The Sea Of Trees (Spielfilm, DVD/Blu-ray)


Eine Hollywood-Geschichte für sich: Als es vor gut einem Jahr darum ging, erste Tipps in Richtung Oscar-Anwärter 2017 abzugeben, war “The Sea Of Trees” in guter Regelmäßigkeit auf den dazugehörigen Listen zu finden. Dass diese frühzeitigen Prädiktionen selten von Wert sind, ändert leider nichts daran, dass sie eine nicht zu vernachlässigende Rolle in der Bewertung der gesehenen Filme spielen. So auch im Fall von Gus van Sants neuem Projekt, das von Kritikerseite fast ohne Ausnahme zerrissen wurde (inklusive Buh-Rufen in Cannes) und lange im Dunstkreis der “Goldenen Himbeere” waberte. Eine Entwicklung zwischen den Extremen, die eigentlich Werbung genug hätte sein können, an den Verkaufszahlen und dem direkten Home Entertainment-Start in Deutschland gemessen war aber das Gegenteil der Fall. Aber was sagt das nun alles über den Film aus?

Dass die Filmschreiberlinge “The Sea Of Trees” in den inoffiziellen Oscar-Vorentscheid schickten, ist durchaus verständlich. Für die Liste, die man im Idealfall ein Jahr später hervorkramt, um stolz zu bestätigen, man habe es doch schon lange vor allen anderen gewusst, eignete sich der Film alleine schon aufgrund des aktuellen Status des Regisseurs. Die Karriere von Gus van Sant ist seit jeher von Aufs (“Good Will Hunting”, “My Own Private Idaho”, “To Die For”…) und Abs gekennzeichnet, und weil auf seinen letzten guten Film “Milk” nun schon zwei mäßige Streifen folgten, hatte man wohl mit etwas Brauchbarem gerechnet. Diese These unterstützten seinerzeit die Verpflichtungen von Matthew McConaughey, der seit 2011 praktisch eine zweite Karriere mit Engagements in sehenswerten oder zumindest großen Produktionen und wenigen Ausfällen hinlegt, und Naomi Watts, die zwar kein Garant für gute Filme, aber für durchweg herausragende Performances ist.

Verwunderlich ist hingegen, warum sich Gus van Sant so angetan von Chris Sparlings Drehbuch zeigte. Am bekanntesten dürfte der Autor für sein Skript zu “Buried – Lebend begraben” sein, und schon das ist von überschaubarer Qualität. Das Problem, dass sich Sparling gerne von einer großen Idee inspiriert fühlt, daraus aber keinen spannenden Plot zu schustern weiß, muss sich auch “The Sea Of Trees” gefallen lassen. Aokigahara, auch “Sea Of Trees” genannt, ist ein Wald rund um den Mount Fuji in Japan, der zu der zweifelhaften Ehre kommt, dafür berühmt zu sein, von Menschen aus der ganzen Welt als Ort für ihren Selbstmord gewählt zu werden. Ein interessantes, soziales Phänomen, aber eben auch eine zweifelhafte Praxis, die durch zahlreiche Romane und nun eben auch durch einen Film teilweise mystifiziert verbreitet wird und zur Romantisierung und Gutheißung des Selbstmordgedankens führen kann. Vermutlich vermitteln all diese Werke zwar eine lebensbejahende Message, die faszinierende, morbide Wirkung des “Suicide Forest” verstärken sie aber dennoch, was den jahrelangen Bemühungen der japanischen Offiziellen, das Areal aus der öffentlichen Wahrnehmung zu entfernen, entgegenwirkt.

