Klaus Mann – Flucht in den Norden (Buch)


Flucht in den Norden-Cover  © Rowohlt Taschenbuch VerlagAn einem Montagabend reiste ich durch die Einsamkeit Finnlands, fühlte innere Zerrissenheit und beweinte das Ende einen großer Liebe: „Flucht in den Norden“.

Johanna muss Deutschland verlassen. Zu tief ist sie in den kommunistischen Widerstand, dem auch ihr Bruder Georg und dessen Freund Bruno angehören, involviert. Unterstützt von ihrer Studienfreundin Karin flieht sie zu deren Familie nach Finnland, nicht ohne den festen Vorsatz, bald nach Paris zu reisen.

1932 bereiste Klaus Mann Finnland gemeinsam mit seiner Schwester Erika. Den Landschaftsbeschreibungen in „Flucht in den Norden“ zufolge müssen das Land, seine Weite und Kargheit großen Eindruck auf den jungen Schriftsteller gemacht haben. Zwei Jahre später hat sich das Leben Manns völlig verändert: Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten hat er Deutschland verlassen und seinen ersten Roman im Exil geschrieben, in dem er viele Impressionen dieser Reise verarbeitet.

Wie so viele seiner Texte enthält „Flucht in den Norden“ autobiographische Züge; vordergründig natürlich das überlebensnotwendige Exil und die Finnlandeindrücke, die Klaus Mann mit Johanna teilt, dann aber auch die Liebe Karins zu Johanna, die als Chiffre seines eigenen Begehrens gelesen werden kann. Erfreulich ist, dass Klaus Mann, im Gegensatz zu vielen anderen schwulen Autoren, die zarten und bald schon absterbenden Gefühle der beiden Frauen überhaupt thematisiert. Womöglich war es ein letztes Aufbäumen seiner Vorexilszeit, in der aus dem Jugendstoff „vielleicht ‘nur’ eine Liebesgeschichte“ geworden wäre, wie Klaus Mann in der Ankündigung 1934 selbst schrieb.

Die alles verändernde Liebe Johannas wird die zu Karins Bruder Ragnar, einem charismatischen Eigenbrötler, um dessentwillen sie ihre Abreise nach Paris immer wieder aufschiebt. Vor dem Panorama der finnischen Landschaft, die auch Ausdruck und Spiegelbild für die Gefühle Johannas ist, entwickelt der Autor den Grundkonflikt seines Werkes zwischen der Liebe der Hauptfigur zu Ragnar und dem Pflichtgefühl gegenüber den Kampfgenoss*innen in Paris.

Auch darin zeigt sich der autobiographische Charakter des Romans: Bei seiner Entstehung war Klaus Mann selbst Neu-Exilant. Ihn dürften dieselben Fragen umtrieben haben wie Johanna: Kann das Leben weitergehen und wenn ja, wie? Was kann und was muss aus dem Exil heraus für Deutschland getan werden? Wie groß ist die Rolle der und des Einzelnen in diesen Dingen?

Johanna ist hin- und hergerissen: Auf der einen Seite steht Ragnar, der sie jenseits aller gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verantwortung aufrichtig liebt, aber von dem ihr auch bewusst ist, dass er ihren Kampf um Deutschland weder versteht noch unterstützt. Auf der anderen Seite sind die Freund*innen in Paris, wo sich noch die vermeintlich unbedeutendsten im Streit um ihr Heimatland hervortun. »Denn man kann wohl aus seiner Heimat verbannt sein, und man hat sie mit falschem Pass verlassen; aber etwas von diesem Lande, das die Heimat bleibt, ist über die Erde verteilt – und dieses Etwas ist vielleicht sein Bestes […].« (33)
Am Ende bleibt Johanna (wie auch Klaus Mann) nur der Weg in die politische Pflichterfüllung, die – zum Trost oder zur Selbstversicherung – mit einigem, für Zeit und Autor nicht unüblichen, Pathos zelebriert wird: »Unser ganzes Heldentum wird sein, nicht unterzugehen, ehe es unser Schicksal verlangt.« (141)

Fazit: „Flucht in den Norden“ ist wohl nicht Klaus Manns größter Exilroman – zu gewichtig stehen ihm „Mephisto“ und „Der Vulkan“ gegenüber. Gleichwohl lohnt sich die Lektüre, um die emotionalen Anfänge einer solchen Entscheidung für das Exil zu begreifen und nicht zuletzt wegen der grandiosen Landschaftsschilderungen.

Cover © Rowohlt Taschenbuch Verlag

Wertung: 12/15 dpt


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