Lena Schätte – Das Schwarz an den Händen meines Vaters (Buch)

Mottes Vater gibt es sozusagen zwei Mal: einmal den nüchternen Vater, der sich auf der Arbeit in der Fabrik die Hände schwarz malocht und für seine Tochter da ist, einmal den besoffenen Vater, der die Finger nicht vom Alkohol lassen kann, unzuverlässig ist und das knappe Geld der Familie verspielt. „Als ich noch ein Kind bin, denke ich oft, ich habe zwei Väter. Den einen nüchternen, der schnell rennen kann und gute Verstecke kennt. Der auf alle Fragen eine Antwort weiß und wenn nicht, sich eine gute ausdenkt. […] Der mir seine Hand hinhält auf der Straße und ein bißchen beleidigt ist, wenn ich sie nicht nehme, weil ich mich dafür zu alt fühle. Und dann gibt es noch den anderen Vater. Der sich darüber legt und ihn verschwinden lässt.“ Die Ich-Erzählerin Motte in Lena Schättes Roman „Das Schwarz an den Händen meines Vaters“ erzählt das alles in einem überraschend sachlichen, aber zugleich sehr berührenden Ton.

In Mottes Familie sind trinkende Männer die Norm. Schon der Großvater hat sich betrunken und erfror im Rausch auf dem Rückweg von der Kneipe nach Hause. Der neue Mann der Großmutter trinkt zu Hause und schlägt seine Frau, die immer wieder flüchtet und doch wieder zurückkehrt. Die Frauen gehen praktisch damit um: Bier ist gut, weil die Männer dann harmlos bleiben, Schnaps macht sie aggressiv. Ansonsten werden die Folgen der regelmäßigen Räusche beseitigt und von den Frauen aufgefangen. Allerdings hat auch Motte – den liebevollen Kosenamen hat sie von ihrem Vater bekommen – ein mächtiges Alkoholproblem: Sie trinkt bis zur Bewusstlosigkeit, ist auf Feiern und Partys schnell vollkommen betrunken und ist mit einem Mann zusammen, der ebenfalls trinkt. Als ihr Vater eine Krebsdiagnose bekommt und die Aussichten für ihn sehr schlecht sind, beginnt es in Motte zu arbeiten.

Von Anfang an habe ich kein Interesse daran, nur ein bisschen zu trinken. […] Von Anfang an möchte ich besoffen sein. Ich trinke mich an diesen Punkt heran, an dem alles gleichgültig wird. Die Welt weit weg und dumpf scheint, ich mir selbst von außen zusehe. […] Es ist wie eine Narkose.S. 42

In 64 sehr kurzen und prägnanten Kapiteln schildert Lena Schätte die Geschichte von Motte und ihrer Familie, springt dabei hin und zurück durch alle Zeiten und gibt kleine momentane Einblicke. Wie einzelne Miniaturen beinhaltet jedes Kapitel eigentlich die gesamte Geschichte: Die tiefe Zuneigung, die Motte für ihren Vater empfindet – auch wenn sein Alkoholismus und seine Unzuverlässigkeit so oft zu Enttäuschungen führt. Das Leben, dass es auch nicht besonders gut meint mit der Familie und mit Pech nicht spart. Die Liebe des Vaters zur Tochter, der nie gewalttätig oder aggressiv wird und ihr – wenn er wieder nüchtern ist – aufrichtig verspricht, sich zu ändern. Und die Tatsache, dass Alkohol zum Alltag einfach dazugehört, wenn zum Beispiel nach dem Schützenfest alle noch bei Mottes Eltern tanzen und feiern und die Kinder den Alkohol ausschenken und heimlich die Reste trinken.

Fast auf jeder Seite wird deutlich, dass Kinder in einem Dilemma stecken, gefangen zwischen der Liebe zu den Eltern und der Enttäuschung, die durch den Alkoholismus entsteht. Während Motte vieles aus ihrer Kindheit mit in ihre Gegenwart bringt (und dieselben Fehler wiederholt), hat ihr Bruder es hingegen geschafft, sich emotional zu befreien und ein eigenes Leben als Erzieher im Kindergarten aufzubauen.

Dass die Geschichte so authentisch wirkt, liegt auch daran, dass die Autorin auf ihre eigenen Erfahrungen zurückgreift. „Ich komme aus einer Arbeiterfamilie aus dem Sauerland mit einem Suchtthema. Alles, was in dem Buch passiert ist, ist ganz nah bei mir, aber es gibt auch noch diese Prise von Fiktion“, sagt Lena Schätte in einem Interview bei WDR Westart. Ihr Buch hat sie einer Person gewidmet: „Für Papa.“

Fazit:

So nüchtern der Ton meistens ist und so schwer auch das Thema ist, „Das Schwarz an den Händen meines Vaters“ ist ein liebevolles und nachdenkliches Buch, voller Melancholie und Zuneigung. Mitgefühl entwickelt man für alle Charaktere, selbst für den Vater, der durch seine Trinkerei so viele Fehler begeht, die auch im Nachhinein nicht wieder gut zu machen sind. Die Sprache, die Autorin Lena Schätte verwendet, ist sachlich und trifft dabei Gefühle und Stimmungen so präzise, dass man sich unzählige Sätze im Text markieren könnte, weil sie so aussagekräftig sind. Das Buch gehört vollkommen zurecht zu den Nominierungen für den Deutschen Buchpreis 2025.

Wertung: 15/15 dpt

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