James Islington – The Will of the Many (Buch)

Ein kurzer Blick auf den Autor
James Islington ist kein Unbekannter in der Fantasy-Szene: Nach dem Erfolg der Licanius-Trilogie, die sich der Fachpresse zu Folge am großen Vorbild von Robert Jordans Rad der Zeit orientierte, hat er mit The Will of the Many ein neues, groß angelegtes Projekt gestartet. In der Rezeption des Autors wird oft sein Faible für komplexe System-Plotting-Strukturen und moralische Fragestellungen erwähnt.  Qualitäten, die auch dieses Buch prägen.


Worum es geht
The Will of the Many erzählt die Geschichte von Vis einem jungen, ungerecht behandelten, ungewöhnlich begabten Protagonisten und entfaltet um ihn herum ein Geflecht aus Machtstrukturen, religiös-politischen Institutionen und einer gesellschaftlichen Ordnung, die den menschlichen Willen auf eigentümliche Weise verteilt und nutzt. Die Welt ist durch Architektur, Nomenklatur und Gesellschaftsaufbau römisch und besitzt dystopische Züge in der Art wie Macht systemisch missbraucht und moralisch fragwürdige Handlungen legitimiert werden um das System zu erhalten. Über all dem steht eine fantastisch-mythologische Idee vom „geteilten Willen“, die den zentralen philosophischen Knoten des Romans bildet.


Wie ein Politthriller auf der großen Leinwand
Islingtons Sprache ist flüssig und stringent, was einem Werk dieses Umfangs gut tut. Wo viele Epen sich in erklärenden Passagen verlieren, hält dieses Buch die Balance zwischen Exposition und Vorantreiben der Handlung. Es gibt viele Szenen in „filmischer Qualität“ – präzise, visuell einprägsam, oft mit starker Emotionalität am Ende eines Abschnitts, die das Umblättern zur Pflicht werden lassen. Gerade dieses Wechselspiel aus detailreichem Weltenbau und atemlos voranschreitender Handlung hebt das Buch heraus.


Passt in keine Schublade, macht neugierig auf mehr
Was an The Will of the Many besonders fasziniert, ist der ungewöhnliche Genremix: Hier treffen antike, an das Römische Reich erinnernde Elemente auf ein dystopisches Gesellschaftsmodell und eine Idee von Magie oder Willensmacht, die eher philosophisch/technologisch als übernatürlich funktioniert. Das macht die Einordnung schwer — und genau das ist eine Stärke: das Buch ist zugleich Historienentlehnung, dystopisches Gesellschaftsexperiment und klassische Fantasy in einem.

Das groß angelegte, langfristig gedachte Konzept hinter den Mächten und Systemen erinnert an Strategien, die über Generationen wirken — und weckt Assoziationen zu epischen Zukunftsplänen wie dem Tausendjahresplan oder dem Rad der Zeit. Vom Setting her schlägt das Werk eine ähnliche Brücke wie Torsten Finks Imperium des Lichts: nicht in Ton und Sprache, wohl aber in der historisch entlehnten, römisch inspirierten Weltanlage.

Der Weltbau ist sorgfältig; viele Elemente werden nur angedeutet, um (hoffentlich) in späteren Bänden ausgebaut zu werden.

Tiefgang durch Charakterarbeit
Vis als Zentralfigur funktioniert exzellent: er ist nicht nur plotgetriebener Held, sondern ein komplex gezeichneter Charakter, dem man seine Ungerechtigkeit, seine Ambitionen und seine Zerbrechlichkeiten abnimmt. Man fiebert nicht nur mit weil er begabt ist, sondern weil Islington ihn mit zahlreichen, menschlichen Details versieht und auch Entscheidungen treffen lässt, die moralisch ambivalent bleiben.

Besonders eindrucksvoll ist, wie Vis gezwungen ist, seinen Zorn über das Imperium, das er zutiefst verabscheut, fast immer zu verbergen. Er lebt unter dem Radar, immer bemüht, nicht aufzufallen, und verweigert sich dennoch standhaft der gesellschaftlichen Konvention, einen Teil seines Willens abzugeben. Diese stille Rebellion verleiht der Figur eine enorme Spannung und moralische Tiefe.

