Das Buch Ä – eine Lesung von und mit Stefan Üblacker (Livebericht)


Lesung - Das Buch Ä - Farin UrlaubEs begann im Jahr 1998 – mit zarten 14 Jahren kehrte ich dem 90er-Jahre Trash- und Boygroup-Pop den Rücken und entdeckte richtige, handgemachte Musik für mich. Eine schon länger als ich selbst existierende Band zog mich unaufhaltsam in ihren Bann, war fast so etwas wie eine Offenbarung und ließ mich nie wieder los. Diese Band zaubert mir seit nunmehr neunzehn Jahren ein Leuchten in die Augen, Lächeln ins Gesicht und lautes Klopfen ins Herz. Die Rede ist von Die Ärzte aus Berlin (aus Berlin).

Nachdem bereits im Jahr 2001 die erste offizielle Biografie „Ein überdimensionales Meerschwein frisst die Erde auf“ erschien, folgte Ende letzten Jahres „Das Buch Ä“. War es damals noch Markus Karg, der mit Unterstützung von BelaFarinRod deren Werdegang zu Papier brachte, nimmt uns dieses Mal Stefan Üblacker mit auf eine Reise durch die bewegte Bandgeschichte. Üblacker startete im gleichen Jahr, als meine Band-Liebe erblühte, eine Die-Ärzte-Fanpage, leitete fast zehn Jahre später „den Die Ärzte ihr offizieller Fanclub“ und kam so in persönlichen Kontakt mit den drei Berlinern. Im Jahr 2014 begann er, die Biografie zu schreiben, sammelte riesige Mengen an Material, führte unzählige Gespräche mit den Die Ärzte sowie allen möglichen Menschen, die sie seit Jahren begleiten, und veröffentlichte schließlich zwei Jahre später das 928 Seiten starke „Buch Ä“ über die völlig zurecht selbsternannte beste Band der Welt.

Uns geht’s prima

Mit diesem Wälzer ist Üblacker nun auf Lesetour unterwegs – und selbstverständlich musste ich dabei sein! So machte ich mich am 19.05.2017 auf den Weg zum Dortmunder Junkyard, dessen Name ganz offensichtlich nicht zufällig gewählt wurde. Tatsächlich handelt es sich hier um einen alten Schrottplatz, der schon vor der eigentlichen Halle mit einer Besonderheit aufwartete: Toilettenwagen mit Vorhängen statt Türen vor den einzelnen Kabinen.

Ein wenig irritiert in der Halle angekommen, hieß es erst einmal warten. Auf der Bühne lümmelte sich bereits die Band, die zur musikalischen Untermalung der Lesung beitragen sollte. Wie sich kurze Zeit später, um etwa viertel nach acht, herausstellte, ist der Name „Reis against the Spülmachine“ Programm. Die beiden Jungs fingen an zu spielen und hatten mit ihren witzig-kreativen Songs rund ums Essen innerhalb von Sekunden die Sympathien und Lacher des Publikums auf ihrer Seite. Mit Coverversionen bekannter Lieder (zum Beispiel „Die Nektarine“ zur Melodie von „Teenagerliebe“ oder einem großartigen Medley zum Thema Pasta) spielten sie sich direkt in mein Herz und sorgten dafür, dass mir vor lauter Lachen das ganze Gesicht wehtat. Zum Ende ihres Vorprogramms riefen sie einen Schlagzeuger auf die Bühne, den sie, so erzählten sie jedenfalls, irgendwo in der Dortmunder Innenstadt aufgegabelt hatten. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei dem vermeintlichen Straßenmusiker um Stefan Üblacker, der mit diesem Auftritt die eigentliche Lesung einläutete.

Lesung - Das Buch Ä - Stefan Üblacker am SchlagzeugAnneliese Schmidt beim Frühjahrsputz

Im leuchtend orangen Zwirn nahm er neben Reis against the Spülmachine Platz und begann aus dem Leben der Die Ärzte zu erzählen. Angefangen von den ersten Berührungspunkten der einzelnen Bandmitglieder mit Punkrock über das Kennenlernen von Farin und Bela sowie ihre innige Beziehung zur Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften bis hin zum legendären Trennungskonzert auf Westerland füllte Üblacker die erste Hälfte der Lesung mit unzähligen wundervollen Anekdoten, uralten Bildern und Videos sowie vielen spannenden Geschichten, die selbst der eingefleischteste Fan noch nicht kannte. Um vorgelesene Zitate zu verdeutlichen, hielt er sich jedes Mal, wenn BelaFarinRod zu Wort kamen, ein Schild mit dem jeweiligen Antlitz des betreffenden Bandmitglieds vors Gesicht, was das Publikum auch nach dem x-ten Mal noch zum Schmunzeln brachte. Begleitet wurde der Autor, wie schon erwähnt, von den beiden Reis-Jungs, die unermüdlich Lieder der Die Ärzte spielten. Neben Altbekanntem wie „Ekelpack“ und „Anneliese Schmidt“ erfreuten sie uns auch mit einem niemals veröffentlichten Song („Sahnebonbon“) und dem von ihnen als „Hiddentrack in Buchform” bezeichneten „Frühjahrsputz“, einer jugendfreien Version von „Geschwisterliebe“, die bislang ausschließlich im Die Ärzte Songbook auftauchte. Denn: „Geschwisterliebe“ steht bis heute auf dem Index und darf nicht gesungen werden. Wie wir es auch von den Die Ärzte schon kennen, wies die Band explizit darauf hin, dass weder sie selbst das Lied singen noch uns dazu animieren dürfte. Die Melodie spielten sie natürlich trotzdem – und die gesamte Halle schmetterte lautstark los.

