Harte Ziele – (Spielfilm, Blu-Ray)


“Harte Ziele” (“Hard Target”) war 1993 die erste Hollywood-Arbeit John Woos nach seiner Übersiedlung ins Land der vorgeblich unbegrenzten Möglichkeiten. Was bedeutete, Freiheiten und vielfältige Improvisationen zugunsten eines genauen Drehplans und Nutzung fortschrittlicher Technologie aufzugeben. Kein gleichwertiger Tausch, denn auch wenn Woos Filme bis zu “Face/Off” (Ausnahme der unsägliche TV-Film “Black Jack” und die nicht wirklich gelungene Serie “Die Unfassbaren”, die auf dem vorzüglichen Spielfilm “Once A Thief” basierte) durchaus sehenswert waren, blieben sie doch nur ein matter, jugendfreier Abglanz vergangener Hongkong-Großtaten.

Dabei macht “Harte Ziele” (der deutsche Titel ist mal wieder unglaublich sinnig. Gemeint sind natürlich schwer zu treffende Ziele), eigentlich kaum mehr als eine Fingerübung, trotz seiner Mankos, auf die Thomas Gaschler in seinem Audiokommentar dezidiert hinweist, die beste Figur. “Im Körper des Feindes” (“Face/Off”) scheitert, trotz großartiger Einzelszenen und relativ spannender Handlung an seinem abstrusen, fast surrealen Drehbuch; der erfolgreiche “Mission Impossible II” ist nicht mehr als ein gelungener Teil des Franchises, toppt zwar Brian de Palmas Vorgänger, bietet aber nur gediegene Woo-Standards fürs Geld. “Operation Broken Arrow” hingegen ist ein netter Familienfilm, der Woos Lieblingsthema der Spiegelung/Gegensätzlichkeit von Freund/Feind-Konstellationen allzu routiniert abspult. Über “Windtalkers” und “Paycheck – Die Abrechnung” schweigen wir geflissentlich.

Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu existieren, dass Regisseure, die aus Hongkong in die Vereinigten Staaten übersiedeln, als Eintrittskarte einen Film mit Jean Claude van Damme drehen müssen. Tsui Hark hat es bei seinem Kurzaufenthalt gleich zweimal getan (“Double Team”, “Knock Off”) und dabei die hohen Gipfel Absurdistans erklommen, Ringo Lam machte eine Liebesbeziehung daraus und nahm sich van Damme gleich dreimal zur Brust. Er schlug sich tatsächlich am respektabelsten dabei, wenngleich John Woos Einstand mit dem muskulösen belgischen Kampftänzer auch einer nach Maß war.

“Harte Ziele” orientiert sich unübersehbar an “Graf Zaroff, Genie des Bösen” (“The Most Dangerous Game”) jener Parallel-Verfilmung zu “King Kong”, in der unter anderem Joel McCrea in die Hände des besessenen Inselbesitzers Zaroff fällt, der in der Menschenjagd die Krönung seiner Existenz sieht.

Bei John Woo wird aus dem philosophischen Diskurs allerdings krasser Klassenkampf. Der amoralische Emil Fouchon und seine ebenfalls nicht mit Nächstenliebe gesegnete rechte Hand und Fährtensucher Pik van Cleef organisieren in New Orleans Menschenjagden im großen Stil. Bevorzugt Obdachlose ohne Angehörige können sich gegen eine beträchtliche Summe von gelangweilten und schwerbewaffneten Großkapitalisten durch die Peripherie der Stadt jagen lassen. Schaffen sie es lebend bis zum Fluss, gehören die vorher zugesteckten Dollars ihnen. Haken an der Sache: Die Zahl der Verfolger ist beträchtlich, und Fouchon hat final auch noch ein tödliches Wörtchen mitzureden. Dank einer Polizei in Unterbesetzung und auf Streikposten sowie guter Beziehung zur örtlichen Pathologie, gehen die Todes- als Unfälle durch.

Bis es Douglas Binder, dargestellt von Ex-Navy Seal und Drehbuchautor Chuck Pfarrer, erwischt. Der hat nämlich eine Tochter, die ihn vermisst und sucht. Da die Polizei zu zögerlich ist, bittet sie den arbeitssuchenden Skipper mit Geldnöten, Chance Boudreaux um Hilfe. Der lässt sich breitschlagen und steht Natasha Binder zur Seite. Als zusätzlich einer seiner Freunde zu Tode gehetzt wird, nimmt er die Sache persönlich. Schlecht für Fouchon und seine Mannen. Denn der Cajun Boudreaux lockt die Horde erst in die Wälder Louisianas, dann in ein Lager für Mardi Gras-Accessoires und lässt dort nicht nur die Funken fliegen.

Es ist nicht gerade ein Ausbund an Komplexität, was uns Drehbuchautor Pfarrer auftischt. Laut Kommentator Gaschler, der Pfarrer während der Dreharbeiten traf, wollte man John Woo bei seiner ersten amerikanischen Regiearbeit nicht mit Grammatik überfordern und sorgte dafür, dass es Jean Claude van Damme nicht mit zu vielen “Th” zu tun bekam. Er strich trotzdem noch welche raus. Ein van Damme darf das. Wichtiger ist eh wie er sich schlägt und schießt. Was ihm beides unter der Ägide John Woos sehr gut gelingt. Jean Claude van Damme und sein Stuntmann tänzeln, hüpfen, prügeln, kicken und schießen, mit einer Pistole und natürlich mit zweien, wie der Regisseur es gerne hat, mit cineastischer Durchschlagskraft.

