsche Fernsehen fächelt. Aber ob es tatsächlich die zurzeit beste Serie ist? Sie könnte es sein, weil die Konkurrenz kaum vorhanden ist, aber sie ist definitiv kein Meisterstück. Die Produktion ist mitunter überambitioniert und vergisst darüber die anregende Verknüpfung der Erzählstränge. Die Weinregionen Deutschlands werden sich nicht gerade über die Darstellung ihre Dorfgemeinschaften freuen, dafür werden sie viel zu hinterwäldlerisch dargestellt. Auch der Aufbau zur Kernidee geht nicht an allen Stellen auf und die Idee selbst ist nicht neu, aber trotzdem stellt sich der erwünschte Effekt ein. Vielleicht hätten ein bisschen mehr Mut und Unabhängigkeit von den Vorbildern und einem breiten Publikum noch mehr möglich gemacht. Aber immerhin: Der Trend zeigt in die richtige Richtung und vielleicht schließen sich nun weitere höherwertige Produktionen an. Die deutsche Fernsehlandschaft hat es jedenfalls bitter nötig.

Cover und Szenenfotos © STUDIOCANAL

  • Titel: Weinberg – Die komplette Serie
  • Produktionsland und -jahr: D, 2015
  • Genre:
    Mystery, Thriller
  • Erschienen: 03.11.2016
  • Label: STUDIOCANAL
  • Spielzeit:
    324 Minuten auf 2 DVDs oder auf 1 Blu-ray
  • Darsteller:
    Friedrich Mücke
    Antje Traue
    Gudrun Landgrebe
    Anna Böttcher
    Laura Tonke
    u.a.
  • Regie:
    Till Franzen
    Jan Martin Scharf
  • Drehbuch: Anke Greifeneder
  • Kamera: Timo Moritz
  • Produktion:
    Gerda Müller
    Jan Kromschröder
    Philipp Steffens
    Anke Greifeneder
  • Extras:
    Making of
    28-seitige Booklet
    (beides sowohl bei DVD als auch bei Blu-ray
  • Technische Details (DVD)
    Bild: 1:1,78 anamorph
    Sprachen/Ton:
    Deutsch 5.1 Dolby Digital
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Bild: 1,78:1 1080/25i Full HD
    Sprachen/Ton:
    Deutsch 5.1 DTS-HD (Master Audio)
  • FSK: 16
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite DVD und Blu-ray

Wertung: 11/15 dpt


1 Kommentar
  1. Lieber Norman, wie versprochen kann ich mir einen Kommentar nicht verkneifen. Denn ich beurteile „Weinberg“, diese stocksteife Produktion von Menschen, die „Twin Peaks“ gesehen, aber nicht verstanden haben, ganz, ganz anders als du. Was für einen Unterschied ist da schon, das an Schwächen durchaus reiche, schwedische „Jordskott“. Das zwar auch kräftig zu „Twin Peaks“ hinschielt, aber trotzdem eine ganz eigene Sprache spricht. Also schwedisch 🙂
    Mein Weinberg-Eindruck ist wie folgt:

    Weinberg“ gesehen. Herzlich, nein eigentlich entsetzt, gelacht. Die Komik entsteht nicht absichtlich, sondern aus der Diskrepanz zwischen der ernsthaften Ambition der Macher und ihrem Versagen auf fast allen Ebenen. Die teilweise gar nicht üblen Schauspieler (Friedrich Mücke) werden hilflos ausgesetzt uind man lässt sie machen. Was dabei rauskommt ist große Kunst, die die Nähe zu Jürgen Enz („Herbstromanze“) sucht, aber nicht ganz findet. Man hat sich sehr genau amerikanische Serien angesehen und kopiert hemmungslos (und schlecht) drauflos. Die heißkalte Frau Landgrebe als ambivalente Psychiaterin („Eureka“), die Farbgebung von „True Detective“, das mystische Mysterium von M. Night Shyamalan (am Ende sind wahrscheinlich alle bereits gestorben und in einer Art Zwischenreich) und natürlich ganz viel „Twin Peaks“. Fehlt bloß ein bisschen Plastik: „Wickel mir die tote Weinkönigin schön ein!“

    Wenn David Lynch für Zwischenschnitte wehende Baumwipfel ablichtet, denkt man sich in Weinberg, das funktioniert auch mit Dächern. Nee, tut’s nicht. Dazu gesellt sich eine Kameraführung, bei der man sich fragt, warum die Kameras den Schauspielern nicht direkt vor den Bauch gebunden wurden, dann wäre man noch dichter dran. Ob die Szene mit dem Großkind am stillenden Busen der gläubigen Mutter allerdings bei Little Britain und die Mäuseklopperei der trauernden anderen Frau Mama bei Monty Python entlehnt wurden, bezweifele ich. Hier wussten die Filmemacher (einmal mehr) anscheinend nicht, was sie warum und vor allem wie taten.

    Leider bestätigt der neblige Weinberg alle Vorbehalte, die man gegen heimische Produktionen hat. Wie schrieb ein Rezensent so schön: „DAS hat die Pfalz nicht verdient!“ Als Resultat des größtmöglichen Scheiterns allerdings (mit Vorspulmöglichkeit) durchaus den ein oder anderen vergnüglichen wie trauernden Blick wert. Mit viel Wohlwollen säßen bei mir 5 von 15 möglichen Weinzwergen drin. Maximal.

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