Charlotte Lucas – Dein perfektes Jahr (Buch)


Charlotte Lucas - Dein perfektes Jahr (Cover © Bastei Lübbe)Die Autorin
Charlotte Lucas heißt eigentlich Wiebke Lorenz und ist wiederum unter einem anderen Namen in der Deutschen Buchwelt keine Unbekannte: Gemeinsam mit Ihrer Schwester schreibt sie unter dem Pseudonym Anne Herzt Psychothriller wie „Allerliebste Schwester“ oder „Alles muss versteckt sein“. Da das vorliegende Werk einem so gänzlich anderen Genre zuzuordnen wäre (wenn es sich denn einordnen ließe), erscheint der Griff zu einem Zweitpseudonym nachvollziehbar. Die Autorin lebt in Hamburg, (was die profunde Ortskenntnis erklärt, die im Roman allgegenwärtig scheint) und studierte in Trier Germanistik, Anglistik und Medienwissenschaft.

Der Griff zum Buch
Mehr denn je muss bereits die optische Aufmachung eines Buches überzeugen – das gilt mittlerweile nicht mehr nur im Buchhandel, wo die Haptik und der Spontankauf des Buchhändlers Freund sein können, sondern auch online in den als PDF publizierten Verlagsvorschauen und natürlich in den großen und kleinen Onlineshops des World Wide Web. In all diesen Disziplinen punktet der vorliegende Roman völlig, unabhängig vom Inhalt (dazu später mehr). Statt eines Goldschnittes sind die Seiten des Buches seitlich zartrosa gefärbt und das Titelbild erschließt sich dem Leser erst im Verlauf der Geschichte: Eine stilisierte Weltkugel, in der man den Titel sieht. Oben sitzt ein Mann im Schattenriss und liest ein Buch, und unten (am anderen Ende der Welt) liegt eine Frau und schreibt etwas. Ein lila Lesebändchen sorgt dafür, dass man sich auf den rund 570 Seiten nur metaphorisch, nicht aber im Sinne des Wortes, verlieren kann.

Für Hamburger, Träumer, Perfektionisten und unverbesserliche Optimisten
Zugegeben: Vermutlich zähle ich nicht zur angepeilten Kernzielgruppe, das dürfte bereits die oben beschriebene Aufmachung des Romans belegen. Andererseits: So wenig wie sich die Geschichte einem Genre zuordnen lässt, grenzt sie die Leserschaft auch auf Frauen, Männer, junge oder Alte ein. Wer in oder um Hamburg herum lebt, gelebt hat oder leben will, findet vielleicht besonders leicht gefallen an dem Roman, denn angefangen beim Innocentiapark bis hin zu den Schwänen der Alster, die irgendwo überwintern müssen, ist die Hansestadt, in der die zwei Protagonisten sich den Großteil der Geschichte aufhalten, allgegenwärtig.
Aber auch Nicht-Hamburger werden Freude an dem Buch haben, wenn Sie beispielsweise unverbesserliche Perfektionisten sind, die sich ihr Leben gerne geradlinig einrichten und Abenteuer nur nach genauer Planung zulassen, oder aber, wenn sie zu den Persönlichkeiten gehören, für die das Glas immer halb voll und jede Baustelle eine Chance, ist etwas Neues zu erschaffen und sich selbst neu zu erfinden. Wenn ihnen Romantik fehlt oder wenn sie so viel davon haben, dass sie anderen damit Freude bereiten. Wer sich am einen oder anderen Ende der Skala wiederfindet und irgendwie denkt, dass das Leben eben doch die besten Geschichten schreibt, der kann hier eine davon lesen.

Der biedere Verlagsinhaber
Die Geschichte umspannt, wie der Titel es bereits vermuten lässt, zeitlich etwas mehr als ein Jahr. Alles beginnt bei Jonathans morgendlicher Laufrunde um die Alster am Neujahrsmorgen, als er an seinem Fahrradlenker einen Filofax findet. Als ob das noch nicht ungewöhnlich genug wäre, ist der Kalender bereits vollständig ausgefüllt und JEDER Tag des gerade begonnenen Jahres lädt den neuen Besitzer zu für ihn spannenden Experimenten ein.