Die Actionszenen sind furios, mit den üblichen kleinen Schmankerln, die zu einem John Woo-Film zwingend dazugehören. Zeitlupe, Großaufnahmen, Italo-Western-Gestik, Explosionen en miniature und in groß, Ballistik als visueller Event, Schießereien aus allen Lagen, pittoreske Settings, Blutfontänen. Wobei der Film mehrfach der MPAA (Motion Picture Association of America, die für die Altersfreigaben zuständige Filmbehörde) vorgelegt werden musste, ehe er eine R-rated-Freigabe in den USA bekam. In Deutschland kursieren mindestens zwei Versionen. Die Kino- und die Unrated-Fassung sind auf der BluRay enthalten. Der Blutzoll ist hoch, speziell in der längeren Version, doch unterhalb Woos Hongkong-Standards und blutärmer als das, was mittlerweile tagtäglich über die Mattscheibe flimmert.

Schauspielerisch hat der Film breitflächiges zu bieten. Yancy Butler als Natasha Binder bleibt blass, was aber eher an der passiven ‘damsel in distress’-Anlage ihrer Rolle liegt. Immerhin kackt sie nicht völlig ab wie bei “Drop Zone” (besser war sie in der Hauptrolle der Serie “Witchblade”). Jean Claude “ich habe die Haare schön” van Damme als frisurentechnisches Vorbild aller Vokuhila-Träger zwischen Wanne und Eickel besitzt die nötige Dynamik für seine Rolle, darstellerisch wird er nicht sonderlich gefordert. Die gesamte Mimik des Films hat per se Lance Henriksen als Emil Fouchon gepachtet. Es kann gar nicht so viele Bahnhöfe geben, in die seine entgleisenden Gesichtszüge einfahren könnten. Gut, ein paar gibt er an Arnold Vosloo ab, der als Pik van Cleef wieder ein As ist.

Den Schauplatz New Orleans und Umgebung wissen John Woo und seine Kameraleute in rechtes Licht zu tauchen, bloß die vielfältige Musikalität der Stadt bleibt ziemlich außen vor. Die quirlige Action wird von solidem, aber unspektakulärem klassischem Rock untermalt, der um eine Slide-Gitarre erweitert wurde, die Südstaaten-Feeling hervorrufen soll.

Das “Lexikon des internationalen Films” (und damit auch der katholische “Filmdienst”) verurteilt “Harte Ziele” scharf: “Ein lediglich an der Vorführung ausgeklügelter Tötungsarten und neuester Handfeuerwaffen interessierter Actionfilm, der in seiner unreflektierten “Benutzung” gesellschaftlicher Randgruppen menschenverachtend ist und durch seine unverhohlene Aufforderung zur Selbstjustiz gewaltverherrlichend wirkt.” Unterschlägt damit aber geflissentliche die literarischen und filmischen Vorgänger und schon gar die Position Thomas Gaschlers und anderer Filmwissenschaftler, die in dem Film eine (oberflächliche) Kampfansage an eine sozialethisch desorientierte Gesellschaft sehen, in der die Bedeutung eines Menschenlebens nur nach seinem Marktwert berechnet wird. Die schlüssigere und visuell eindeutig belegbarere Position.

Wobei man den gesellschaftskritischen Aspekt nicht zu hoch ansetzen sollte. In erster Linie ist “Harte Ziele” ein inszenatorisch über weite Strecken famoses Action-und Destruktions-Feuerwerk vor faszinierender Kulisse, das die jeweiligen Vorzüge seiner Darsteller überzeugend ins rechte Licht rückt.

Die Extras des Steelbooks sind leider spartanisch gehalten, Sound und Vision sind sowohl bei der Kino- wie Unrated Fassung exzellent und von der Rückseite der Blechhülle könnte man sich glatt ein Poster anfertigen lassen. Als Reminiszenz an eine glücklicherweise (fast) ausgestorbene Haarpracht.

Kick It Like Van Damme

Am Ende gilt:

“Die Jagdsaison ist vorbei!”

Vorerst.

 

Cover & Szenenfotos  © Koch Media

  • Titel: Harte Ziele
  • Originaltitel: Hard Target
  • Produktionsland und -jahr: USA 1993
  • Genre: Action, Thriller
  • Erschienen: 09.02.2017
  • Label: Koch Media
  • Spielzeit:
     
    99 Minuten auf Blu-Ray (Unrated Fassung)
  • Darsteller: 
    Jean Claude van Damme
    Lance Henriksen
    Yancy Butler
    Arnold Vosloo
    Willie C. Carpenter
    Kasi Lemmons
    Wilford Brimley

  • Regie: 
    John Woo
  • Drehbuch:
    Chuck Pfarrer
  • Musik: 
    Graeme Revell
  • Kamera:
    Russell Carpenter
  • Extras:
    Kinofassung (HD, 96:05 Min.)
    Audiokommentar mit Thomas Gaschler (John Woo-Biograf), deutsch gesprochen (nur bei der Unrated Fassung)
    US-Kinotrailer (SD, 01:52 Min.)
    Deutscher Kinotrailer (SD, 01:52 Min.)
    Bildergalerie (118 Bilder) mit musikalischer Untermalung

  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video:
    1.85:1 (16:9)
    Sprachen/Ton
    : D, E, DTS HD-Master Audio
    Untertitel: 
    D, E
  • FSK: 18
  • Sonstige Informationen:
    Produktlink Blu-Ray
    Erwerbsmöglichkeiten

Wertung: 11/15 wirbelnde Vokuhilas


2 Kommentare
  1. “Es kann gar nicht so viele Bahnhöfe geben, in die seine entgleisenden Gesichtszüge einfahren könnten.”
    Grandios!
    Und auch sonst, geiler Text. Dafür lest man Booknerds, das sich einfach jemand aus Passion, wortgewandt und furios, über einen alten Film auslässt und dabei auf spritzigste Weise Erkenntnisgewinn und Sprachlust kombiniert. Danke, Jochen!

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