Best of Rainer Werner Fassbinder (Spielfilme/Dokumentation, 10 DVD)


Rainer Werner Fassbinder wäre heute 72, tot ist er seit 35 Jahren. Es war ein allzu kurzes, aber eben auch intensives Leben, das in seinem Output seinesgleichen sucht. Neben zahlreichen Theaterprojekten stellte er in 16 Jahren Schaffenszeit 44 Bildschirm-Produktionen in fast allen denkbaren Variationen fertig. Natürlich konnte bei dieser Arbeitsweise kein durchgängiges Qualitätslevel gehalten werden, ein umfangreiches Best Of lässt sich aber ohne Probleme zusammenstellen. Arthaus versucht sich nun an diesem Vorhaben, insgesamt neun Filme, einen Kurzfilm und eine Dokumentation umfasst das vorliegende Boxset. Über die Auswahl lässt sich – wie für eine Highlight-Zusammenstellung typisch – streiten und leider handelt es sich auch nicht um die neuesten DVD-Editionen. Ansonsten bietet „Best Of Rainer Werner Fassbinder“ einen guten Überblick über ein kontroverses und heute noch herausforderndes Werk als Beitrag zum Neuen Deutschen Film und dem Melodram mit satirischer wie zynischer Schlagseite über die deutschen Verhältnisse zu einem guten Tarif.

„Enfant Terrible“ oder „Bürgerschreck“ – Fassbinder war einer, der aus den verschiedensten Gründen aneckte. In den letzten Monaten des zweiten Weltkriegs geboren, wuchs er als Scheidungskind auf und brach die Schule ab, war aber gleichzeitig autodidaktisch veranlagt und eignete sich seinen Interessen (unter anderem in den Bereichen Philosophie, Psychologie, Film, Theater und Schauspielen) folgend einen beachtlichen Wissensfundus an. Seinen ersten Kurzfilm „Der Stadtstreicher“ filmte Fassbinder 1966, er war gerade volljährig geworden. 16 Jahre umfasst die darauf aufbauende Karriere, die sich teilweise kaum vom Leben des Regisseurs, Drehbuchautors und Schauspielers trennen lässt.

Chronologisch beginnt die vorliegende Auswahl mit „Katzelmacher“, Fassbinders zweitem Spielfilm, mit dem er 1969 zum ersten Mal ein größeres Publikum auf sich aufmerksam machen konnte. Von einem Durchbruch zu sprechen, ist im Zusammenhang mit Fassbinder und dem deutschen Publikum eigentlich kaum möglich, breite Wertschätzung für sein Werk hat er in der Heimat nie erfahren. Noch heute tut man sich schwer mit ihm, weil er es auf den Konflikt anlegt und den Deutschen immer noch den Spiegel vorhalten kann. „Katzelmacher“ basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück Fassbinders, was auch für die Machart des Films gilt.

Die Kamera verharrt statisch und lange auf den Charakteren, zeigt immer wieder die gleichen Orte, Handlungen, Tagesabläufe und Routinen. Selbst wenn die Kamera fährt, ist es immer die gleiche Szene mit anderen Figuren. Die Tristesse in Schwarzweiß wirkt zermürbend und langweilig auf die Zuschauenden, auch weil an dem Gezeigten kaum etwas Liebevolles zu finden ist. Die jungen Menschen sind im Alltagstrott rund um lieblosen Sex, Suche nach Zuneigung, Eifersucht, eingespielten Beleidigungen und dem blinden Streben nach Geld genauso gefangen wie sie an die wenigen Schauplätze und den engen Rahmen des Bildausschnitts gebunden sind. Als dann ein Gastarbeiter in die Nachbarschaft zieht, kocht die angespannte Stimmung hoch, der Ärger ist vorprogrammiert.