Als biederer, überkorrekter Hanseat lässt Jonathan zunächst nichts unversucht, um den Kalender seiner Besitzerin zukommen zu lassen, doch als die ersten Versuche aus verschiedenen Gründen nicht von Erfolg gekrönt sind, entschließt er sich, die Herausforderungen anzunehmen, die ihm das Schicksal in den Schoß gelegt zu haben scheint. Die Wahrsagerin Sarasvati, bei der er widerwillig einen Termin wahrnimmt, da der Kalender es vorschreibt, ermutigt den seit fünf Jahren allein lebenden jungen Mann, endlich wieder Abenteuer in ein Leben zu lassen, das vielleicht in allzu geregelten Bahnen verläuft.

Die quirlige Unternehmensgründerin
Wenig später lernt der Leser Hannah kennen, die so ganz anders ist als Jonathan. Außerdem gönnt sich die Erzählung den Kunstgriff eines Zeitsprungs und so erlebt der Leser, was in Hannahs Leben zwei Monate vor Jonathans Kalenderfund passiert. Die ambitionierte Kindererzieherin steht im Begriff, sich gemeinsam mit ihrer besten Freundin Lisa mit einer „Kinder-Event-Agentur“ selbstständig zu machen. Das entstehende Unternehmen klingt – das sei am Rande erwähnt – so glaubhaft und positiv, dass man sich vorstellen könnte, es existiere tatsächlich so in Hamburg oder sollte, wenn nicht der Fall, bald gegründet werden. Hannah ist mit Simon, einem etwas weniger lebensfroh eingestellten Journalisten, liiert und wartet sehnlichst auf den Tag, an dem dieser bereit ist, den nächsten Schritt zu gehen und ihr einen Antrag zu machen. Bei Hannah könnte also alles zum Besten stehen, wenn Simon endlich wieder zurück zu altem Lebensmut fände. Um dem schwer geprüften verkappten Schriftsteller auf die Sprünge zu helfen, denkt sich die tatkräftige Optimistin etwas ganz Besonderes aus: Ein Kalender als Anleitung für sein „perfektes Jahr“, in dem akribisch jeder Tag des bald beginnenden Jahres vorgeplant und mit zum Teil gemeinsamen Events oder kleinen Gedankenanstößen gefüllt ist.

Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf
Die Geschichte von zwei sehr gegensätzlichen Charakteren erzählen und durchleben zu lassen, ist der große Kunstgriff des Romans. Die Charaktere scheinen absichtlich oder versehentlich jede Gelegenheit zu verpassen, endlich persönlich miteinander in Kontakt zu treten. Als Leser ahnt man sehr schnell, worauf die Handlung hinausläuft, was einerseits etwas schade ist, aber andererseits der Idee zweier Erzählperspektiven geschuldet sein kann. Was bei Jonathan passiert, nimmt mitunter vorweg, was Hannah gleich erleben wird und umgekehrt.
Die Wechsel der Erzählperspektive sind nie verwirrend, da schon grafisch stets ein Bruch erfolgt und das Datum vorangestellt ist. Mitunter wünscht man sich als Leser gleich einer zweiten Kamera, endlich zu sehen, was Hannah respektive Jonathan denn gerade treiben. Denn wie die beiden Seite um Seite, Kapitel um Kapitel, zum Großteil ohne es zu wissen, umeinander herumschleichen, ist mitunter (im positiven Sinne) schwer tatenlos mit anzusehen. Ein Beispiel? So entschließt sich Hannah in einer Suchaktion, Flugblätter an der Alster aufzuhängen, wo der Finder des Kalenders regelmäßig zu joggen scheint. Angestoßen durch die befreienden Gedanken aus dem Kalender, entscheidet sich Jonathan zeitgleich, seine sklavisch durchgeführte Laufroutine vorerst einzustellen. Zum Mäusemelken!

