El Topo – (Spielfilm, DVD/Blu-ray)


Cover "El Topo" © BildstörungAlejandro Jodorowksy ist nicht unbedingt für leichte Kost bekannt. Der chilenische Regisseur, Autor und Tausendsassa inszeniert seine Filme wild, symbolistisch und abstrakt. Mit “El Topo” fügte sich Jodorowsky einem dezidiert unterhaltsamen Genre, dessen Abstraktheit kaum von der Spannung zu trennen ist; der lose erzählerische Rahmen vieler Western öffnet Räume für Exzess und Gewalt. “El Topo” reizte diese Räume so weit aus, dass er bis 2012 in Deutschland indiziert war, unter der Ladentheke aber schon seit seiner Veröffentlichung 1970 als Klassiker und Mythos galt. Als Mythos ist der Film jedoch sehr viel besser eingeordnet denn als Western: Die aneinandergereihten Situationen lassen vieles entstehen – aber gewiss keine Handlung. (Daher verzichte ich hier auch weitgehend auf eine Inhaltsangabe.) Und auch, wenn die meisten Plots von Western von ihrer Reduktion leben: Ein Western hat einen Plot. “El Topo” hat Bilder. Großartige, ohne Frage.

Diese Bilder zeigen allerdings gleich zu Beginn ein Ausmaß der Grausamkeit, das die Werte der Menschlichkeit zu verletzen scheint: Ein Siebenjähriger erschießt den letzten Überlebenden eines Massakers. Blut färbt Wände und Pfützen der massakrierten Kleinstadt in der Wüste röter als die Farbeimer Clint Eastwoods die Kleinstadt in “Ein Fremder ohne Namen”. Dort streichen die Bewohner*innen ihre Stadt rot, um ihren Feinden Angst zu machen, bauen sich damit jedoch nur ihre eigene Hölle.Still1 El Topo (c) Bildstoerung

Das, normalerweise, ist die Pointe eines Films: Die Protagonist*innen machen das Eine (die Kleinstadt rot anstreichen) und den Zuschauer*innen wird das Andere klar (die Kleinstadt ist die Hölle). “El Topo” dreht dieses Prinzip um: Er zeigt das Andere, nämlich die Verletzung der Menschlichkeit, und den Zuschauer*innen kann das Eine klar werden: Es gibt keine Bedeutung. Wenn man sich jedoch von den Bildern gefangen nehmen lässt und “El Topo” realistisch schaut, dann sieht man nur einen Siebenjährigen, der tötet. Es ist nicht so, dass der Siebenjährige zum Töten gezwungen würde; und der Überlebende des Massakers bittet um den Tod – Kritik am Zwang, Kritik an Massenmorden ist “El Topo” nicht. “El Topo” ist eben keine Darstellung der Verletzung und Wiederherstellung (durch Kritik) von Würde. Damit gelingt Jodorowsky eine Inszenierung, die widersprüchlicherweise zutiefst menschlich ist: Das, was man hier noch am ehesten als Würde bezeichnen könnte, bildet die Leerstelle – sie wird nicht verneint und kann nicht angegriffen werden. Und aufgrund dieser Leere sollte “El Topo” auch nicht einfach als Geschmacklosigkeit abgetan werden.

Stattdessen bieten sich zwei Gründe an, warum und wie man den Film schauen sollte: Auf der einen Seite war “El Topo” ein Manifest der Gegenkultur und ist historisch unheimlich wichtig, um die oft unterschlagene, überaus unangenehme Gegenseite der Hippie-Kultur kennenzulernen. Auch, um die 68er zu verstehen, ist der Film ein stacheliger Schlüssel. Leere war Freiheit. Auf der anderen Seite scheitert Kritik im 21. Jahrhundert: Je mehr man die zahlreichen rhetorischen Verletzungen eines Trumps kritisiert, umso mehr wirbt man für sie. “El Topo” öffnet eine Welt ohne Kritik, denn er öffnet eine Welt ohne Werte – und damit ergibt er sich eine Suche, (so auch könnte der Plot am ehesten bezeichnet werden, in dem sich “El Topo” – so auch der Name der von Jodorowsky gespielten Hauptperson – verschiedenen Herausforderungen stellt und damit erzählerisch näher an Dantes “Göttlicher Komödie” oder Wolfram von Eschenbachs “Parzival” als an “Eine Handvoll Dollar” steht.) in der es nicht unsere Kinder sind, die uns retten, in der es nicht unsere Effizienz und Schnelligkeit ist, die uns weiterbringt, auch nicht die Religion, die Liebe, die Enthaltsamkeit, die Kontemplation oder das Wissen. Es sind die Zuschauer*innen mit ihren individuellen Deutungen, ihre Gespräche nach dem Film und ihren individuellen Beziehungen zu jedem einzelnen dieser Aspekte. Diese Offenheit, die einem mit jedem Individuum begegnet, muss man aushalten können – daher sei jedem, der sich vor dem Zerfall der Demokratie fürchtet, “El Topo” ans Herz gelegt. Wer sich allerdings vor dem Zerfall des Abendlandes fürchtet, dem wiederum sei Demokratie ans Herz gelegt… El Topo Still2 (c) Bildstoerung

Zur Edition lässt sich sagen, dass es natürlich wunderbar ist, dass Bildstörung den Film in formidabler Qualität in Deutschland vermarktet, auch das Cover ist nett. Der Blu-Ray-Aufdruck sieht ein wenig zu freundlich und verpixelt aus und das Rezensionsexemplar enthielt keine Extras (die Produktseite von Bildstörung gibt diverse Extras an), die daher unkommentiert bleiben müssen.

Cover und Stills © Bildstörung

Wertung: keine

  • Titel: El Topo
  • Produktionsland und -jahr: Mexiko 1970
  • Genre:
    Midnight Movie, Western, Kunstfilm
  • Erschienen: 2013
  • Label: Bildstörung
  • Spielzeit:
    120 Minuten (DVD), 125 Minuten (Blu-Ray)
  • Darsteller:
    Alejandro Jodorowsky
    Brontis Jodorowsky
    Mara Lorenzio
  • Regie: Alejandro Jodorowsky
  • Kamera: Rafael Corkidi
  • Schnitt: Federico Landeros
  • Musik: Alejandro Jodorowsky
  • Extras:
    siehe Produktseite Bildstörung (unten)
  • Technische Details (DVD)
    Video:
    1,33:1 – 1080p
    Sprachen/Ton
    :
    Deutsch LPCM Mono / Spanisch DTS-HD 5.1 & LPCM Stereo
    Untertitel:
    D
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video:
    1,33:1 – 1080p
    Sprachen/Ton
    :
     Deutsch LPCM Mono / Spanisch DTS-HD 5.1 & LPCM Stereo
    Untertitel:
    D
  • FSK: 18
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite
    Erwerbsmöglichkeiten

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