Dorthe Nors – Handkantenschlag (Buch)


Dorthe Nors - Handkantenschlag (Cover © Osburg Verlag)”Handkantenschlag” ist eines der Bücher, die den Leser etwas ratlos zurücklassen.

Dorthe Nors, Dänin, dürfte als Schriftstellerin in Deutschland relativ unbekannt sein. Dies, obgleich sie in der Vergangenheit bereits drei Romane veröffentlicht hat. Den zugänglichen Informationen zufolge sind diese Romane allerdings zunächst einmal nur ins Englische übersetzt worden und sodann auch im englischsprachigen Raum veröffentlicht worden. Deutsche Übersetzungen waren demnach nicht zu finden.

Auch ”Handkantenschlag” ist zunächst auf diese Weise veröffentlicht worden – dies ergibt auch durchaus Sinn, denn der geneigte Leser muss wissen, dass es sich bei ”Handkantenschlag” um eine Sammlung von Erzählungen handelt.  Angesichts der großen und langen Tradition der ”american short story” ist das daher sehr verständlich. Und so verwundert es nicht, dass gerade die amerikanische Presse dieses Buch ausdrücklich lobt.

Stellt sich nun ganz klar die Frage:Hält dieser Erzählband auch das, was die New York Times schreibt, nämlich, dass manche Geschichten ”…brilliantly disturbing” seien?

Ja und nein könnte gesagt und geschrieben werden. Die Erzählungen sind teilweise losgelöst von einer täglichen Realität, sie scheinen in einer anderen Zeit verankert zu sein (Erinnerungen an J. G. Ballard kommen auf), auf jeden Fall sind sie jedoch so speziell, dass man sie nicht allzu schnell wieder vergisst.

Teilweise gelangt der Rezensent zu der Feststellung, dass Dorthe Nors von außen auf eine Welt schaut, die eine andere Realität umfasst. Distanziert und kühl sind diese Perspektiven. Aber es handelt sich um keine ”utopische” Literatur, nein, die Erzählungen sind im Hier und Jetzt verwurzelt, im Dickicht der menschlichen Seele und in den Auswüchsen derselben.

Als Beispiel mag hier die Geschichte ”Weibliche Mörder” genannt werden: Ein Mann, nicht näher bezeichnet, sitzt des nächtens vor dem Computer und liest Interneteinträge über weibliche Serienkiller. Diese sind selten, so erfährt der Leser. Zwei sind in der Geschichte erwähnt, tatsächlich einstmals existierende Frauen. Dieser Mann, dessen Frau Lebensgefährtin oben im Haus schläft, betrachtet beinahe nüchtern und distanzlos diese Frauen. Er stellt sich vor, daß man durchaus mit einer, Aileen Wuornos, in einer Kneipe, an der Theke Spaß hätte haben können.

Der Leser schreckt fast zurück vor so viel Nüchternheit. Am Ende dieser Geschichte fährt dann der Mann den Computer herunter, lauscht den letzten Geräuschen der sich drehenden Festplatte und geht sodann hoch zu seiner schlafenden Frau.

Als kurz und heftig ist man diese kurze Erzählung zu beschreiben geneigt, und vor allen Dingen offen hinsichtlich der Möglichkeiten sie zu interpretieren. Das muss man nicht immer, häufig auch nicht gewollt von dem jeweiligen Schriftsteller, aber Dorthe Nors lässt den Leser hier vollends offen in seiner Interpretation ihres Textes. Faszinierend offen! Alle möglichen Überlegungen schossen dem Rezensenten am Ende dieser Geschichte durch den Kopf. Die Sprache Nors ist eigentlich nordisch klar und direkt, aber die Beschreibung, wie der Mann die Stufe nach oben geht, Lärm vermeidend, ließ großen Spielraum zu Spekulationen. Und diese Spekulationen verändern sich immer wieder, je mehr der Prozess des Nachdenkens fortschreitet. Die Gedanken über diesen Schluss mäandern daher – ob die eine oder die andere Richtung die einzig mögliche ist, kann dahingestellt bleiben und liegt sicherlich in der Betrachtung des einzelnen Lesers.

Eines jedoch steht als Fazit aus sämtlichen Erzählungen fest: ein starkes Stück Literatur am Ende des Lesejahres 2014!

Cover © Osburg Verlag

Wertung: 14/15 dpt


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