The Zero Theorem (Spielfilm, DVD/BluRay)


The Zero Theorem Cover © Concorde HomeSollte Terry Gilliam seine Geburtstage überhaupt noch zählen, er käme mittlerweile auf die stolze Zahl vierundsiebzig. Vermutlich folgt er dem bekannten Sprichwort »Man ist so alt wie man sich fühlt«, denn statt nach fast fünfzig Jahren im Film- und Fernsehgeschäft an den Ruhestand zu denken, kann er bei den passenden Projekten die Finger immer noch nicht still halten. Statt Regiearbeiten standen in den letzten Jahren aber erst mal “nur” Schauspielerei und Voice-Acting auf dem Programm, denn sein letztes Regieprojekt hatte es in sich.

Sein letzter Film “Das Kabinett des Doktor Parnassus” stand und steht ganz im Zeichen Heath Ledgers, dessen Tod während der Dreharbeiten bekanntermaßen hohe Wellen schlug. Das Werk stand aber ohnehin unter keinem guten Stern, denn kurz nachdem der Film mithilfe von Computereffekten und einem Double zu Ende gebracht wurde, verstarb Produzent William Vince und Gilliam selbst wurde bei einem Autounfall verletzt. Der eigentlich für 2009 angesetzte Start seines nächsten Projekts konnte und wollte nicht gehalten werden, obwohl zu verschiedenen Zeitpunkten bereits große Namen unterschrieben hatten.

The Zero Theorem Filmszene 1 © Concorde Home EntertainmentErst 2012 traute sich Gilliam wieder an “The Zero Theorem”, bekam aber wie bei jedem seiner Filme trotz aller Schwierigkeiten einen namhaften Cast zusammen. Statt Ewan McGregor oder Billy Bob Thornton wurde Christoph Waltz für die Hauptrolle gecastet und Matt Damon ersetzte Al Pacino. Außerdem konnten Tilda Swinton, Ben Whishaw und Peter Stormare für das Projekt gewonnen werden, einzig die weibliche Hauptrolle übernahm statt Jessica Biel die relativ unbekannte Mélanie Thierry. Die Starpower konnte aber nicht dafür sorgen, dass der Film großen Anklang fand, auch wenn das bei Terry Gilliam-Filmen nicht immer etwas heißen muss.

“The Zero Theorem” markiert zwar die Rückkehr Gilliams ins Science-Fiction-Genre, unterscheidet sich sonst aber in vielerlei Hinsicht von seinen Klassikern “12 Monkeys” und “Brazil”. Knallbunt, verrückt und grell sind Gilliams Filme schon immer gewesen, und genau dafür wird er wie Tim Burton von seinen Fans geliebt. Hier aber setzt der Filmemacher noch einen drauf und generiert computergestützt eine Zukunft, in der Geschmack leider den Kürzeren gezogen hat. Unmögliche Frisuren, beißende Farbkombinationen und die wildesten Kleidungsformen gehen Hand in Hand mit einem Freizeit-Hedonismus, der von strengen Effizienzauflagen bei der Arbeit bis ins Unermessliche gesteigert wird. Der Alltag wimmelt von überdrehten Menschen, die sich aber trotzdem wohl zu fühlen scheinen. Ein Verdienst der gesellschaftlichen Ordnung geschaffen durch Management (Matt Damon), der als Chef der Firma Mancom alle Bürger rund um die Uhr überwachen lässt und ihre Leben bei Bedarf manipuliert. Reicht die anregende Welt mit ihrem Überangebot an Möglichkeiten und Verlockungen in Form von Menschen verfolgenden Werbungen nicht aus, hilft der Technokrat einfach nach. Dass ihm der Computercrack Qohen Leth (Christoph Waltz) ins digitale Auge fällt, ist leicht erklärt.