Fassbinder zeichnet schon zu dieser Zeit ein problematisches Bild des Nachkriegs-Deutschlands, wie man es damals gerne aus dem gesellschaftlichen Diskurs heraushielt. Das Wirtschaftswunderland wollte sich immer noch nicht mit der Aufarbeitung des Krieges und noch weniger mit dessen Folgen auseinandersetzen, es lief ja schließlich. Natürlich war Fassbinder ein 68er, doch machte er sich die Inhalte der Bewegung zu eigen und kreierte einen ganz eigenen Stil. Für ihn waren es eher die gesellschaftlichen Gegebenheiten, die das Individuum eindrängte und zu Reaktionen zwang. „Katzelmacher“ deckt demnach auch keinen für das deutsche Wesen typischen Rassismus auf, sondern einen davon unabhängigen gruppendynamischen Prozess. Um nicht selbst als die Schlechtesten dazustehen, beginnt die Suche nach einem Sündenbock, der sich besonders gut im Fremden, dem Ausländer, finden lässt.

Fassbinder spielt ihn selbst, wird erst als Italiener („Katzelmacher“) beschimpft, ehe sich herausstellt, dass er Grieche ist. Die Einsicht über die blinde Wut wird heute in den Debatten über den Rechtsruck in der westlichen Welt in der Folge der Flüchtlingssituation zwar aufgenommen, wurde bislang aber immer noch zu selten in politische Programme in Richtung soziale Gerechtigkeit umgemünzt. Das Bonusmaterial umfasst dazu passend den neunminütigen Kurzfilm „Das kleine Chaos“, in dem es um das aufrührerische Verhalten von jungen Erwachsenen geht und das laut seiner MitstreiterInnen Fassbinder nicht nur als Hauptdarsteller zeigt, sondern als Werk in seiner Essenz.

In der Box schließt sich „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ an, das drei später, 1972, erschien, in Fassbinders Zeitrechnung eine kleine Ewigkeit. In der unentwegten Arbeit an Filmen und Theaterstücken entwickelte sich schnell eine gewisse Herangehensweise und ein unverkennbarer Stil. Petra von Kant (Margit Carstensen) ist erfolgreiche Modedesignerin mit psychischen Problemen, die lieber den ganzen Tag im Bett liegt und ihre schweigsame Assistentin Marlene (Irm Herrmann) die Arbeit machen lässt. Sie ist verbittert und spricht nach der Scheidung von ihrem Mann über die Illusionen der Liebe. Als sie dann die schöne Karin (Hanna Schygulla) kennenlernt, vollzieht sie eine 180°-Wende und legt ihrer Geliebten naiv die Welt zu Füßen. Als Karin von ihren Liebeleien mit Männern erzählt und schließlich zu ihrem Ehemann zurückkehrt, ist Petra am Boden zerstört und kann sich kaum von der Liebe zu Karin lossagen.

Was erst viel später in die Betrachtung des Films einfließen konnte, ist die Einsicht, dass Fassbinder hier seine ganz persönliche Geschichte verarbeitete. Der Regisseur hatte zu diesem Zeitpunkt eine Affäre mit dem Schauspieler Günther Kaufmann hinter sich, der schlussendlich wieder zu seiner Frau zurückkehrte. Homosexualität ist zu Beginn der 1970er-Jahre immer noch ein Tabuthema, was Fassbinder viel mehr belastete als die Rezeption seiner Filme. Fassbinders Vorliebe für das Melodram nach Douglas Sirk schwingt in all seinen Werken mit, wird hier jedoch besonders deutlich. Petra von Kant ist an ihr Haus gefesselt, das Mobiliar und die Architektur spielen eine symbolische Rolle für die Figuren und ihr Innenleben. „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ ist eine psychologische Sezierung des Konstrukts Liebe, zugleich zeichnet der Film ein selbstreflexives Bild von Fassbinder, der ebenso gefährlich wie verletzlich wirkte, ein belesener Bully. In der Performance von Margit Carstensen sind passenderweise gewisse David Bowie-Vibes zu spüren, vor allem, wenn Petra sich immer wieder von Kopf bis Fuß, inklusive Perücke, neu verkleidet und erfindet.

Fassbinders Traum war es immer, nach Amerika zu gehen und Hollywood auf den Kopf zu stellen. Mit „Welt am Draht“ versuchte sich der Filmemacher an einer Romanverfilmung mit Blockbuster-Thriller-Flair. Fred Stiller (Peter Löwitsch) arbeitet an einem geheimen Projekt, einer computergestützten Wirklichkeitssimulation, die schnell Begehrlichkeiten bei der Wirtschaft weckt, die sich durch die Kraft der Voraussage einen Wettbewerbsvorteil erhofft. Daraus entwickelt sich ein zweiteiliger, knapp dreistündiger TV-Science-Fiction-Thriller, in dem die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Illusion verschwimmen und sich der Raum für Verschwörungstheorien öffnet.

