
Entdeckt habe ich dieses Buch ganz zufällig auf der Frankfurter Buchmesse. Gemeinsam mit ihrem Übersetzer Andreas Donat saß Autorin Linn Stalsberg auf der Lese-Insel der unabhängigen Verlage und stellte ihren Titel vor. Es war quasi unmöglich, sich den eindringlichen Sätzen zu entziehen, die Donat vom Norwegischen ins Deutsche übertrug. Wie katastrophal sich jeder mit Waffen geführte Konflikt auf Mensch und Umwelt auswirke. Wie Krieg systematisch Lebensgrundlagen auch für nachkommende Generationen zerstöre, vom Töten einmal ganz abgesehen. Wie völlig irrsinnig es sei, Krieg zu führen. Und wie absurd es angesichts dieser Wahrheit sei, Krieg überhaupt in Betracht zu ziehen als ein Instrument der Politik.
Keiner dieser Sätze war neu oder überraschend, aber es tat gut, diese Gedanken laut ausgesprochen zu hören. Das Buch von Linn Stalsberg landete umgehend auf meiner Leseliste.
Die Lektüre entwickelte sich zu einem überraschend spannungsreichen Dialog zwischen der Autorin und mir, der Leserin. Denn obwohl ich in der Sache grundsätzlich Stalsbergs Ausgangsthese teile, Krieg als politisches Instrument zu verurteilen, kollidierte die kompromisslose Anti-Kriegshaltung der Autorin sehr schnell mit meinen persönlichen Zweifeln, besonders angesichts der zahlreichen aktuellen Konflikte und ihren vielen unschuldigen Opfern. Mehr als einmal lag mir ein „Aber“ auf der Zunge. Und mehr als einmal lud mich Stalsberg ein, den Dialog mit ihr ergebnisoffen fortzusetzen. Es war vor allem die ruhige und sachliche Vorgehensweise der Autorin, die mich als Leserin trotz aller Meinungsunterschiede bei der Stange hielt.
Dieses Buch ist als Protest gegen alles Militärische
gedacht. Es ist die Folge meiner eigenen Besorgnis und Angst in einer Zeit, in
der sich die Staaten der Welt bis an die Zähne bewaffnen. Mein Ziel ist es, zu
zeigen, dass es andere Wege gibt, Konflikten zu begegnen, als mit Krieg und
Waffengewalt. Diese Ideen und Mittel werden jedoch von vielen als utopisch,
naiv und vielleicht altmodisch angesehen. Daher haben sie in heutigen
politischen Debatten leider keinen realen Platz. Aber was wäre altmodischer als
der Krieg und was utopischer und naiver als der Glaube, dass Krieg als
Konfliktlöser langfristig irgendeinen Nutzen haben könnte?“
Seite
20/21
Stalsberg geht mit viel Hintergrundwissen an das Thema. Man kann ihren umfangreichen Essay auch als eine Geschichte der Friedensbewegung lesen. Eine ausführliche Literaturliste und zahlreiche Fußnoten ergänzen den Text und führen weiter in die Tiefe.
Die norwegische Journalistin geht chronologisch vor. Ihre Beispiele reichen weit zurück und belegen, dass die Kritik am Krieg im Grunde so alt ist, wie das Kriegführen selbst. Bereits in der Antike wurden Mechanismen, die zum Krieg führen, philosophisch hinterfragt und der Krieg verurteilt. Detailliert widmet sie sich den Ursprüngen der Friedensbewegung bis zur Moderne und ihren wichtigen Vertreter:innen.
Stalsberg zitiert große Namen und deren wichtigste Thesen. Sie zeigt, dass Krieg als ein gesellschaftliches Phänomen gemeinsam mit ökonomischen, weltanschaulichen und politischen Entwicklungen im direkten Zusammenhang steht und gemeinsam mit diesen betrachtet werden muss. Kritik am Krieg bedeutet Kritik an bestehenden gesellschaftlichen Strukturen. Patriarchat und Neoliberalismus werden als Ursachen klar benannt und konkrete Beispiele skizziert. Stalsberg beruft sich auf namhafte Forscher und Philosophen, die Fakten und Argumente liefern.
Die Norwegerin scheut sich auch nicht, solche Fragen anzureißen, zu denen sie keine eindeutigen Antwort geben kann, z.B. inwieweit das Kriegführen Teil der Natur des Menschen ist oder ob es nicht doch Situationen gibt, in denen der Zweck das Mittel rechtfertige. Situationen, in denen Gewaltfreiheit an ihre Grenzen gerät und selbst zum moralischen Dilemma wird.
Die Lektüre ist sehr zu empfehlen. Sachlich im Ton, gut strukturiert, faktenreich, fundiert mit Quellen belegt, liefert der Essay umfangreiches Wissen und hervorragende Argumente. Seine Autorin Linn Stalsberg stellt sich auch unbequemen Fragen und scheut sich nicht, ihre eigene Unsicherheit bei heiklen ethischen Themen zu formulieren.
Die Aktualität des im Schweizer Kommode Verlag erschienenen Essays liegt auf der Hand. Stalsbergs Text ist nicht nur ein eindringlicher antimilitaristischer Appell. Er ist auch ein wertvoller Beitrag im Rahmen der neu aufflammenden Diskussion um Rüstung und Wehrpflicht. Und selbst wenn er nicht bei allen Lesenden 100% Zustimmung finden sollte, baut er dennoch wertvolle Brücken zwischen den Diskutierenden und wirbt um Verständnis für die Argumente der Rüstungsgegner und Kriegsdienstverweigerer.
- Autorin: Linn Stalsberg
- Titel: Krieg ist Verachtung des Lebens – Ein Essay über den Frieden
- Originaltitel: Krig er forakt for liv
- Übersetzer: Andreas Donat
- Verlag: Kommode Verlag
- Erschienen: September 2025
- Einband: Gebundene Ausgabe
- Seiten: 260 Seiten
- ISBN: 978-3905574630

Wertung: 12/15 dpt