The Zero Theorem Filmszene 3 © Concorde Home EntertainmentDer eigentümliche Glatzkopf haust in einer ausgebrannten Kirche, weil er draußen wenig mit den bunt gekleideten Menschen und der schrillen Welt anfangen kann. Passenderweise spricht er von sich selbst im Plural, was seinen chronisch abgelenkten Mitbürgern aber ebenso wenig auffällt wie sein schlichter Kleidungsstil und seine fehlende Kopfbehaarung. Leider muss er (oder müssen sie?) aber täglich das stille Heim verlassen, um seinem Job in der Stadt nachzugehen. Das missfällt ihm auch deswegen, weil er seit Jahren einen wichtigen Anruf erwartet, den er auf keinen Fall verpassen will. Sein abermaliger Antrag auf Arbeitsunfähigkeit wird abgelehnt, woraufhin Qohen verzweifelt versucht Management zu sprechen. Dies gelingt ihm erst zufällig auf einer bizarren Party, bei der er auch zum ersten Mal die hübsche Bainsley (Mélanie Thierry) trifft, die ihn aus scheinbar unerfindlichen Gründen interessant findet. Mit Management geht Qohen schließlich einen Kompromiss ein: Er darf von zuhause arbeiten muss sich dafür aber einem mathematischen Problem widmen, an dem schon zahlreiche Kollegen gescheitert sind. Das Zero Theorem will die Frage nach dem Sinn des Lebens auf eine einfache Formel herunterbrechen: “0 = 100%”. Für Qohen ist diese Suche nach der perfekten Formel mit einer Suche nach sich selbst verbunden, seinem Platz auf der Welt und eben auch mit seiner ganz persönlichen Suche nach dem Sinn des Lebens.

Gilliam entwirft mit “The Zero Theorem” eine schauderliche Dystopie, die aber keine weit in der Zukunft liegende Gesellschaft zeigt, sondern vor allem gegenwärtige technologische und soziale Entwicklungen überzeichnet und problematisiert. Im Kleinen bedeutet das, dass das Auto der Zukunft Renault Twizy heißt und iPad-Partys bald Kopfhörer-Partys erweitern, im Großen, dass wir wegen all der Informationen und Reize keine Zeit mehr zum Ausruhen und Langweilen finden. Aber im Gegensatz zu zum Beispiel dem ähnlich gelagerten Spike Jonze-Meisterwerk “Her” manipuliert Terry Gilliam von Anfang offensiv die Zuschauer und will, dass sie dieser Zukunft rein gar nichts Positives abgewinnen können. Der Film springt zwar in einem atemberaubenden Tempo von Szene zu Szene, lässt aber kaum etwas unerklärt oder unkommentiert. Als Management von Qohen sagt, er sei der einzig verbliebene Gläubige, ist das durch das Setting, die Kleidung und das Auftreten des Protagonisten schon mehrfach ohne Worte ausgesprochen worden. Gilliams vermutlicher Ansatz: Das Hirn ist sowieso pausenlos mit dem Verarbeiten der unzähligen, schrillen Ideen beschäftigt, da kann ich nicht noch mit was Subtilem ankommen.

The Zero Theorem Filmszene 4 © Concorde Home EntertainmentDas Ganze wirkt wie ein großer Zirkus, der die benachbarte Freakshow geschluckt hat und nebenbei händeringend nach einem philosophisch wertvollen Twist sucht. Mit “Brazil” hat Gilliam es geschafft, solch einen Ansatz zu finden und die tückische Disziplin der Slapstick-Komik zu meistern. In “The Zero Theorem” bleiben viele Pointen wirkungslos, viele Szenen überflüssig und der Humor zuweilen plump bis peinlich. Auch einige Charaktere sind völlig überflüssig bzw. werden verschwendet. Ben Whishaw und Peter Stormare sind als Ärzte beispielsweise nur in einer Szene zu sehen, Tilda Swinton, die im Übrigen in etwa genauso aussieht wie in “Snowpiercer” darf als programmierte Therapeutin nicht viel mehr als langweiliges Zeug reden und schreien. Das hängt auch mit der Geringschätzung zusammen, die Gilliam für alle Charaktere empfindet, die nicht Qohen heißen. Mit diesem dürfen sich die Zuschauer trotz seines merkwürdigen Auftretens identifizieren, aber nur, weil er nicht so ist, wie die Anderen. Eigentlich steht er für einen kompromisslosen Konservatismus, den wir heutzutage als Weltfremdheit abtun und belächeln würden. Das machen die Mitbürger Qohens auch, in dieser Welt aber natürlich aus den falschen Gründen. Es erklärt sich von selbst, dass sich diese Gesellschaft im Laufe der Handlung selbst ad absurdum führt und der Film frei nach dem Motto “0 = 100%” von purem Nihilismus zeugt. Aber trotz dieser Schwächen ist der Film kein Komplettausfall.