Die Wahl auf den „Simulcron-3“-Stoff von Daniel F. Galouye wirkt zunächst außergewöhnlich, doch Fassbinder schafft es abermals, seine eigene Handschrift einzubringen. Er sieht das Potenzial, die Elemente des Melodrams effektvoll integrieren zu können, was ihm in der Zuspitzung der Vorlage sowie dem visuellen Konzept gelingt. „Welt am Draht“ wird zu einem Kommentar zur Willkürlichkeit der gesellschaftlichen Normen, zu eingefahrenen Strukturen und Korruption. Die Frage, ob man nicht selbst programmiert sei, ein Hirn im Tank, wird später ebenfalls auf Grundlage der Romanvorlage beispielsweise in „Matrix“ aufgenommen, die Liebe von und mit Programmen in „Her“ oder „Ex Machina“. Der exzessive Einsatz von Spiegeln wird fortan zu einem Markenzeichen Fassbinders, hier findet er als Visualisierung des inneren und äußeren Konflikts über die Wirklichkeit kunstvoll choreografierten Eingang. Wieder wird mit Konventionen gebrochen, denn Fassbinder nimmt sich viel Zeit und bedient nur selten die Genre-Erwartungen wie zum Beispiel actionreiche Sequenzen. Man kann sicherlich darüber diskutieren, ob „Welt am Draht“ nicht doch zu lang ausfällt und als Zwei-Stunden-Thriller nicht effektiver gewesen wäre. Fassbinder aber interessierte das herzlich wenig, ihm war eher daran gelegen, die Sehgewohnheiten zu hinterfragen und filmische Innovationen zu schaffen.

Am häufigsten wird wahrscheinlich „Angst essen Seele auf“ als Referenz herangezogen, wenn es darum geht, Fassbinders Vision vom Melodram zu analysieren. Das oft für seine Oberflächlichkeit und Sentimentalität verlachte Genre wird vom deutschen Filmemacher in ein Mittel zur Gesellschaftsbetrachtung beziehungsweise -kritik verwandelt und ist daher von größter Relevanz. Hier erzählt Fassbinder die Geschichte der unkonventionellen Beziehung von Emmi Kurowski (Brigitte Mira), einer über 60-jährigen Witwe, und Ali (El Hedi ben Salem), einem marokkanischen Gastarbeiter im besten Alter. Weder im Altersunterschied noch in ihrem Verhältnis einheimisch-ausländisch wird das Paar akzeptiert und von ihrer Nachbarschaft wie von Emmis Familie angefeindet. Nach ihrer Rückkehr aus den Flitterwochen scheint sich die Situation zum Positiven verändert zu haben, doch auf den zweiten Blick werden sie als Heuchler entlarvt, die ihr Verhalten höchstens aus eigensinnigen Motiven ändern.

Fassbinder verarbeitet abermals eigene Erfahrungen, denn auch mit ben Salem war er in einer romantischen Beziehung. Der sich aus Gruppeneffekten und Unwissen speisende Rassismus gegenüber dem Fremden kann eben auch auf Fassbinders homosexuelle Seite übertragen werden. Vorbildlich und schon fast lehrbuchhaft bebildert der Regisseur die Beziehung mit ihrem Umfeld, sprich mit der Nachbarschaft und der eigenen Wohnung. Die Kameraführung von Michael Ballhaus ist präzise durchchoreografiert und zeigt vor allem, wie die Räumlichkeiten in Übereinstimmung mit der Gesellschaft einpferchend auf die Figuren wirken.

