Beth Lewis – Wolf Road (Buch)


Beth Lewis - Wolf Road (Cover © Arctis Verlag)«Meist hat er nachts gejagt, weil er sagte, die Wölfe wären dann unterwegs, aber er hat nie ein Wolfsfell mit nach Hause gebracht.»

Ein Satz, der durch die nicht gesagten Worte zwischen den Zeilen Gänsehaut verursacht. Ein Satz, der deutlich macht, wer der Jäger, der Trapper genannt wird, wirklich ist. Ein Satz, der der achtzehnjährigen Elka bewusstmacht, dass sie den Mann, bei dem sie aufwuchs, gar nicht kannte.

Elka ist sieben, als sich ihr Leben ändert. Nachdem ihre Eltern auszogen, um das große Glück in Form von Gold zu finden, lebt das Mädchen bei seiner Großmutter. Eines Tages gerät die strenge Frau in ein Unwetter, das sie das Leben kostet. In den Zeiten nach der sogenannten „Riesendummheit“, während derer russische Bomben Nordamerika und die Zivilisation zerstörten, sind Unwetter eine ernstzunehmende Gefahr, die nicht selten den Tod bringen. Elka findet sich daraufhin allein im Wald wieder und wird von einem einsamen Jäger aufgegriffen. Der Mann mit den schwarzen Gesichtstattoos nimmt das Mädchen auf und bringt ihm alles bei, was er über die Welt weiß. Alles, was das Überleben im Wald und in der Wildnis sichert. Da sie seinen Namen nicht kennt, nennt sie ihn schlicht Trapper – und, wenn er es nicht hört, manchmal auch Daddy. Liebe erfährt sie durch ihn nicht, oft ist er brutal. Und doch verehrt sie ihn. Bis… ja, bis sie die Wahrheit erfährt. Bis Magistratin Lyon, die für Recht und Ordnung in der aus den Fugen geratenen Welt sorgt, in der Hütte auftaucht. Elka muss erkennen, dass Trapper ein Mörder ist, der mehrere Frauen und Kinder auf dem Gewissen hat. Sein Name ist Kreagar Hallet.

Die mittlerweile Achtzehnjährige flieht – nicht nur vor Kreagar, sondern auch vor Magistratin Lyon, die glaubt, dass Elka mit dem Mörder unter einer Decke steckt. Sie begibt sich auf die Spuren ihrer Eltern, will sie finden und ein neues Leben beginnen. Auf ihrer langen Reise trifft sie auf eine junge Frau, Penelope, die von einer anfänglichen Last mehr und mehr zu einer wichtigen Verbündeten wird. Gemeinsam stellen sie sich den lauernden Gefahren auf ihrem beschwerlichen Weg.

Die Welt, die Beth Lewis zeichnet, ist auf der einen Seite karg, rau und hart, auf der anderen Seite aber auch voller unberührter Natur. Das Leben nach der „Riesendummheit“ wirkt um Jahrhunderte zurückgeworfen, moderne Technik gibt es nicht mehr, Zivilisation wird nach und nach neu errungen. Erzählt wird die Geschichte von Elka, die unter einfachsten Umständen in der Hütte im Wald lebt. Fallen stellen, jagen, Kadaver ausnehmen, Feuer machen – das ist ihr Alltag. Lesen und Schreiben kann sie nicht, denn das hilft ihr in der Wildnis nicht weiter. Ihr ganzes Dasein ist ausgerichtet aufs Überleben. Und Trapper ist ihr Anker, der ihr genau das ermöglicht, indem er ihr sein Wissen weitergibt, sie auf sehr rohe Art und Weise in die Geheimnisse des Waldes einweiht. Deshalb reißt es Elka den Boden unter den Füßen weg, als der Mann, den sie zu kennen glaubte, aufhört, Trapper zu sein, und als Kreagar Hallet sein wahres Gesicht zeigt.

Elka ist ein Mädchen, das in der Wildnis aufwächst, eine unendliche Fülle an praktischem Wissen besitzt, stark und mutig ist, sich aber in der gerade wieder erblühenden Zivilisation überhaupt nicht zurechtfindet. Im Wald macht ihr niemand etwas vor, sie weiß die Zeichen der Natur zu deuten und fühlt sich sicher. Vor Bären, Wölfen und anderen gefährlichen Tieren hat sie mehr Respekt als Angst, denn sie sind Gefahren, die sie kennt und einschätzen kann. In der „echten“ Welt wirkt Elka hingegen unsicher und naiv, mit Menschen kann sie nicht umgehen und sie fühlt sich in ihrer Gegenwart unwohl. Unwohl und ein bisschen verloren, denn sie versteht die Menschen und ihre vermeintlichen Errungenschaften nicht. Als sie auf Penelope trifft, ist sie zunächst eher genervt, sieht sie nur als einen Klotz am Bein. Doch nach und nach begreift sie, dass Penelope sie perfekt ergänzt. Ihr Wissen hilft den jungen Frauen, sich in den Städten zu bewegen, Elkas Erfahrungen sichern ihr Überleben im Wald.

Das Zusammentreffen des ungleichen Paars, die innere Zerrissenheit Elkas, bis sie erkennt, welchen Nutzen Penelope für sie haben kann, und die gemeinsame Reise der beiden wirken nachvollziehbar, echt und authentisch. Elka ist nicht unbedingt ein sympathischer Charakter, aber der Leser hat schnell das Gefühl sie zu kennen, fühlt mit ihr und wünscht ihr, auch, wenn nicht alle ihre Handlungen auf Verständnis stoßen, dass sie ihr Ziel erreicht. Elka zu begleiten ist spannend, nervenaufreibend, tiefgründig, manchmal amüsant und unheimlich facettenreich.

Die Sprache ist ausgefeilt, bildhaft und teils poetisch. Die detailreichen Beschreibungen der Natur und der postapokalyptischen Welt ziehen den Leser in ihren Bann und geben ihm das Gefühl, selbst Teil dieser rauen Umgebung zu sein. Da Elka erzählt, ist diese sprachliche Schönheit immer wieder unterbrochen von derben Begriffen und Schimpfworten. Das ist anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, passt aber letztendlich wunderbar zu Elkas Wesen. Gerade dieses Durchbrechen der Sprachgewalt macht das Erzählte umso greifbarer.

Fazit: “Wolf Road” ist ein Buch über Rache und Gerechtigkeit, über eine lange Reise, eine ungleiche Freundschaft und die raue Schönheit der Natur. Mit Elka hat Beth Lewis einen sehr besonderen Charakter erschaffen, der vielschichtig, aber zugleich in seinen Mustern festgefahren, stark und selbstbewusst, aber auch unsicher und verletzlich, ein einsamer Wolf, aber dennoch auf der Suche nach Freundschaft und Liebe ist. Die sprachgewaltige Beschreibung ihrer Reise erzeugt eine dichte Atmosphäre, die den Leser nicht nur aus Elkas Augen in die Wildnis blicken, sondern die karge Umgebung fast selbst spüren lässt. Der Untergang der zivilisierten Welt steht nicht im Vordergrund, immer wieder eingestreute Erklärungen geben aber eine Ahnung davon, was in der Vergangenheit geschehen ist. Wir erfahren nur das, was Elka von ihrer Großmutter oder Penelope gehört hat. Beim Lesen werden wir zu Elka und erleben hautnah ihre Gedanken und Gefühle.

Cover © Arctis Verlag

Wertung: 14/15 heulende Wölfe

 


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