Sparling versucht diesen Ort greifbar zu machen, indem er den Physik-Professor Arthur (Matthew McConaughey) aus den USA bei seinem Selbstmordversuch im “Sea Of Trees” begleitet. Die Schilder, die Arthur zu Beginn des Waldstücks findet, sollen die potenziellen Selbstmörder daran erinnern, wie wertvoll das Leben ist und dass solch eine Tat immer auch andere Menschen betrifft. Schnell stößt man auf die ersten Leichen, die ein ambivalentes Gefühl auslösen, das irgendwo zwischen Faszination, Abschreckung und Gemeinschaftssinn anzusiedeln ist, aber darauf hindeutet, dass sich dieser Wald unterstützend auf die Idee des Suizids auswirkt. Der Film will diesen Effekt aushebeln, indem er Arthur auf eine weitere Person (Ken Watanabe) treffen lässt, die einen Suizidversuch hinter sich hat und blutend durch die Bäume irrt. Aus Mitleid versucht er dem japanischen Mann den Weg nach draußen zu weisen und als das nicht gelingt, beginnt für beide ironischerweise ein mystischer Überlebenskampf im Suizidwald.

Diese Idee ist wenigstens von einer gewissen metaphorischen Qualität, immerhin zeigt sich der Lebenswille bei einem Selbstmordversuch so stark wie in keiner anderen Situation. Auch dass sich Menschen dort verirren, ist plausibel, da Selbstmordgefährdete ihre Position und die Orientierung in der Welt und schließlich auch den Kontakt zu sich selbst verloren haben. Das ist alles andere als eine neue Erkenntnis und erhält auch nur dadurch einen Wert, weil an “The Sea Of Trees” ansonsten nur schwer etwas Lobenswertes ausfindig zu machen ist. In diesem Sinne sind die Kritiker keinem negativen Hype anheimgefallen, sondern bringen recht zutreffend auf den Punkt, wie enttäuschend der Film ist. Das fängt schon alleine mit dem Fakt an, dass jede Bewegung, in die der Film geht und jeder einzelne Plottwist, der gesetzt wird, klischeehaft vorhersehbar ist. Wer nach dieser kurzen Beschreibung der ersten Filmminuten bereits eine Idee hat, wer oder was der japanische Herr ist, wird höchstwahrscheinlich richtig liegen. Das Setting ist selbstredend wunderschön und die Aufnahmen bei Nacht verfügen durchaus über einen gewissen Schauwert, doch was dort passiert, ist absehbar, absurd, teilweise moralisch fragwürdig und basiert auf Zufällen, oder kurz: ist zum Langweilen schlecht.

Warum sich Arthur umbringen will, wird mit der üblichen Technik der Rückblenden beleuchtet und ist entsetzlich unspektakulär. Seine Frau Joan (Naomi Watts) ist verstorben, und mit jeder Rückblende wird klarer, dass Arthur nicht einfach nur der bloße Verlust, sondern Fragen nach Schuld und verpassten Chancen umtreibt. Gezeichnet wird eine zerrüttete Ehe, in der er (vermutlich) unter einer Depression und sie unter ihrem Alkoholismus leidet. Leider aber werden diese Krankenheitsgeschichten, die Menschen nicht sich selbst sein lassen, gar nicht weiterverfolgt und durch einen anderen Ausgang ersetzt, den man schon so oft gesehen hat, dass selbst dessen Parodie schon oll wäre. Gleiches gilt für die zahlreichen Plottwists, die das genaue Gegenteil von “mindblowing” sind.

Eine der ersten Regeln guten Kinos besagt, dass man die Intelligenz der Zuschauenden zu respektieren hat. “The Sea Of Trees” ignoriert diesen Hinweis permanent und erklärt jede einzelne Facette, die er beleuchten will. Die Dialoge sind unsagbar stumpf (“Du denkst immer nur an dich”, “Ich hatte eine Affäre”…), und obwohl die Schauspielerinnen und Schauspieler noch das Maximale aus ihnen herausholen, werden ihre Möglichkeiten zu glänzen stark begrenzt. So passiert es, dass das Leiden, das Arthur durchmacht, an manchen Stellen unfreiwillig komisch wirkt, weil er unnötige Zeilen von sich gibt. Der Sprechbeiträge lassen kaum Raum für eigene Interpretationen, weil die Charaktere in ihrer Selbstreflexion alles durchanalysieren. Originalität in Sachen Dialog: nahe Null.

