„Liebe ist gewaltig“ erobert die Theaterbühnen

Aus „Liebe ist gewaltig“ wird „Familie(n) Ehre: Zwischen Sein und Schein“

Buch für die Stadt Theater 2025 © Ralf Kardes und Susanne Schneider
Buch für die Stadt Theater 2025 © Ralf Kardes, Susanne Schneider, Ulla Wetterling

Eine Jury aus Kölner:innen der Buchbranche ernennt seit über 20 Jahren ein Buch für die Stadt Köln. Für 2025 wählten sie mit dem Roman „Liebe ist gewaltig“ den Debut-Roman der Journalistin Claudia Schumacher. Neben dieser Auszeichnung  erhielt das Buch den Hamburger Literaturpreis „Buch des Jahres 2022“, den aspekte-Literaturpreis und den Newcomer-Preis des Harbour Front Literaturfestivals, sowie ein Literaturstipendium des Landes Baden-Württemberg. Immerhin. Nominierungen für hoch dotierte Buchpreise, wie den Deutschen Buchpreis oder den Preis der Leipziger Buchmesse blieben allerdings aus, obwohl das Feuilleton die literarische Qualität des Buchs hervorhebt. Vielleicht ist „Liebe ist gewaltig“  kein Buch für ein großes Publikum? Obwohl  – oder weil – das Thema des Romans, Häusliche Gewalt, allgegenwärtig ist in unserer Gesellschaft?

Eine Entwicklungsgeschichte von Opfern und Tätern

Auf den ersten Blick erscheint in „Liebe ist gewaltig“ der Vater als ein typischer Patriarch, der von seinen Kindern und seiner Ehefrau Perfektion verlangt und Fehlverhalten bestraft. Von den Kindern erwartet er überdurchschnittliche Leistungen in der Schule und in ihren Hobbies, von der Ehefrau eine Model-Figur und ein makelloses Bild einer perfekten Partnerin an seiner Seite. Doch weil der Patriarch alles andere als stark und selbstbewusst ist, wird er zum Schläger. Dann, wenn er vermeintlich Schwachen seine Stärke demonstrieren will. Und vor allem dann, wenn die vermeintlichen Schwachen stärkere Leistungen zeigen, als ihm je möglich waren. Wie kann man überleben und sich behaupten gegen einen solchen Narzissten? Sich unterwürfig geben, wie die Ehefrau? Oder rebellieren, wie Bruno und Juli?

Wie kann man ein so komplexes Thema auf die Bühne bringen?

Buch für die Stadt 2025 © Ralf Kardes
Buch für die Stadt 2025 © Ralf Kardes

Die Projektgruppe in Köln-Ostheim, die sich bereits zum neunten Mal vornahm, das „Büch für die Stadt Köln“ auf die Bühne zu bringen, fragte sich, wie dies mit „Liebe ist gewaltig“  gelingen könne. Nicht nur aufgrund des brisanten Themas und heftiger Szenen, sondern auch, weil das Buch zu einem großen Teil aus inneren Monologen der Protagonistin besteht. Juli, die sich später Jules und Julia nennt, erzählt aus drei Phasen ihres Lebens: als 17-jährige über ihre Kindheit und Jugend im Elternhaus, vier Jahre später über ihre Zeit als Studentin in Berlin, und noch einmal zwei Jahre später über den Lebensabschnitt in Zürich. Die Herausforderung für eine Darstellung auf der Bühne bestand darin, die Rolle der Protagonistin nicht zu einseitig und die Gewalt glaubwürdig darzustellen.   

Die Rollen als Täter und Opfer sind in „Liebe ist gewaltig“ mitnichten bestimmten Personen zugeordnet und diese Ambivalenz sollte auch das Stück „Familie(n) Ehre: Zwischen Sein und Schein“ herüberbringen. Und so hebt auch auf der Bühne nicht allein der Vater die Hand zum Schlag, den Fuß zum Tritt gegen Ehefrau und Kinder. Sondern die Kinder setzen sich zur Wehr, schlagen zurück. Und werden so Opfer eigener Gewalttätigkeit und Scham, die sich durch die Beziehungen ihrer Leben ziehen.

Aus journalistischer Recherche um „Familiäre Gewalt“ wird ein Coming of Age Roman

Buch für die Stadt 2025 © Ralf Kardes
Buch für die Stadt 2025 © Ralf Kardes

In der Soirée zur Literaturaktion „Buch für die Stadt“ im Kölner Schauspielhaus Depot interviewte die Kulturredakteurin des Kölner Stadtanzeigers Anne Burgmer die Autorin. Claudia Schumacher betont in Interviews immer wieder, dass ihr Debutroman kein autobiografischer ist. Allerdings hat sie Schauplätze ausgesucht, an denen sie selbst gelebt hat: ein Ort im Schwabenländle, Berlin und Zürich.

