Donna Tartt – Der Distelfink (Hörbuch, gelesen von Matthias Koeberlin)


Der Distelfink von Donna Tartt, Cover © der HörveröagIn ihrem neuen, dritten und bislang längsten Roman  – 1024 Seiten in Buchform, die auf diesem ungekürzten Hörbuch in 33½ Stunden vorgetragen werden – nimmt uns die amerikanische Autorin Donna Tartt nach kurzer Einführung mit ins Museum, wo man fortan in die Rolle des unsichtbaren und stillen Begleiters des dreizehnjährigen New Yorkers Theo Decker schlüpft und diese Rolle viele Jahre seines Lebens behalten wird.

Der in der ersten Person erzählende Theo hat sich einen Schulverweis eingehandelt – gemeinsam mit seiner Mutter begibt er sich auf den Weg zur Schule, um diesbezüglich dort ein klärendes Gespräch zu führen. Doch als unterwegs plötzlich Regen einsetzt, suchen die beiden Zuflucht im Trockenen, und die nächstbeste Gelegenheit ist das Metropolitan Museum Of Art. Die Zeit lassen sie nicht sinnlos verstreichen und nutzen sie mit dem Betrachten der ausgehängten Bilder, unter anderem Carel Fabritius’ “Der Distelfink”.

Doch dann löscht eine Bombenexplosion im Gebäude das Leben zahlreicher Menschen aus – auch das seiner Mutter. In seiner Selbstlosigkeit steht er auch einem älteren Mann bis zu dessen Tod bei. Der gibt Theo vor den letzten Atemzügen einen Siegelring. Allerdings wird dies nicht der einzige Gegenstand sein, den der Junge aus den Trümmern mit sich nehmen wird, sondern entwendet Carel Fabritius’ Gemälde, dessen Höhe und Breite kaum mehr als die Maße eines Bogens Briefpapier besitzt.

Doch wohin soll der gebrochene Theo nun? Denn sein Vater hat sich bereits lange Zeit zuvor vom Acker gemacht hat. Glück für Theo, dass ihn die wohlhabende Familie seines besten Freundes Andy wie ein Familienmitglied aufnimmt. Unverhofft taucht wenig später ausgerechnet der Vater wieder auf und holt ihn nach Las Vegas. Dort lernt er neue, teilweise wertvolle Menschen kennen, gerät aber gleichzeitig auf die schiefe Bahn. Drogen, Alkohol und Kriminalität nehmen in Theos Leben einen immer größeren Platz ein. Doch er versucht sich im Leben durchzuschlagen, lernt, Geschäfte zu machen, bemüht sich, einen Beruf wenigstens halbwegs professionell auszuüben und versucht auch sozial und hinsichtlich Liebe, seinen Platz auf diesem Erdball zu finden.

Distelfink
Carel Fabritius: “Der Distelfink”
Signiert und datiert 1654
Öl auf Holz, 34 x 23 cm
Den Haag, Mauritshuis
Bild: CC-Lizenz, Wikimedia Commons

Tartt schreibt diese Geschichte des Theo Decker äußerst bildhaft und mit einer Intensität und Präzision, beinahe in Perfektion, dass man von Anfang an diesem Menschen und die Personen um ihn herum derart nahe ist, dass man sich nicht selten dabei erwischt, verwirrt den Kopf freizuschütteln, um dessen gewahr zu werden, dass es sich bei “Der Distelfink” letzten Endes nur um eine ausgedachte Story handelt. Die Autorin nimmt den Leser an die Hand, lässt ihn in die Hülle Deckers schlüpfen und lässt den Leser (oder in diesem Fall Hörer) die beschriebenen Jahre fast so erleben, als wären es seine eigenen. Theo Deckers ehrliche (oder ehrlich geschriebene) Art verzaubert einen frühzeitig, sodass man sehr bald kaum anders kann, als gemeinsam mit ihm den unbestimmten, mit Hoffnung und Schicksalsschlägen gespickten Weg gemeinsam zu beschreiten.

Die Wortwahl Donna Tartts ist, obwohl dieses Werk so mächtig und ausladend ist, derart ausgefeilt, dass es schlichtweg erstaunlich ist. Sie geizt nicht mit Details, doch ihr Geschriebenes ist niemals auch nur ansatzweise mit Füllseln oder Worthülsen ausgestopft. Kein Gramm Fett befindet sich in diesen Tausenden von Zeilen, jede Szene ist im literarischen Sinn perfekt ausgeleuchtet und mit einer echt wirkenden Kulisse hinterlegt.

Man möchte Theo im Laufe der Jahre nicht selten in den Hintern treten, eifert allerdings mit ihm mit, wie sich seine Wünsche vielleicht doch irgendwann endlich erfüllen werden, man leidet mit ihm, man gewinnt ihn lieb und möchte ihm doch gern den Kopf waschen. Theo wird zu einem Freund des Lesers, ganz gleich, wie unperfekt oder gar verkorkst er ist. Man wünscht ihm, dass er aus seinem negativadurchsetzten Leben doch das Beste macht.

Seinen wahren Zauber erfährt dieses Epos allerdings erst durch den Sprecher Matthias Koeberlin, der bereits Andreas Eschbachs “Herr aller Dinge” sowie “Todesengel” und den männlichen Part von Gillian Flynns “Gone Girl” perfekt vertonte. Mit einem ungeheuren Einfühlungsvermögen und einer Stimmlichen Variabilität weiß Koeberlin den Figuren eine Gestalt zu verleihen und den Szenarien genau so viel Eindrücklichkeit zu verleihen, dass man als Hörer beinahe den imaginären fertigen Film zur literarischen Vorlage vor sich sieht – bis ins letzte Detail beschrieben und “schauspielerisch” makellos dargeboten, die Schnitte perfekt gesetzt.

Dürstet man als hörbuchaffiner Literaturliebhaber nach einer intensiv geschilderten, packenden, zuweilen dunklen aber niemals deprimierenden Geschichte, wäre es ein Frevel, den Distelfinken nicht für dreiunddreißigeinhalb Stunden auch mal durch auditive Gefilde schwirren zu lassen.

Cover © Der Hörverlag

  • Autor: Donna Tartt
  • Titel: Der Distelfink
  • Originaltitel: The Goldfinch
  • Übersetzer: Rainer Schmidt, Kristian Lutze
  • Label: der Hörverlag
  • Erschienen: 10.03.2014
  • Sprecher: Matthias Koeberlin
  • Spielzeit: 2006 Minuten (33:26 Stunden) auf 3 mp3-CDs
  • ISBN: 978-3-8445-1379-0
  • Sonstige Informationen:
    Vollständige Lesung
    Produktseite
    Erwerbsmöglichkeiten

Wertung: 15/15 dpt


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