Einem erfahrenen Regisseur wie Gus van Sant unterlaufen zudem lupenreine Anfängerfehler. Die Drehtechniken wechseln je nach Art der Szene, aber die fehlende Subtilität im Einsatz mit diesen führt dazu, dass der Zuschauende durchgehend daran erinnert wird, was der Filmemacher da gerade veranstaltet. Gleiches gilt für den omnispräsenten Soundtrack, der durch kitschige Eindimensionalität den letzten Rest an Emotionalität aus dem Film drängt. Überhaupt ist Kitsch der richtige Begriff, wird doch in jeder Szene zwischen den Ehepartnern übermäßig auf die Tränendrüse gedrückt. Nur berührt einen das alles nicht im Geringsten, weil einen die Charaktere und auch der Rest des Films völlig kalt lassen.

Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass der Film keinen einheitlichen Ton findet. Während es im Wald morbide, gruselig und abenteuerlich zugeht, sollen die Szenen mit Joan und Arthur emotional sein. Zwischendurch geht es dann aber plötzlich um Schönheit oder Humor, so richtig will das aber nicht zusammenpassen. Die Palette an Emotionen wirkt willkürlich gesetzt und verhindert so, dass sich der Zuschauende involviert fühlt oder wenigstens interessiert sein kann. In Sachen Erzählzeit rumpelt es zum Teil ordentlich: Während die Schlüsselszene, die für den aufmerksamen Beobachter nur wenig Neues zu berichten hat, fast zehn Minuten lang ist, werden andere wichtige Einstellungen in unter einer halben Minute abgehandelt. Es wird auf die abgeschmackteste Weise über das Leben philosophiert, und wenn der Film schließlich zu seinem Ende kommt, ist die Moral von der Geschichte enttäuschend und fragwürdig. Aber in diesem Sinne bleiben sich van Sant und Sparling wenigstens treu, sodass man “The Sea Of Trees” auf einen Begriff eindampfen kann: hohl.

Fazit: Auch ohne den ganzen Hype – positiv wie negativ – ist “The Sea Of Trees” ein furchtbarer Streifen. Was Gus van Sant im Drehbuch von Chris Sparling gesehen hat, ist kaum zu ergründen. Es ist langweilig, alltäglich, kitschig, vorhersehbar, teilweise moralisch fragwürdig und schafft es nicht ein soziales Phänomen wie den “Suicide Forest” in einen angemessenen Plot zu übersetzen. Ganz im Gegenteil lassen einen die Geschehnisse und Charaktere (trotz guter Leistungen von McConaughey und Watts) aufgrund der unausgegorenen Konstruktion und banalen Dialoge, die alles erklären, völlig kalt. Der erfahrene van Sant lässt sich von soviel Unterdurchschnittlichkeit anstecken und begeht reihenweise Anfängerfehler (Erzählrhythmus, Drehtechniken, Einsatz des Soundtracks…) und schafft ein in höchstem Maße inkonsistentes Werk. Überdies muss das durchaus ansehnlich in Szene gesetzte, aber imagetechnisch geschundene Setting muss eine weitere und zudem fragwürdige Bearbeitung aushalten. Am Ende steht ein Film, der nur an ganz wenigen Stellen sein (verschenktes) Potenzial andeutet, insgesamt aber fast eine Blaupause dafür darstellt, wie man es denn bitte nicht macht.

  • Titel: The Sea Of Trees
  • Produktionsland und -jahr: USA, 2015
  • Genre:
    Drama
  • Erschienen: 13.01.2017
  • Label: Ascot Elite
  • Spielzeit:
    120 Minuten auf 1 DVD
    120 Minuten auf 1 Blu-Ray
  • Darsteller:
    Matthew McConaughey
    Naomi Watts
    Ken Watanabe
  • Regie: Gus van Sant
  • Drehbuch: Chris Spalding
  • Kamera: Kasper Tuxen
  • Schnitt: Pietro Scalia
  • Musik: Mason Bates
  • Extras:
    Trailer
    Featurette: A Story Of Beauty And Tragedy
  • Technische Details (DVD)
    Video:
    16:9
    Sprachen/Ton
    :
    D, GB
    Untertitel:
    D
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video:
    16:9
    Sprachen/Ton
    :
    D, GB
    Untertitel:
    D
  • FSK: 12
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite

Wertung: 3/15 dpt


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