Charlotte Förster & Justus Loring – Der moderne Spießer (Buch)


Charlotte Förster & Justus Loring - Der moderne Spießer (Cover © Tropen/Klett-Cotta) Spießer, das sind doch die Nachbarn, die mit 40 bereits einen Filzhut tragen, um 7:30 Uhr am Samstagmorgen die Hecke schneiden und den Kopf schütteln, wenn Punks, Headbanger, HipHopper oder Goths ihren Weg kreuzen? Spießer, das sind doch die, deren Fußmatten vor der Haus- oder Wohnungstür frei von jedem Steinchen und Staubkorn sind und deren Auto bereits am Samstagmittag, wenn die Frau die Familie zum Essen ruft, bereits blitzend im Carport steht.

Durchaus mag das vereinzelt noch so sein, doch das Bild ist offenbar obsolet – meinen jedenfalls die freien Journalisten Justus Loring und Charlotte Förster. Laut Buchinfo verabscheuen sie Rauhfasertapete, Discounterlebensmittel und Krieg und leben mit wachem Auge in Berlin-Prenzlauer Berg; Sie stellen fest: Es sieht ganz danach aus, als stecke im modernen Durchschnittsdeutschen deutlich mehr Spießertum als ihm lieb ist, denn der moderne Spießer findet, so die beiden, dass auch Mallorca schöne Ecken hat (obwohl er nie dorthin reist) oder aber der Champagner von ALDI (wo er niemalsnie einkaufen geht) doch gar nicht so übel ist.

Ebenso schaut der Neo-Spießer Filme und Serien natürlich nur im Originalton, trennt seinen Müll gewissenhaft und organisiert für seine Kinder bereits im Vorschulalter eine ausgewogene Mischung aus Bildung und Entertainment. Luca wird selbstverständlich zur freien Tanzgymnastik und zum HTML5-Programmierkurs “for Kidz” angemeldet, Nele bekommt einen Kalligraphie-Aufbaukurs und einen Mandarin-Crashkurs spendiert, während Noah sich auf Morgenyoga und Kreativmittagsschlaf freuen darf.

In  wunderbar ironisch, zuweilen sarkastisch gefärbten Kapiteln (in alter Rechtschreibung!) wird der typgerechte Kleiderschrank genauso unter die Lupe genommen wie die für den Spießer wichtigsten Filme oder Modemarken. Ebenso wird dem Thema Hund ein beachtlicher Teil des Buches gewidmet, dem guten Gastgeber Regeln auf den Weg gegeben, Prominente in Spießer und Nichtspießer unterteilt und die Weltgeschichte des Spießertums aufgerollt. Doch noch mehr Inhalte aus diesem Spießerkompendium anzureißen würde dem potentiellen Leser die Überraschung nehmen.

In “Der moderne Spießer” gehen die Autoren herrlich überzogen ans Werk, jedoch stets mit Stil – vor allem aber nehmen sie sich sympathischerweise selbst nicht ernst. Optisch aufgewertet wird das Buch durch angenehm simple Cartoons des heute 85-jährigen, hauptsächlich von seinen Karikaturen im Eulenspiegel-Magazin bekannten Karikaturisten Henry Büttner, doch da trotz des luftigen Layouts der Text das Hauptelement ist, ist dieses Buch keines, das man nach einer Stunde müde lächelnd zur Seite legt. Ganz im Gegenteil, man möchte nach einem oder zwei Abschnitten gern mal eine kleine Pause einlegen und muss nach etwas Selbstreflexion gelegentlich über sich selbst schmunzeln, weil man sich hier und dort eventuell wiedererkennt.

Ohnehin ist es eine sehr angenehme Sache, dass Förster und Loring nicht von oben herab die “anderen” Spießer belächeln und niveaulimbotanzend in Lästereien verfallen, sondern als “Leute wie wir selbst” beobachten und schreiben – und dabei auch einen imaginären Spiegel vor sich her tragen. Und das ist das, was gute Satire letztendlich ausmacht: Sich nicht zu weit über die zu erheben, die durch den Kakao gezogen werden und trotz aller Darüberlustigmache und Verballhornung ein Mindestmaß an menschlichem Respekt an den Tag zu legen.

Cover © Klett-Cotta/Tropen Sachbuch

  • Autoren:
    Charlotte Förster
    Justus Loring
  • Titel: Der moderne Spießer
  • Illustrationen: Henry Büttner
  • Verlag: Tropen Sachbuch/Klett-Cotta
  • Erschienen: 21.02.2014
  • Einband: Gebunden
  • Seiten: 176
  • ISBN: 978-3-608-50320-3
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite beim Verlag

Wertung: 12/15 dpt

 


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