Christoph Waltz verkörpert Qohen facettenreich und kann über manch einen Drehbuchschwachpunkt hinwegtäuschen. Die abstrakte Suche nach dem Zero Theorem wird interessanterweise durch eine Computersoftware visualisiert, mit der Qohen Formelbausteine zu einem beeindruckenden Gedankengebäude zusammenfügen kann. Ohnehin sind die Animationen trotz des schmalen Budgets allesamt gelungen und fügen der Welt logischerweise eine computergenerierte Komponente hinzu. Ebenfalls beeindruckend ist die Kirche, die über mehrere Wochen in Handarbeit komplett in einem Studio aufgebaut wurde. Dass sie trotzdem so authentisch wirkt, trägt dazu bei, dass ihr Verfall glaubhaft mit dem Verfall der gesellschaftlichen Werte in Verbindung gebracht werden kann. Die Fresken und Statuen sind so detailverliebt gefertigt, dass es weh tut zu sehen, wie mit ihnen umgegangen wird.

The Zero Theorem Filmszene 5 © Concorde Home EntertainmentAuch wenn Gilliams Zukunftsvision wie gezeigt brüchig und ideologisch fragwürdig ist, so bleibt er in der Umsetzung zumindest konsequent. Der radikale Nihilismus zeigt sich in immer wiederkehrenden Motiven wie den Auftritten der Hausratten oder Qohens Angewohnheiten. Der Werteverfall äußert sich beispielsweise auch noch in der hemmungslosen Freizügigkeit des weiblichen Geschlechts und dem fehlenden Taktgefühl der Menschen. Allerdings fehlt auch hier ein durchgängiger Ton, der das Ganze zusammenhält und den Zuschauer mitfühlen lässt. Wer nur auf der Suche nach dem verrücktesten Setting und den schrillsten Kostümen ist, der wird mit Terry Gilliam sowieso immer glücklich. Wer aber auf mehr aus ist, der wird von “The Zero Theorem” sicherlich enttäuscht sein, denn dem Film fehlt nicht nur ein (komödiantisches) Feingefühl, sondern auch die Tiefe, die der Titel implizieren könnte.

FAZIT: Terry Gilliam legt im hohen Alter einen seiner buntesten und schrillsten Filme vor. “The Zero Theorem” ist eine umfangreiche Ideensammlung, die zu einem pausenlosen Feuer auf die Nerven ansetzt. Gewohnt verrückt und stylish verliert sich Gilliam aber zu sehr in seiner Ablehnung der Zukunft (und Gegenwart) und versucht mit Polemik die Zuschauer auf seine Seite zu ziehen. Tiefergehende, philosophische Ansätze fehlen genauso wie Hoffnungsschimmer, stattdessen steht der Film für ein furchtbar konservatives Gedankengut. Damit holt sich Gilliam ironischerweise eine Zielgruppe ins Boot, die er selbst als oberflächlich abstempelt, denn neben Gilliam-Fans ist “The Zero Theorem” vor allem etwas für im wahrsten Sinne Schaulustige.

  • Titel: The Zero Theorem
  • Originaltitel: The Zero Theorem
  • Produktionsland und -jahr: UK, 2013
  • Genre:
    Science Fiction
    Comedy
  • Erschienen: 09.04.2015
  • Label: Concorde Home Entertainment
  • Spielzeit:
    180 Minuten auf 1 DVD
    256 Minuten auf 2 Blu-rays
  • Darsteller:
    Christoph Waltz
    Mélanie Thierry
    David Thewlis
    Lucas Hedges
    Tilda Swinton
    Matt Damon
    Ben Whishaw
    Peter Stormare
  • Regie: Terry Gilliam
  • Drehbuch: Pat Rushin
  • Kamera: Nicola Pecorini
  • Schnitt: Mick Audsley
  • Musik: George Fenton
  • Extras:
    Hinter den Kulissen, Featurettes, Interviews
  • Technische Details (DVD)
    Video:
    16:9, 1,85:1
    Sprachen/Ton
    :
    D, GB
    Untertitel:
    D, GB
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video:
    16:9, 1,85:1 in 1080p High Definition
    Sprachen/Ton
    :
    D, GB
    Untertitel:
    D, GB
  • FSK: 12
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite

Wertung: 7/15 dpt


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