The Texas Chainsaw Massacre (Blu-ray)


Satte 26 Jahre lang stand „Texas Chainsaw Massacre“ auf dem deutschen Index, bis sich die Bemühungen von Turbine Medien auszahlten und der Horror-Meilensteine 2011 ohne Jugendfreigabe erhältlich wurde. Erst jetzt erscheint der Skandalfilm zeitgleich mit Teil 2 in einer normalen, restaurierten und ungeschnittenen Blu-ray-Version und macht ein Stück Filmgeschichte für den Otto-Normal-Verbraucher zugänglich. Wie bei so manch einem Genre-Klassiker besticht „TCM“ nicht durch einen ausgeklügelten Plot, sondern durch seine einmalige Atmosphäre. Regisseur Tobe Hooper agiert beim Spiel mit den Extremen tatsächlich am Rand des moralisch Vertretbaren, doch genau deswegen konnte er die Geschichte des Horrorfilms auf eindrucksvolle Weise prägen.

Anfang der 1970er-Jahre explodierte der amerikanische Horror-Film, auch weil sich mit Low-Budget-Produktionen saftige Gewinne generieren ließen. 1974 warf dann Tobe Hooper seinen Hut in den Ring, der sein Projekt mit ganzen 140.000 US-Dollar im Rücken auf die Beine stellte. Der Plot von „Texas Chainsaw Massacre“ ist dermaßen simpel, dass er diese Bezeichnung kaum verdient. Fünf junge Freunde suchen das Haus ihres Großvaters in Texas, treffen auf dem Weg auf absurde Zeitgenossen, finden ihr Ziel schließlich in heruntergekommenem Zustand vor und treffen bei der Suche nach Benzin auf einen Kettensägen schwingenden Kannibalen-Berserker und seine Familie.

Diesen Reduktionismus kann man als hohl bewerten, doch wie die meisten Genre-Klassiker beweisen, spielt es keine Rolle, ob die Handlung nun komplex oder simpel ausgestaltet ist. Was zählt, ist die Stimmung, die sie erzeugen. „TCM“ ist in dieser Disziplin meisterhaft, weil das Werk nicht nur Style vorzuweisen hat, sondern auch subtil die Befindlichkeiten der Zeit in ein apokalyptisches Setting einwebt. Die ersten fünf Minuten setzen einen kunstvollen Splatter-Ton, der auch heute noch verstörend und ekelerregend wirkt. Auch sonst spart der Film nicht mit Unerträglichkeit, allerdings funktioniert diese trotz weiterer graphischer Momente vor allem auf der psychischen Ebene.

Es hätte den Hippies schon Warnung genug sein sollen, als sie in Texas eine Welt vorfinden, die sie vor dem dort herrschenden Wahnsinn kaum als weltlich wiedererkennen. Die Trunkenbolde und gealterten Cowboys, selbst die Trucks zeigen sich feindlich gegenüber den Ankömmlingen, die dann auch noch eine verstörende Episode mit einem Anhalter erleben. Die Geschichte vor der Kulisse eines chaotischen, kranken, morbiden, verwesenden und verdorrten Bundesstaats (was sich, wie in den Audiokommentaren geschildert, auf die Produktion übertrug) wird bis heute auch aufgrund ihrer subtilen Untertöne ganz unterschiedlich gelesen: Vietnam, Mystik, unterdrückte Sexualität, erbliche Krankheiten, Verfall der Sitten und der Moral, atomare Aufrüstung, Vegetarismus, all das kann in den krankhaften Wahnsinn des texanischen Landstrichs hineininterpretiert werden.

Nachdem sich zuvor munter gefürchtet und geschlachtet wurde, sind die finalen 30 Minuten für die letzte Überlebende wie für den Zuschauenden die reinste Qual. Sally schreit sich fast durchgängig die Seele aus dem Leib, wird geschlagen, gefesselt und gefoltert, bis sie sich im Delirium befindet. Irgendwie weiß sie sich aus den Fängen des übermächtigen Leatherface zu befreien, nur um in die Hände des nächsten Kriminellen zu geraten, der sie wieder zurückbringen. Diese ohnmächtige Qual war in Deutschland Grund genug, „TCM” mit dem Vorwurf der Gewaltverherrlichung zu indizieren, doch das greift zu kurz. Dass bestimmte Männergruppen Studien nach mehrmaligem Schauen auf die gezeigte Gewalt anspringen, deckt der Film auf, doch er heißt dies nicht gut. Dem Horror kann man sich nur nähern, wenn er in seiner absurden Realität gezeigt wird und das gelingt „TCM“ meisterhaft.