1974 war nicht das einzige produktive, aber laut der Box das qualitativ dichteste Jahr in Fassbinders Karriere. Neben „Angst essen Seele auf“ erschien auch der Fernsehfilm „Martha“ mit Margit Carstensen und Karlheinz Böhm in den Hauptrollen. Martha ist eine Frau aus gutem Hause, die mit ihrem Vater in Rom weilt. Nachdem dieser auf der Spanischen Treppe einen dramatischen Herztod stirbt, muss Martha zur deutschen Botschaft, wo sie zum ersten Mal flüchtig auf den Geschäftsmann Helmut Salomon trifft. Als sie sich auf einer Feier wiederbegegnen, beginnt eine Beziehung, die vom sadistisch veranlagten Mann dominiert wird und die in Liebesfragen unerfahrene, Anfang 30-jährige Martha zunehmend in eine masochistische Rolle zwängt, denn dem Ehemann gilt es zu gehorchen. In der Romanvorlage „For The Rest of Her Life” von Cornoll Woolrich und dem Tabuthema Sadomasochismus konnte Fassbinder eine Basis für seine schwarzhumorige Sicht auf die einengenden Normen der Oberschicht erkennen, die er ein weiteres Mal mit Michael Ballhaus an der Kamera in überzogen dramatischen Szenen und kunstvollen Elementen (die Geburtsstunde des „Ballhaus-Kreisels“) umsetzte.

Ähnliches prangert auch „Fontane Effi Briest“ an, welches ebenfalls 1974 erschien. Fassbinder hält sich nah an der Romanvorlage von Theodor Fontane und versucht dabei unter anderem durch Weißblenden, einen Erzähler und Romanauszüge den Eindruck eines Leseerlebnisses auf die Leinwand zu bringen. Die Ehe der minderjährigen Effi (Hanna Schygulla) mit dem deutlich älteren Baron Geert von Innstetten (Wolfgang Schenck) zeigt die gesellschaftlichen Verhältnisse in den deutschen Landen Ende des 19. Jahrhunderts. Zwei völlig verschiedene Menschen heiraten aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit und den Aufstiegsmöglichkeiten, aber sicher nicht aus einem emotionalen Zusammengehörigkeitsgefühl. In seinem Ansatz, den Deutschen den Spiegel vorzuhalten, sieht Fassbinder bereits zu dieser frühen Zeit den Konflikt zwischen Rationalität und Neugier, zwischen Kapital und Menschlichkeit, der ihn bis zum Ende seiner Schaffenszeit begleiten wird. Durch die lange Spielzeit von 140 Minuten sowie die strenge Darstellung in Schwarzweiß wird „Fontane Effi Briest“ zu einem mühsamen Konsumerlebnis, was aber eben auch auf das Buch selbst zutrifft. In diesem Sinne ist Fassbinders Umsetzungsidee dann auch gelungen.

Wenn es um die Frage nach dem bekanntesten Fassbinder-Film geht, wird meist mit „Die Ehe der Maria Braun“ geantwortet. Der Beginn der BRD-Trilogie räumt mit der deutschen Nachkriegszeit auf und kritisiert den fehlenden Mut zu einem neuen Gesellschaftsmodell. Die Ablenkungs-, Vergessens- und Verdrängungskultur wurde zum Wirtschaftswunder ausgebaut, das zwar in einem atemberaubenden Tempo für breiten Wohlstand sorgte, das aber eben auch dem rational funktionierenden Kapitalismus Tür und Tor öffnete. „Profit statt Gefühle“, so entwickelt sich auch Maria Braun (Hanna Schygulla), die im Krieg geheiratet hat, sich aber ohne ihren in Gefangenschaft sitzenden Mann (Peter Löwitsch) durchschlagen muss. Eine starke Frauenfigur, die aber eben auch kompromisslos ausnutzt und sogar tötet. Der Regisseur findet ansprechende Bilder, beispielsweise wenn Maria im Pelz durch die Trümmer stakst, und hält einen trotz des zynischen Tons erstaunlich effektiv bei der Stange.

Spätestens 1978 ist Fassbinder international durchgebrochen und eignet sich als Marketingfigur für den „Neuen Deutschen Film“. Gleich nach der umfangreichen Produktion der Adaption von „Berlin Alexanderplatz“ im Serienformat sollte „Lili Marleen“ die Erfolgsgeschichte weiterspinnen. Das Bonusmaterial beleuchtet die Hintergründe des Films, der als Auftragsarbeit begann und in einen Kompromiss zwischen dem konservativen Produzenten und dem liberalen Fassbinder mündete. Das bekannte Volkslied „Lili Marleen“ verhilft Sängerin Willie (Hanna Schygulla) in der Nazi-Zeit zum Erfolg, doch gleichzeitig ist sie mit dem Juden Robert Mendelsson (Giancarlo Giannini) liiert. Die Geschichte basiert auf dem tatsächlich im Krieg gespielten Lied, das von den Nazis zunächst als demoralisierend, dann aber als von Sehnsucht getriebene Motivation verstanden wurde. Der doppelte moralische Konflikt wird deutlich, auch in der realen Vorlagefigur. Zwar machte sich Fassbinder den Stoff abermals zu eigen, trotzdem merkt man dem Film die Kämpfe hinter den Kulissen an.

