Martin von Arndt – Tage der Nemesis (Buch)


Berlin. Frühjahr 1921. Ein Mann wird auf offener Straße mitten am Tage aus kurzem Abstand in den Kopf geschossen. Der Täter, ein armenischer Student, wird bei seiner Flucht sofort gefasst. Doch Inspektor Andreas Eckart möchte das Motiv des Täters erfahren. In seinen Ermittlungen wird deutlich, dass der Tote ein ehemaliger türkischer Staatsführer zur Zeit des 1. Weltkrieges war. Hunderttausende Armenier verloren in der Türkei auf Todesmärschen ihr Leben. Nun rächt sich eine kleine Gruppierung an den Verantwortlichen, die nach dem Ende des Krieges im Exil leben. Eckart versucht die gesamte Gruppe, die sich Nemesis (nach der griechischen Göttin des „gerechten Zorns“) nennt, zu fassen. Aber seine Ermittlungsarbeiten werden nicht von allen Seiten in der jungen Demokratie unterstützt.

In seinem Roman stellt Martin von Arndt ein unbekanntes Kapitel deutsch-türkischer Geschichte in einem spannenden Krimi vor. Die historische Recherche betrieb er sehr ausführlich und beschreibt in den Kapiteln auch viele Details. Personen, Orte und Ereignisse werden genau dargestellt. Dabei ist zu betonen, dass die beschriebenen Morde um 1921 wirklich geschehen sind. Der Autor schafft es auf hervorragende Weise, Fiktion und Realität miteinander zu verknüpfen.

Besonders deutlich werden die schwierigen, politischen Verhältnisse in Deutschland nach dem 1. Weltkrieg. Die Demokratie ist neu und die Sanktionen hoch für Deutschland. Das Rheingebiet ist noch besetzt, und die diplomatischen Beziehungen mit den Siegermächten nehmen erst langsam Gestalt an. Viele Menschen haben körperliche oder seelische Kriegsverletzungen davongetragen. Die alten Eliten möchten auch weiter ihr Land regieren, ohne auf die Meinung des Volkes zu achten, und es bilden sich langsam nationalsozialistische und antidemokratische Strömungen.

 Vor diesem Hintergrund veruscht Kommissar Andreas Eckart einen Fall zu lösen, der sehr brisant werden könnte. Er selbst hat einen multikulturellen Hintergrund. Seine Mutter war Römerin, der Vater deutscher Diplomat. Dadurch musste er sich in seinen Klassen und in der Uni immer doppelt anstrengen, um der Frage auszuweichen, auf welcher Seite er eigentlich stehe. Außerdem ist er noch Psychoanalytiker, Kriegsveteran und morphinsüchtig. Der Autor räumt der Charakterisierung dieser vielschichtigen Figur viel Platz ein. Im Gegensatz dazu wirken seine beiden Assistenten, der jüdischstämmige Rosenberg und der nationalsozialistische Sympathisant Wagner sehr stereotypisch und oberflächlich.

Trotz des komplexen Charakters Eckarts sind die Rollen der Polizisten klar verteilt. Rosenberg und er kämpfen gegenüber Wagner und Mächten aus dem alten Kaiserreich für Demokratie und Freiheit. Dennoch beleuchtet der Autor die Attentäter von zwei Seiten. Ist ihre Rache gegenüber den Mördern der Armenier gerechtfertigt? Ist ein Mord immer verwerflich und falsch? Diesen Konflikt durchlaufen Kommissar und Leser gemeinsam und die Grenzen zwischen Opfern und Tätern weichen auf.

Von Arndt gibt in einem Interview an, dass dieses Thema durch mehrere Zufälle zu ihm gelangt sei. Dennoch war ihm nicht bewusst, wie brisant es besetzt ist. Die wütenden Reaktionen von türkischen Nationalisten 2011, als Sarkozy das Leugnen des armenischen Völkermords in Frankreich unter Strafe stellt und die diplomatische Reaktion der Türkei als Deutschland 2016 die Resolution „Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten in den Jahren 1915 und 1916“ verabschiedete, waren immer noch leugnend. Der Autor betont weiterhin, dass er in diesem Buch niemanden beleidigen auch keine Kollektivschuld der Türken aussprechen möchte (Quelle: Interview des Verlags mit Martin von Arndt).

In diesem Krimi beschreibt der Autor politische Morde nach dem 1. Weltkrieg in einer sehr instabilen Zeit für Deutschland. Gleichzeitig stellt er ein Thema vor, welches auch nach über 100 Jahren noch immer nicht vollständig akzeptiert ist. Leider mindern lange und detaillierte Beschreibungen die Spannung des Buches. Dennoch wird in jeder Zeile die ausführliche Recherche des Autors deutlich.

Cover © ars vivendi

Wertung: 9/15 dpt


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