Mark Z. Danielewski – Das Haus (Buch)


Mark Z. Danielewski - Das Haus (House Of Leaves)Mit diesem ursprünglich als Internetprojekt gestarteten, im Jahre 2000 dann offiziell in Buchform erschienenen Werk hat der US-amerikanische Schriftsteller und Sohn des polnischen Filmregisseurs Tad Danielewski bereits turbulentestes Rascheln im dichten Literaturwald sorgen können, und im Laufe der Jahre hat sich zu diesem außergewöhnlichen Buch eine riesige Online-Community gebildet. Tausende von Diskussionen auf dem entsprechenden Forum über alle erdenklichen Kleinigkeiten dieses ziegelsteinschweren und -formatigen Wälzers sprechen da Bände.

Der neurotische, drogensüchtige, hyperaktive Johnny Truant findet irgendwann nach dem Tod des etwas sonderbaren, in der Nachbarschaft lebenden Greises Zampanò in dessen Nachlass eine mysteriöse Kiste, in welcher er eine äußerst ausladende wissenschaftliche Abhandlung über den Film “Der Navidson Record” fndet: In diesem Film, welcher ein unfassbares Geheimnis in sich birgt, dokumentiert der Pulitzer-Preisträger Will Navidson, der mit seiner Familie in ein abgelegenes Haus in der Einöde Virginias – präziser gesagt in der sogenannten Ash Tree Lane – gezogen ist, die Erlebnisse in diesem Bauwerk.

Am Anfang stimmen lediglich die Innenmaße nicht mit den Außenmaßen überein. Wie kann es sein, dass ein Haus innen größer ist als außen? Doch es wird noch merkwürdiger: Plötzlich ist da eine Tür, hinter der ein Raum steckt, doch der ist in keinem Grundriss vorhanden. Bereits während der ersten Erkundungen, für welche sich Navidson Spezialisten heranholt, entwickelt das Haus ein unglaubliches, lebensgefährliches Eigenleben, das für Traumata und Tod sorgt. Räume und Treppen erscheinen, wo gerade noch keine waren. Verschwinden wieder. Es ist eiskalt. Es ist dunkel. Es ist unbeschreiblich grauenvoll und beängstigend. Beklemmend. Und doch lockt es Navidson, der hinter das Geheimnis des Hauses kommen möchte, immer wieder hinter diese Tür.

In dreieinhalb Ebenen – dem Film, den Schilderungen Zampanòs, den Anmerkungen und Erzählungen Truants sowie Kommentaren der “Herausgeber” – wird der Leser auf eine irrsinnige Reise kreuz und quer durch das Buch geschickt, und bei den über 400 Fußnoten muss man wahrhaftig aufpassen, dass man sich nicht verzettelt. Danielewski führt den Verfolger der Geschichte regelrecht an der Nase herum, lässt ihn dabei wie einen Ermittler bar jedweder Orientierung im Dunkeln tappen, legt falsche Fährten, schubst ihn daraufhin wieder in die richtige Richtung, sodass bis zur letzten Seite eine zermürbende Spannung bestehen bleibt. Kaum hat man sich Mindmaps zurechtgelegt, kann man diese bereits wenige Seiten später komplett verwerfen.

Bereits beim ersten Durchblättern fällt bei “Das Haus” die außergewöhnliche Typographie auf. Neben den verschiedenen Schrifttypen, die jeweils bestimmten Personen zugeordnet sind, ist zum Beispiel das Wort ‚Haus‘ stets in blauer Farbe gedruckt, auch in sämtlichen anderen Sprachen. Ebenso darf die Anordnung der weit über vierhundert Fußnoten als sehr progressiv tituliert werden, doch der Vogel wird erst durch das sonderbare Layout zahlreicher Seiten abgeschossen: Da stehen oftmals nur ein paar Wörter oder gar nur eines auf einer Seite, auf anderen Seiten steht der Text auf dem Kopf, ist diagonal gesetzt, quer über zwei Seiten gedruckt, hier und dort auf der Rückseite in Spiegelschrift und gelegentlich ineinander verzahnt. Und dann werden mittels der Textanordnung gerne auch mal optisch ein Treppenanstieg, ein reißendes Seil, reihenweise zuschlagende Türen, oder die Verengung eines Korridors simuliert.

Schnell kann man das Layout als selbstherrlichen Avantgardismus oder plakatives Anderssein verteufeln, doch wenn man die letzte Seite hinter sich hat – ungeachtet der noch wild umherhüpfenden Fragezeichen über des Lesers Haupt – darf man konstatieren, dass “Das Haus” anders gar nicht funktionieren würde. Primär könnte man dieses Buch, an dem Danielewski über zehn Jahre gearbeitet hatte – und das Christa Schuenke hervorragend übersetzt hat -, als eine Art Mystery-Horror-Thriller bezeichnen.

Dies wäre allerdings zu einfach, denn genauso finden sich bitter-humoreske, familiendramatische, pornographische, philosophische, kulturelle, wissenschaftliche, parawissenschaftliche, religiöse, religionskritische, historische, psychotische, manische, absurde, sozialanalytische und selbstrefexive Züge in all den Zeilen, und es ist nahe des Wahnsinns, welche Parallelen der Autor stellenweise zieht. Der Schriftsteller, aus dessen Feder auch das phantastische, ebenfalls sehr sonderbare “Only Revolutions” stammt, hat mit “Das Haus” einen Meilenstein der intelligenten, experimentellen Literatur erschaffen, der trotz aller Kreativeskapaden gut lesbar ist. Sicherlich erfordern die 1,2 Kilogramm Papier Durchhaltevermögen und komplexes Denken, doch das Durchhalten wird belohnt. Man könnte auch sagen: Verschlinge das Buch, bevor es Dich verschlingt.

Übrigens: Danielewskis Schwester, die als Sängerin und Songwriterin unter dem Namen Poe agiert, hat zu diesem Buch das edle Konzeptalbum “Haunted” geschrieben. Außerdem gibt es seit 2010 eine Hör-DVD zu erwerben: Ein Mitschnitt eines Hörspielexperiments des WDRs, der auf drei Wellen gleichzeitig je eine Version des Buchs ausgestrahlt hat.

Cover © btb/Klett-Cotta

 

  • Autor: Mark Z. Danielewski
  • Titel: Das Haus
  • Originaltitel: House Of Leaves
  • Übersetzer: Christa Schuenke
  • Verlag: Klett-Cotta (HC), btb (TB)
  • Erschienen: 2007 (HC), 2009 (TB)
  • Seiten: 832 (HC), 797 (TB)
  • ISBN: 978-3-608-93777-0 (HC), 978-3-442-73970-7 (TB)
  • Weblinks:
    Link zum “House Of Leaves”-Forum

 

Diese Rezension erschien ursprünglich im noisyNeighbours-Magazin #33, aus dem ich meinen für booknerds.de leicht modifizierten Artikel “mitnehmen” durfte. Vielen Dank dafür. Das Heft kann man sich unter dieser Adresse kostenlos herunterladen.


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