Die Nebenfiguren sind häufig skizziert, aber nicht blass; sie erfüllen die Funktion, die nötig ist, und viele von ihnen werden durch kleine, aber prägnante Szenen erinnerungswürdig. Insbesondere Vis Freunde aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen und geografischen Teilen des Imperiums stammend (mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden) verdienen weitere Beachtung.

Wille, Schuld & Macht, das philosophische Herz des Romans
Das philosophische Thema trägt das Buch: der „geteilte Wille“, die Idee, dass Menschen Teile ihres Willens abgeben und dass diese Teile von einer mächtigen Ordnung instrumentalisierbar sind, öffnet einen weiten interpretatorischen Raum. Schuld wird hier nicht nur individuell, sondern strukturell gedacht: Wer bezahlt für ein sorgenfreies Leben mit der Abgabe seiner Autonomie? Wenn Menschen freiwillig Teile ihres Willens abgeben, sind sie dann noch verantwortlich für das, was „mit“ diesem Willen geschieht?

Islington setzt diese Fragen nicht als bloßen intellektuellen Diskurs ein, sondern erzeugt narrative Situationen, in denen die Theorie auf Blut und Alltag trifft. Das macht die philosophisch-moralischen Reflexionen für den Leser fühlbar.

Kritikpunkte
Über 900 Seiten… Der Umfang verlangt Geduld. Manche Passagen dehnen sich — nicht aus Mangel an Ideen, sondern weil Islington die Bühne weit öffnet und viele Fäden auslegt. Das kann Lesende, die ein strafferes Tempo bevorzugen, manchmal herausfordern. Außerdem gibt es Stellen, an denen sehr viel erklärt wird (für mich mitunter die spannendsten Passagen), was bei manchem Leser das Gefühl von „zu viel System“ erzeugen könnte. Das sind aber Nuancen die je nach Geschmack des Lesers mehr oder weniger ins Gewicht fallen mögen.

Vergleich & Einordnung
Für Leserinnen und Leser, die Sandersons präzisen Systemaufbau, Rothfuss’ atmosphärische Finesse oder die Jordan-ähnliche epische Spannweite schätzen, bietet The Will of the Many eine eigenständige Synthese: Härter im politischen Instrumentarium als manch klassische High Fantasy, dichter in der philosophischen Frage als viele dystopische Romane, aber mit dem erzählerischen Sog eines modernen Epos.

Gleichzeitig knüpft Islington mit seiner römisch angelehnten Kulisse an Traditionen an, die man auch in deutschsprachigen Werken wie Torsten Finks Imperium des Lichts wiederfindet – nicht in Ton oder Sprache, sondern in der Idee einer historisch inspirierten, organisch wirkenden Welt, die vertraut und fremd zugleich erscheint.

Ausblick
Der Roman endet nicht mit einem abgeschlossenen Kreis; ganz im Gegenteil: Gegen Ende werden zentrale Motive in neue, unerwartete Richtungen gezogen, und es öffnen sich Erzählräume, die klar auf den Folgeband verweisen.

Das völlig überraschende Finale bietet mehr Fragen als Antworten und weckt die Hoffnung, dass sich viele der im ersten Band ausgelegten Fäden im kommenden Teil verdichten werden.

Für alle, die nach dem letzten Kapitel fassungslos das Buch zuklappen, sei gesagt: The Strength of the Few erscheint in der deutschen Übersetzung am 2. Dezember 2025 — und dürfte dort fortsetzen, wo Band eins uns mit offenen Fragen zurücklässt.

Fazit
The Will of the Many ist ein beeindruckender Auftakt: ein literarisch versierter, inhaltlich dichter und erzählerisch packender Reihenstart. Islington gelingt das Kunststück, philosophische Fragen zugänglich zu machen, ohne die Spannung zu verlieren und genau darin liegt der Reiz dieses Buches.

  • Autor: James Islington
  • Titel: The Will of the Many
  • Teil/Band der Reihe: Hierarchy Series Band 1
  • Originaltitel: The Will of the Many
  • Übersetzer: Gerda M. Pum
  • Verlag: Adrian & wimmelbuchverlag
  • Erschienen: 03/2025
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 944
  • ISBN: 978-3-9858524-7-5
  • Sonstige Informationen:
  • Verlagsseite

Wertung: 14/15 dpt

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