Im gleichen Jahr kam „Lola“ ins Kino, der dritte Teil der BRD-Trilogie. Es geht sowohl um Lola (Barbara Sukowa), die sich als Prostituierte durchschlägt, als auch von Bohm (Armin Mueller-Stahl), der als neuer Baudezernent in eine bayerische Kleinstadt kommt. Letzterer versucht in seinem Elan und Idealismus die Verhältnisse neu zu regeln, bekommt jedoch schnell von der verkrusteten Verwaltung und dem Baulöwen Schuckert (Mario Adorf) die Grenzen aufgezeigt. Obendrein verliebt er sich auch noch in Lola, die ihn lange im Dunkeln tappen lässt, was ihre Arbeit und ihre Beziehungen angeht. Fassbinder zeigt im Kleinen das Große, das Einnorden der guten Idee durch Korruption und Vetternwirtschaft. Es entstehen gleich mehrere Beziehungsdreiecke, die von Bohm letztendlich zum Einknicken bringen und den Film auf eine äußerst bittere Note enden lässt. Fassbinder entwickelte gerade in der farbenfrohen Bebilderung eine Blaupause für folgende Genre-Werke. Das Highlight: Lola und von Bohm sitzen im Auto, er blau, sie rot beleuchtet und als sie sich schließlich küssen, verschmelzen sie zu einem hellen Weiß.

Teil zwei der Trilogie wurde 1982 mit „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ nachgeholt. Es ist nach Preisen bemessen Fassbinders Höhepunkt, wurde er doch im Zuge der Berlinale endlich mit dem ersehnten Goldenen Bären ausgezeichnet. Sicherlich hat man hier versäumte Chancen nachgeholt und andere Fassbinder-Filme hätten es eher verdient, die Visualisierung der im Vergleich zu den beiden anderen Teilen eher privatere Geschichte gelingt stilistisch jedoch voll und ganz. Fassbinder kehrt zurück zum Schwarzweiß und lässt ganz im Kontrast zum Vorgänger „Lola“ kaum Grautöne zu. Die strahlend weiße Praxis, in der die depressive Schauspielerin Veronika Voss (Rosel Zech) lebt, bekommt nur durch Personen von außen schwarze „Farbtupfer“. Selten wurde die innere Leere des Ruhms so effektiv alleine durch die Räumlichkeiten dargestellt.

Ebenso wirkungsvoll ist daran anknüpfend die Faszination für Stars, symbolisiert durch die Figur Robert Krohn (Hilmar Thate), der sich in Veronika Voss verliebt, obwohl er nichts über sie weiß. Als Sportjournalist möchte er eine Story über sie verfassen, doch die investigative Neugier mündet in eine Katastrophe, die die Gefahren des Starkults auf die Spitze treibt. Trotzdem kann für Veronika Voss Mitleid empfunden werden, scheint sie doch selbst wie gefangen in ihrer Situation und benutzt von ihrem Umfeld. Es ist der letzte Film der Box und Fassbinders vorletzter Spielfilm. 1983 starb der heute legendäre Filmemacher an einem Überdosis-Cocktail aus verschiedenen Drogen, er wurde gerade einmal 37 Jahre alt.

