Martha Grimes – Das verschwundene Mädchen (Buch)


Martha Grimes - Das verschwundene Mädchen (Buch)»Wir redeten über das entführte Baby« – mit dieser denkbar simplen, aber effektvollen Exposition befinden wir uns schon unrettbar mitten in einem Rätsel, das den Namen zur Abwechslung mal auch verdient hat: Die Morde an Mary-Evelyn Deverau, Rose Queen und Fern Queen sowie die Entführung eines erst wenige Monate alten Kleinkindes.

Die US-Autorin Martha Grimes kennen viele aufgrund ihrer populären Krimi-Reihe um Inspector Jury. Die erste Begegnung mit einem Band der noch etwas weniger umfangreichen Reihe mit Emma Graham fiel so entzückend aus, dass “Das verschwundene Mädchen” voraussichtlich nicht der letzte mit Emma durchknobelte Fall bleiben wird. Die ist eine spezielle “Heldin”, jedenfalls für einen Kriminalroman. Denn, so setzt sich der Romananfang fort, »Ich, Emma Graham, zwölf Jahre, mit einem Tablett unterm Arm bei meiner Großtante im Zimmer, sie, Aurora Paradise, die den dritten Stock nie verließ, es vermutlich nicht mal täte, wenn jemand “FEUER” schrie.« Womit auch gleich eine zwar Hardcore-alkoholkranke, dennoch wichtige Helfergestalt vorgestellt wurde. Die andere ist übrigens der Sheriff ihres Heimatortes, La Porte, Spirit Lake. Mit der Unterstützung dieser beiden macht sich Emma auf, herauszufinden, was vor 20 Jahren wirklich im Luxushotel “Belle Rouen” vorgefallen ist…

Zu den zahlreichen PROs dieses saftigen, bis zuletzt fesselnden Schinkens (über 380 Seiten) gehören unter anderem:

  • Die “old school”-Erzählweise durch die Perspektive einer zutiefst liebenswürdigen jungen Dame – statt vom Autor gleichsam in das Hirn einer hassenswerten Gestalt eingesperrt oder quasi aus dem Off von den Kommentaren eines allwissenden Erzählers genervt zu werden.
  • Die Geschichte ist so spannend, wie sie lustig ist. Beispielsweise den überwiegend auf kulinarischem Gebiet durchgeführten Streichen, die Emma ungeliebten (da unliebenswürdigen) Hotelgästen spielt, kommt der Rang eines wirklich gelungenen Running Gags zu.
  • Unter anderem die detailfreudigen Beschreibungen und flammenden Vergleiche lassen Figuren vor Augen und Ohren erstehen, beispielsweise: »Miss Bertha sieht dagegen einfach nur zerquetscht aus. Sie geht so gebückt, dass ihr Kopf jeden Sommer näher und näher an den gebohnerten Fußboden des Speisesaals gerät. Ihr Buckel macht die Situation nicht besser, und sie braucht natürlich einen Stock, der wie ein Bohrer auf den Boden niedersaust« (S. 78).
  • Der Autorin ist es gegeben, eine Heldin zwischen Kind und Frau durch Menschenkenntnis und gutes Handwerk ins Leben zu rufen. Ihre Emma ist extrem klug, weiß aber beispielsweise bislang nichts vom Bürgerkrieg.
  • So ungeteilt, wie Emma ihre Sympathien verteilt, so auch ihre Antipathie. Für den Leser sind die Duelle mit “Erzfeindin” und Super-Tusse Regina Jane ein Fest.
  • Eine zarte, aber durchaus knisternde amouröse Wendung (Dwayne) darf nicht fehlen.

Zu den wenigen CONTRAs zählt: Angeblich ist Emma Sex noch total schleierhaft, wie der Leser mehrfach mitbekommt. Dennoch beschreibt/bedenkt sie später, wie ein Akteur »mit der Frau des Sheriffs in flagranti erwischt worden« war, fällt also gewissermaßen aus der Rolle. Weiterer kleiner Kritikpunkt: Das Buch ist nicht zu 100 Prozent in sich abgeschlossen. Man kann es mit äußerstem Lesegenuss als ersten Band der Reihe verschlingen, wird aber den Verdacht nicht los, dass ein gewisses Vorwissen über die vorhergehenden Geschehnisse (aus früheren Bänden) nützlich wäre. Das sind aber schon die einzigen Kritikpunkte an einem Werk, das jeden entzücken können sollte, der Krimis mit weiblicher Note zu schätzen weiß, die ihre Saftigkeit mehr aus Witz und Geist denn aus Blutströmen beziehen.

 Cover © Goldmann Verlag

Wertung: 13/15 dpt


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