Denn Leatherface ist nicht nur eine Fantasiefigur, sondern wurzelt in realen Person Ed Gein, dessen Taten rund um zerstückelte Leichen schier unbegreiflich sind. Kannibalismus und die Schlachtung von Menschen werden auch in „TCM“ mit einem Kult verbunden, den sich Leatherface & co. in einem Staat der kruden Mythen selbst geschaffen haben, um zu überleben. Sie sind aufgedreht und hyperaktiv, agieren wie Tiere und bauen aus ihren Opfern mal Kunstwerke, mal verkaufen sie sie als gegrillte Speisen. Der Film ist perfide und pervers, aber nur, weil es seine Charaktere sind. Man kann, nein man muss Anstoß an dem Film nehmen, aber genau deswegen gehört er nicht verboten. „TCM“ ist ein Terroranschlag, dem man sich stellen und den man radikal ablehnen muss.

Die dargebotene Schauspielkunst ist im besten Falle überschaubar, die Effekte auch mal schief, doch trotzdem umgibt „TCM“ ein besonderes, angsteinflößendes Flair. Zahlreiche Fortsetzungen und Remakes haben versucht, das Erbe aufzunehmen, indem sie wahlweise das Original wiederbelebten oder völlig mit ihm brachen, doch kein Versuch reichte an Besondere des ersten Teils auch nur ansatzweise heran. Tobe Hooper hat den Slasher-, den Splatter- und den Exploitation-, aber auch den kontroversen Horror-Film geprägt, weil er sich der Geschichte des Horrors und seiner Elemente bewusst war, aus seinen beschränkten Mitteln visuell und soundtracktechnisch das Maximum herausholte und natürlich weil ihm einer der geilsten Filmtitel aller Zeiten einfiel.

Fazit: „TCM“ ist in mehrfacher Hinsicht ein Meilenstein der Filmgeschichte, weil er verschiedene (Sub-)Genres prägte und bis heute zitiert und wiederaufgelegt wird. Gleichsam macht sich jeder verdächtig, der den Film zu seinen Lieblingen zählt. „TCM” muss abstoßend und unerträglich sein, damit einem gar nichts anderes übrig bleibt, als ihn trotz seiner Schauwerte abzulehnen. Doch der Film kann nur weiterhin als Lehrstück dienen, solange er nicht auf dem Index steht. Nun gibt es das Meisterwerk nicht mehr nur als preisintensive Collector’s Edition, sondern auch als normale Blu-ray zu kaufen. Bleibt nur die Frage, ob man sich den Spaß wirklich häufig genug antut, damit sich der Heimkinokauf rentiert.

Cover © Turbine Medien

  • Titel: The Texas Chainsaw Massacre
  • Produktionsland und -jahr: USA, 1974
  • Genre:
    Horror
  • Erschienen: 26.10.2018
  • Label: Turbine Medien
  • Spielzeit:
    ca. 123 Minuten auf 1 Blu-rays
  • Darsteller:
    u.a.
    Gunnar Hansen
    Marilyn Burns
    Allen Danzinger
  • Regie: Tobe Hooper
  • Drehbuch:
    Kim Henkel
    Tobe Hooper

  • Kamera:
    Daniel Pearl

  • Schnitt:
    Larry Carroll
    Sallye Richardson
  • Musik:
    Wayne Bell
    Tobe Hooper
  • Extras:
    – Audiokommentar mit Regisseur Tobe Hooper, Kamermann Daniel Pearl und “Leatherface” Gunnar Hansen
    – Audiokommentar mit den Darstellern Marilyn Burns, Paul A. Partain, Allen Danziger und Ausstatter Robert A. Burns
    – Audiokommentar mit Regisseur Tobe Hooper
    – Audiokommentar mit Kameramann Daniel Pearl, Cutter J. Larry Carroll und Ton-Ingenieur Ted Nicolaou
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video:
    1,85:1 (1080p24 Full HD)
    Sprachen/Ton
    :
    D, GB
    Untertitel:
    D, GB
  • FSK: 18
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite

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