Megan Hunter – Vom Ende an (Buch)


Megan Hunter – Vom Ende an (Cover © C.H.Beck)In einer Klinik, die in der Wahrnehmung der namenlosen Protagonistin einer hell erleuchteten Arche gleichkommt, bringt die selbige ihr einzig mit dem Initial Z gekennzeichnetes Kind zur Welt. Anfang und Ende liegen in Megan Hunters Debüt „Vom Ende an“ nah beieinander. Die Welt, wie wir sie kennen, hat zu diesem Zeitpunkt, da ein neues Leben erst seinen Anfang nimmt, längst ein Ende gefunden. England, der repräsentierende Schauplatz, wird von einer Flut heimgesucht, die ganze Teile des Landes überschwemmt und die Einwohner zur Flucht zwingt. Die bis dahin geltende Weltordnung löst sich auf. Es herrschen apokalyptische Zustände, geprägt von Leere, Angst und Ungewissheit.

Die Endzeitvision der 27 Jahre jungen Autorin aus England erweist sich wider Erwarten als ein nur sekundär auf die weltliche Sorge um den Klimawandel verweisendes Narrativ. Vielmehr ist ihre Vision ein religiös orientiertes Gedankenexperiment, welchem diese Sorge als Exposition dient. Sie bietet dem von Hunter gezeichneten Szenario eine großartige Vorlage zur Einbindung theologischer Inhalte. Die Flut als Folge des Klimawandels und auslösende Katastrophe der Endzeit bildet die zentrale biblische Allusion, auf welche die Autorin in ihrer Dystopie mehrfach verweist.

Das Krankenhaus als archeartiger Ort, der neues Leben birgt sowie die erste Eingebung der Mutter das geborene Kind Noah zu nennen, greifen diese Anspielung auf. Obwohl Namen in der Welt nach der Flut, in der sämtliche Figuren lediglich mit Initialen benannt sind, zunächst bedeutungslos erscheinen, ist gerade der Verzicht auf sie zentraler Ausdruck der sich auflösenden Weltordnung, die einst durch Sprache und der daraus hervorgegangenen Namen reguliert worden ist. In der mütterlichen Entscheidung das Kind mit einem Z statt dem Namen Noah zu belegen, äußert sich entsprechend der dominierende Zwiespalt zwischen Hoffnungslosigkeit und Zuversicht der im Chaos versinkenden Welt. Mit ihrer Wahl entscheidet sich die während der Katastrophe Mutter gewordene Protagonistin, anders als viele andere Mütter um sie herum, gegen die Vorstellung ihr Kind namentlich zum Hoffnungsträger zu erheben. Ihre Wahl fällt stattdessen auf einen symbolisch negativ behafteten Buchstaben. Bereits durch seine Stellung im Alphabet verweist Z auf das Ende. Zeitgleich ist er Zeichen des nicht Identifizierten. Die Trostlosigkeit bricht auf diese und ähnliche, oftmals symbolische, Weise stetig durch die knapp, aber intensiv geschilderte Mutter-Kind-Bindung und katapultiert den Leser aus potentiell wunderbaren Momenten intimer Zweisamkeit zurück in die graue und düstere Realität des Romans.

Dass Hunter sich zuvor primär der Lyrik verschrieben hatte, ist der Struktur ihres Debütromans zweifellos anzumerken. Der Text setzt sich aus vielen stark verknappten Absätzen, teilweise aus einzelnen kurzen Sätzen bestehend, zusammen. Darunter mischen sich immer wieder kursive Abschnitte, welche Ideen aus diversen religiösen, aber auch mythologischen Texten aus aller Welt in sich vereinen. Das Mosaik, das sich daraus ergibt ist so letztlich weniger ein ganzheitliches, als vielmehr ein vager Eindruck, zusammengesetzt aus diversen fragmentarischen Einzeleindrücken. Der auf Poetik und Symbolik konzentriert wirkenden Autorin gelingt auf diese Weise zwar Prägnanz, die mit ihrem ambitionierten Sujet angestrebte Tiefe sowie Einnahme des Lesers durch eine verstörende Abwechslung zwischen Brutalität der Ereignisse und Zartheit menschlicher Emotion, bleibt jedoch auf der Strecke. Viel zu kurz kommen die wahrhaft aussagestarken und intimen Momente dieses ehrgeizigen Debüts. Der leicht verworrene Handlungslauf, der sich überdies durch eine Vielzahl von Auslassungen und Zeitsprüngen ergibt, mag zwar als stilistischer Kunstgriff, der das Gefühl von Zeit als nicht fassbarem Element von der Romanwelt auf den Leser überträgt, funktionieren, wirkt sich insgesamt jedoch zusätzlich nachteilig auf die Spannungs- und Empathie-Entwicklung aus.

Der wagemutige, von Verlagsseite aus angestoßene Vergleich mit Cormac McCarthys „The Road“ macht zusätzlich auf die gescheiterte Ambition der Autorin aufmerksam. Tatsächlich erinnert ihr Roman sowohl inhaltlich als auch gestalterisch stark an dieses Meisterwerk postapokalyptischer Dystopie, in welchem in einzelnen kurzen Abschnitten Vater und Sohn namenlos durch eine zerstörte Welt voller Bibel-Allusionen streifen und angetrieben von der Liebe, die sie füreinander empfinden um ihr Überleben kämpfen. Auch bei Hunter steht die Bindung zwischen Elternteil, in diesem Fall die Mutter, und Kind im Zentrum des Geschehens. Und auch hier ist ein zweiter Elternteil im familiären Gespann weitgehend absent. Der Vater des Kindes, mehr als Nebenfigur vertreten, kommt und geht. Eine Ähnlichkeit der Romane ist nicht zu leugnen. Eine Gleichstellung allerdings allemal. Wirkt McCarthys Roman, insbesondere durch seine dichte Atmosphäre, die einfachen und doch aussagestarken existenzphilosophischen Dialoge sowie das allgemein geschickt verstreute theologische wie ontologische Gedankengut, das seine Romanwelt durchzieht, noch lange nach der Lektüre nach, bleibt Hunters Werk gerade diese Wirkung versagt.

Cover © C.H.Beck

  • Autor: Megan Hunter
  • Titel: Vom Ende an
  • Originaltitel: The End We Start From
  • Übersetzer: Karen Nölle
  • Verlag: C.H.Beck
  • Erschienen: 05/2017
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 160
  • ISBN: 978-3-406-70507-6
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite 
    Erwerbsmöglichkeiten

Wertung: 6/15 dpt


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