Gerhard Loibelsberger – Alles Geld der Welt (Buch)


Gier und Dekadenz, der Untergang ist schon in Sicht

Alles Geld der Welt
© Gmeiner Verlag

Wien. 1814 leiht Aaron Rosenstrauch dem Staat satte 100.000 Gulden zu sieben Prozent Zinsen, ein erster Schritt zur Gründung der Privatbank Strauch. Rosenstrauch will mehr, konvertiert zum Christentum, womit er das Recht erhält, Grundbesitz zu erwerben, und nimmt als neuen Namen Antonius Strauch an. Das Bankhaus wächst und gedeiht, ein Adelstitel folgt, doch im Jahr 1873 stirbt der Bankier und sein Sohn, Baron Heinrich von Strauch, übernimmt das Geschäft.

Heinrich gründet verstärkt Gesellschaften, die er an die Börse bringt. Allerdings sind es meist windige Spekulationen ohne große Geschäftstätigkeiten. Erst wenn genügend Aktien gezeichnet sind, steht das Startkapital für die Firmen zur Verfügung. Zudem gründet er die Niederösterreichische Wohnbaugesellschaft, denn der Bedarf an Wohnraum ist enorm. Es entsteht ein riesiger Boom, zumal am 1. Mai die Weltausstellung in der Residenzstadt eröffnet werden soll. Eine Millionen Besucher werden erwartet. Doch die Kosten hierfür laufen aus dem Ruder, immer wieder muss Heinrich mit neuen Darlehen die Kosten in Millionenhöhe stemmen. Die Bankgeschäfte gibt er daher bald an seinen Freund Ernst Xaver Huber ab, er selbst kümmert sich fortan um die weltlichen Gelüste und verprasst sein Vermögen bei mehreren Liebschaften.

„Ich war voller Gier und glaubte, dass sie ein Riesengeschäft werden würde. Aber jetzt, jetzt hab‘ ich den Scherm [die Arschkarte haben] auf. Die Baukosten explodieren – und ich finanziere diesen ganzen Irrsinn. Letztendlich ist die Weltausstellung purer Größenwahn.“ 

Auch dem Barbier Alois Pöltl entgehen die Börsennachrichten nicht. Kaum etwas scheint einfacher zu sein, als mit geringem Einsatz schnell Millionär zu werden. Er investiert seine Ersparnisse bei der Bank Placht, die eine Verzinsung von zwanzig Prozent verspricht. Huber und Pöltl träumen jeweils auf ihre Weise vom grenzenlosen Reichtum, während Heinrich bereits Böses ahnt. Es ist nur eine Frage der Zeit bis die Spekulationsblase platzt und alles in den Abgrund reißen wird.

Der Börsenkrach der Gründerzeit am 9. Mai 1873

In der sogenannten Gründerzeit schießen neue Bauprojekte in die Höhe. Überall fiebert man der Weltausstellung entgegen, deren Baukosten geradezu explodieren. Gleichzeitig steigen mit der erhöhten Nachfrage nach Wohnraum und dem erwarteten Zuschauerandrang die Preise, was wiederum dazu führt, dass die Besucher größtenteils ausbleiben.

„Bewahren Sie Ihre Ersparnis daheim unter der Matratze auf. Spielen S‘ auf keinen Fall an der Börse mit.“

„Aber das tun doch alle!“

„Ohne das ihnen bewusst ist, dass der Kapitalismus grausamer als das grausamste Raubtier ist.“

Vor dem historischen Hintergrund des Börsencrashs 1873 erzählt Gerhard Loibelsberger, der durch seine Joseph-Maria-Nechyba-Romane auch hierzulande bekannt ist, seine Geschichte. Diese dreht sich in erster Linie um das Bankhaus Strauch, um Heinrich, Huber und eben den Barbier Pöltl, wobei Letzterer sinnbildlich für den arbeitenden, rechtschaffenden Mann steht, der einmal im Leben ein großes Stück vom Kuchen abhaben möchte. Ohne Kenntnisse des Börsengeschäfts stürzt er sich blindlings in das Angebot mit dem vermeintlich höchsten Gewinn. Nicht ahnend, dass der Bankier Placht ein Hochstapler ist.

„Ein Kostgeschäft?“

„Jawohl. Sie kaufen mit dem eigenen und dem geborgten Geld Aktien. Diese Papiere geben Sie der Strauch & Compagnon Bank-Actiengesellschaft in Kost. Das heißt, Sie zahlen ein halbes Prozent per Woche dafür, dass wir die Papiere auszahlen und so lange aufheben, bis sie ihren Wert vervielfacht haben. Dann verkaufen Sie die Papiere, zahlen den Kredit zurück und streichen den Gewinn ein.“

„Und das funktioniert?“

Heinrich verfällt derweil in zunehmende Melancholie, zieht sich zurück und findet nur noch Gefallen an kulinarischen und erotischen Erlebnissen. Letztere nehmen ein wenig Überhand, was den damit einhergehenden Seitenumfang betrifft. Dafür entschädigen aber die gelungenen Darstellungen der damaligen Lebensverhältnisse sowie der Geschäfte an der Börse. Es wird reichlich getafelt und genossen, die Wohnverhältnisse sind teils bitter und der Wiener Dialekt ist allgegenwärtig. Zahlreiche Fußnoten sowie ein Glossar mit den verwendeten Ausdrücken dienen der Übersetzung, zudem gibt es ein „Verzeichnis der historischen Personen“; selbst der Urgroßvater des Autors findet Erwähnung und hat einen kurzen Gastauftritt.

Wer einen Ausflug in das Wien des 19. Jahrhunderts machen möchte oder sich für die Praktiken an der Börse, seriöse wie betrügerische, interessiert, der findet hier unterhaltsames Lesefutter. 

  • Autor: Gerhard Loibelsberger
  • Titel: Alles Geld der Welt
  • Verlag: Gmeiner
  • Umfang: 346 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: Juni 2020
  • ISBN: 978-3-8392-2686-5
  • Produktseite

Wertung: 11/15 dpt


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