Ein Umfeld, in dem innerfamiliäre Gewalttaten im Verborgenen geschehen und zu oft nicht angezeigt werden, ist das Bildungsbürgertum, welches sich Claudia Schumacher für ihren Roman ausgesucht hat. Sieben Jahre hat sie über Häusliche Gewalt recherchiert, mit Psycholog:innen und betroffenen Frauen in Frauenhäusern gesprochen. Opfer häuslicher Gewalt aus der Mittel- oder Oberschicht sind dort jedoch kaum zu finden, erzählte sie Anne Burgmer und dem Publikum. „Je höher die Schicht, desto größer ist das Bedürfnis die Privatsphäre zu schützen“ stellte Claudia Schumacher fest. Sieben Jahre Recherche, ein Manuskript, das in der Tonne landete, und eine Radtour in Hamburg, die der der Autorin die Erzählstimme der jugendlichen Protagonistin einflüsterte, waren Meilensteine dieses mitreißenden Romans. Claudia Schumacher wagte sich an eine Sprache heran, die in Büchern oft misslingt, weil sie schnell altert: Jugendsprache. Die Autorin vermied es, gängige Jugendwörter zu verwenden, sondern verlieh der Sprache ihrer Protagonistin eine eigene Grammatik. Und ließ sie konkret und zynisch aus ihrem Leben erzählen. Claudia Schumacher las in der Soirée fünf Szenen aus ihrem Buch. So konnte sich das Publikum davon überzeugen, wie prägnant Julis Sprache, wie fesselnd und erschütternd zugleich ihre Geschichte ist.  

Abgründe einer Familie in „Familie(n) Ehre: Zwischen Sein und Schein“

Buch für die Stadt 2025 © Ralf Kardes
Buch für die Stadt 2025 © Ralf Kardes

Auf der Bühne stellte „Familie(n) Ehre: Zwischen Sein und Schein“ vier der insgesamt sechs im Buch vertretenden Familienmitglieder vor: das Rechtsanwaltsehepaar Ehre, Vater Kurt und die Mutter, sowie die beiden Kinder Sohn Bruno und die jüngste Tochter Juli. Den Einstieg in das Stück gestaltete eine heitere Szene. Juli traf die demente Magic Margot in einer Reha-Klinik, sang und tanzte mit ihr und erzählte ihr schließlich, mit welchen Anekdoten ihr Vater gern seine Gäste unterhielt: Gewalt als pädagogischer Geniestreich. Juli und Bruno blickten in ihre Kindheit zurück, in der sie wie Zwillinge waren, bis Gewalt das Kinderglück zerstörte. Wir litten mit Juli, die eine kleine Maus rettete und verraten wurde, mit Bruno, den sein Vater nach einem sonnigen Ausflug fast totgeprügelte. Der Ausblick des Stücks war wieder positiv: Juli und Bruno stellten sich ihrer Vergangenheit und unterstützten sich gegenseitig auf dem Weg in ein Leben ohne Gewalt.

Gleichwohl Julis Elternhaus ein Mittelpunkt der Handlung war, spielte sie an mehreren Schauplätzen. Kein durchgängiges Bühnenbild, sondern 24 an eine Leinwand projizierte Bilder bildeten die Kulisse: ein mondäner Kurort, ein Kleinstadt-Café, ein Garten, eine Gaming-Hall und viele mehr. Auch die Spielszenen waren in diesem Stück ein wenig anders gestaltet als in den vorherigen Stücken der Projektgruppe. Denn sie wurden eingerahmt von zwei Erzählern, die einerseits Gedanken und Gefühle der Protagonistin in der Ich-Perspektive spiegelten, andererseits das Geschehen mit der Distanz des personalen Erzählers begleiteten. In zwei Videos schaute Juli rückblickend auf wichtige Geschehnisse. Mit Hilfe der Erzähler und Videos erzählte das Theaterstück die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven und lockerte damit Szenen mit wenig Interaktion auf.  

Die Spenden der Aufführungen kommen „Frauen helfen Frauen e.V.“ zugute

Nach dem Auftritt gab es noch die Gelegenheit bei Snacks und Getränken über das Stück zu sprechen. Wir bekamen zu beiden Aufführungen, im Mehrgenerationenhaus in Ostheim und im Allerweltshaus in Ehrenfeld, äußerst positive Rückmeldungen. Nicht nur die variantenreiche Gestaltung des Stücks, sondern auch die Texte und unser Spiel haben den Zuschauenden gut gefallen.

Der Eintritt war frei, wir durften uns jedoch über eine großzügige Spendensumme freuen.  Sie kommt dem Verein„Frauen helfen Frauen e.V.“ zugute, der in Köln zwei autonome Frauenhäuser betreibt, ein drittes ist in Planung. Wir freuen uns, dass wir mit den Spenden jenen Frauen und Kindern helfen, die vor häuslicher Gewalt in die Obhut von Frauen fliehen, die ihnen Schutz, Sicherheit und Unterstützung gewähren.

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