Oh, ich hab’ solche Sehnsucht

Der erste Teil endete mit einer so rührenden Schilderung des allerletzten Die-Ärzte-Konzerts auf Westerland vor der Trennung im Jahr 1989, dass ich Gänsehaut bekam. Als Reis against the Spülmachine dann auch noch „Zu spät“ spielten und tatsächlich fast ein bisschen das besondere Gefühl zu spüren war, dass ich sonst nur von Die-Ärzte-Konzerten kenne, stieg mir doch tatsächlich ein Tränchen ins Auge. Ein Blick in die Runde zeigte, dass ich damit nicht allein war.

Nun folgte eine Pause, die Üblacker dafür nutzte, fleißig Bücher zu signieren.

Der zweite Teil knüpfte direkt an und beschrieb, wie in Bela der Wunsch wuchs, die Band wieder aufleben zu lassen. Glücklicherweise ging es Farin ähnlich und gemeinsam mit ihrem neuen Bassisten Rodrigo Gonzalez setzten sie sich gleich mit ihrem ersten Lied ein Denkmal. „Schrei nach Liebe“ ist zwar im Hinblick auf die Chartplatzierung nicht ihr erfolgreichster Song, aber definitiv – wie sie auch selbst sagen – ihr mit Abstand wichtigster. Er ist bis heute DIE Hymne gegen Rechts.

Mädchen, warum hast du nichts gelernt?

Üblacker blickte auf die darauffolgenden Jahre zurück und machte dabei insbesondere die herrlich bekloppten Ideen der Die Ärzte zum Thema. Ob es nun eine CD in der Verpackung eines winzigen Pizzakartons („Jazz ist anders“) war, geheime Clubkonzerte unter Namen wie Laternen Joe und Nackt unter Kannibalen oder aber die Veranstaltung eines reinen Mädchen- und reinen Jungenkonzerts – BelaFarinRod sind, wie Farin es einst treffend formulierte, „vereint in Blödsinn“. Zur besonderen Veranschaulichung dieses Lesungsteils gaben Reis against the Spülmachine die Mädchen-Version von „Junge“, die damals eigens für das XX-Konzert getextet wurde, zum Besten.

Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe

Das Highlight des zweiten Teils war aber eindeutig die Beschreibung des Konzerts „Jamel rockt den Förster“. Jamel ist ein mecklenburgisches Dorf, das sich fest in der Hand von Neonazis befindet. Einmal im Jahr veranstaltet ein dort lebendes Künstlerehepaar das Festival für Demokratie und Toleranz, bei dem namhafte Musiker die Nazis zu Boden singen. Im Jahr 2016 war Bela B. für einen Auftritt dort vorgesehen und weil er unbedingt „Schrei nach Liebe“ spielen wollte, lud er auch Farin und Rod dazu ein. Kurzerhand verschob Farin seinen geplanten Urlaub, setzte sich mit Rod ins Auto und fuhr vier Stunden nach Jamel, um für etwa drei Minuten auf der Bühne zu stehen. Für die Band selbst, die Konzertbesucher und die anderen anwesenden Künstler wird dieser Überraschungsauftritt ewig unvergessen bleiben.

Lesung - Das Buch Ä - Kein Bock auf NazisDass „Schrei nach Liebe“ im Anschluss an diese Geschichte auch im Junkyard gespielt wurde – und es das Publikum dabei nicht mehr auf den Stühlen hielt – versteht sich von selbst. Es folgte noch eine ganze Reihe an Zugaben und als Üblacker und die Band schließlich die Bühne verlassen wollten, tönte es „Westerland! Westerland!“ aus den Reihen. Das ließen sich die Jungs nicht zweimal sagen. Beenden wollten sie den Abend dann aber mit etwas Romantischem und spielten – zu meiner besonderen Freude – „Teenagerliebe“. Um 00:00 Uhr, also fast vier Stunden nach Beginn, endete ein großartiger Abend voller schöner Erinnerungen, unvergesslicher Musik und lautem Lachen.

Hip Hip Hurra, alles ist super, alles ist wunderbar

Stefan Üblacker war ein charmanter, unglaublich sympathischer und humorvoller Gastgeber, dem seine Leidenschaft für Die Ärzte in jeder Sekunde anzumerken war. Dieser Abend hat mir einmal mehr bewusst gemacht, dass Ärzte-Fan zu sein ein bisschen so ist, wie einer Religionsgemeinschaft anzugehören. Man findet die Band und ihre Musik nicht einfach nur gut, man verehrt sie, liebt die drei Irren bedingungslos und lebt nach dem Kredo „Es gibt nur einen Gott – BelaFarinRod“. Und wie Üblacker am Ende der Lesung ganz sicher im Sinne aller Anwesenden sprach: Diese eine Liebe wird nie zu Ende gehen.

Bilder © Jasmina Driller


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