Es gibt Stellen im Verlauf des Romans, da stand für mich als Leser ein Abkippen ins Banale, Klischeehafte im Raum. So scheint für Hannah alles gut zu laufen, bevor ein schwerer Schicksalsschlag die unverbesserliche Optimistin auf den Boden der Tatsachen zu holen scheint. An jenem Punkt der Geschichte gelingt es der Autorin, den Verlust und die Verarbeitung der Protagonistin glaubhaft darzustellen, ohne den positiven Grundtenor des Buches zu kippen.

Besonders gelungen hingegen sind jene Passagen, in denen sich die beiden Hauptfiguren so gerade eben verpassen. Beispielsweise bei einer Lesung von Sebastian Fitzek oder in einem Café, dessen Name im Kalender auftaucht. Das Besondere an diesem unfreiwilligen Versteckspiel ist, dass keiner der beiden weiß, wen er eigentlich sucht. Die Zufälle, die ein Treffen lange verhindern, wirken nie konstruiert, was den Roman über lange Strecken zu einem richtigen Pageturner macht.

Einzig und allein das Ende hat meine – unter Umständen übersteigerten Erwartungen – nicht erfüllt. Hier hätte ich mir etwas Bombastischeres, etwas weiter in die Zukunft Greifendes und vor allem etwas weniger Offenes gewünscht.

Wie sieht Ihr Kalender für das kommende Jahr aus?
Abseits der offensichtlich spannenden Geschichte rund um die Frage, was Hannah und Jonathan füreinander sein könnten, so sie sich denn begegnen, wirft der Roman auch einige Fragen zum eigenen Leben auf. Womit wartet man schon ewig ohne dass man einen Grund nennen kann? Welche unangenehmen, mitunter unsinnigen Dinge hat man unbewusst in seinen Tagesablauf integriert und hinterfragt sie gar nicht mehr? Wann hat man das letzte Mal einem Fremden vertraut und wurde dafür belohnt? Folgt die „Energie eines jeden Menschen seiner Aufmerksamkeit“? Erleben also Optimisten Gutes und Pessimisten Schlechtes (Hannahs Philosophie)? Oder erleben auch Sie einen „wohligen Schauer der Rechtschaffenheit“ wenn Sie Dinge stringent und zielgerichtet abarbeiten (Jonathans Credo)?

Fazit
„Dein perfektes Jahr“ vergeht wie im Flug. Einmal in die Hand genommen, fällt es schwer, das Buch wieder wegzulegen. Viele tolle Episoden, miteinander verbunden durch eine besondere Geschichte. Das Ganze äußerlich angesiedelt im Herzen Hamburgs und innerlich ganz dicht an der deutschen Seele irgendwo zwischen Spießbürger und Lebemann. Dazu ein Schuss Romantik wie aus einem älteren Film mit Meg Ryan und Tom Hanks.

Cover © Bastei Lübbe

Wertung: 13/15 dpt


2 Kommentare
  1. Hallo – ich habe das Buch am Weg zum Mount Everest Base Camp in einem Cafe eingetauscht.nun bin ich bei der letzten Doppelseite (565 und 566) angelangt und die ist herausgerissen!! Falls sie mir jemand abfotografieren und schicken könnte wäre ich SO dankbar! verena.zuschnig@gmx.net. danke! Verena

  2. Dein perfektes Jahr
    Leider muss ich zugeben, dass mich das Buch nicht komplett überzeugen konnte. Allerdings kann man das Buch gut durchlesen, zumal es auch einige witzige und gut ausformulierte Situationen darstellt.
    Leider wirkten die Charaktere auf mich überstilisiert und beinahe kindlich klischeehaft.
    Dennoch ist dieses Buch als leichte Lektüre, meiner Meinung nach empfehlenswert, da ich die Idee mit dem Kalender auch sehr kreativ finde und einige Zitate auch wirklich zum Nachdenken und Reflektieren anregen.
    LG Mary

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