Ergänzt werden die neun Filme von der 2015 erschienenen Dokumentation „Fassbinder“ von Annekatrin Henkel. Die Regisseurin schaut im Gespräch mit Anhängern seiner „Clique“ und anderen KolaborateurInnen auf das rasante wie bewegte Leben des Rainer Werner Fassbinder zurück. Sicherlich fallen hier ein paar interessante Sätze, dennoch steht sich Henkel mit ihren Umsetzungsideen häufig selbst im Weg. Sie baut das Spiegelzimmer aus „Welt am Draht“ nach, möchte mit Cartoons auflockern und mit Rammstein im Soundtrack auf die Umstrittenheit Fassbinders aufmerksam machen, oftmals wirkt das Ganze aber zu bemüht und lenkt eher ab, als dass es unterstützt. Bemerkenswert ist allerdings, wie offen die Beteiligten mit der Person Fassbinder umgehen, die eben bei Weitem nicht nur gute Seiten an sich hatte. Die Gruppendynamik, die einer Kommune gleichkam, war sicherlich fruchtbar für ihn, aber auch aufreibend für seine MitstreiterInnen.

Besser funktioniert das Bonus Material auf den Film-DVDs, das meist in reduzierter Interviewform daherkommt, aber pointiert bestimmte Aspekte in den Fokus setzt. Das Material variiert in seinem Umfang von Film zu Film und reicht von Trailern bis zu kleinen Dokumentationen. Wer schon Fassbinder-DVDs im Schrank stehen hat, sollte sich im Klaren darüber sein, dass für diese Box keine neuen Editionen erstellt wurden. Zwar werden die Filme zurzeit nach und nach restauriert und auch auf DVD und Blu-ray veröffentlicht, hier aber werden ausschließlich die teilweise über zehn Jahre alten Erstveröffentlichungsversionen verwendet. Für einen Startpreis von knapp 55€ bekommt man allerdings eine Best-Of-Sammlung, die ihren Namen verdient hat und einen umfassenden Blick auf Fassbinders Werk zulässt.

FAZIT: „Best Of Rainer Werner Fassbinder” ist ein in seiner Inhaltsauswahl hochwertiges Boxset, das allerdings eine bloße Zusammenstellung von teilweise bereits lange erhältlichen DVDs ist. Für 55€ ist die Box aber dennoch attraktiv für all diejenigen, die Fassbinders Werke noch nicht ihr Eigen nennen, sie aber entdecken wollen (einzig die Dokumentation „Fassbinder“ kann das Qualitätslevel nicht halten). Fassbinder war in seinen Produktionen wie als Person streitbar und kontrovers, Leben und Kunst waren in seinem kurzen Leben kaum zu trennen. Die Deutschen tun sich immer noch schwer mit einem ihrer bekanntesten Filmemacher, doch lohnt sich die Rezeption seines Blicks auf die damalige Bundesrepublik als auch die Übertragung seines Werks auf die Jetztzeit. Wir sollten häufiger in den Spiegel schauen, den uns Fassbinder immer noch vorhält.

Cover und Szenebilder © Arthaus

  • Titel: Best Of Rainer Werner Fassbinder
  • Produktionsland und -jahr: D 1969-2015
  • Genre:
    Melodram
    Drama
    Comedy
    Dokumentation
  • Erschienen: 14.12.2017
  • Label: Arthaus
  • Spielzeit:
    1096 Minuten auf 10 DVDs
  • Darsteller:
    u.a.
    Hanna Schygulla
    Margit Carstensen
    Peter Löwitsch
    Rainer Werner Fassbinder
    Gottfried John
    Barbara Valentin
    Rosel Zech
    Irm Herrmann
  • Regie: Rainer Werner Fassbinder
  • Drehbuch: u.a. Rainer Werner Fassbinder
  • Kamera: u.a. Michael Ballhaus, Xaver Schwarzenberger
  • Schnitt: u.a. Juliane Lorenz
  • Extras:
     
    „Rainer Werner Fassbinder, 1977“, „Alle Türken heißen Ali“, „Eine deutsche Geschichte – R.W. Fassbinder und sein Film “Die Ehe der Maria Braun”; Interviews mit Michael Ballhaus, Karlheinz Böhm, Irm Hermann, Barbara Sukowa, Xaver Schwarzenberger und Peter Märthesheimer; Kurzfilm „Das kleine Chaos“; Liedvortrag von Brigitte Mira; Statement von Liselotte Eder; Todd Haynes über Fassbinder und das Melodram u.v.m.
  • Technische Details (DVD)
    Video:
    1,78:1 (anamorph), 1,33:1 (4:3 Vollbild)
    Sprachen/Ton
    :
    D
    Untertitel:
    D
  • FSK: 16
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite

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