Gideon Böss – Deutschland, deine Götter (Buch)


Gideon Boess-Deutschland deine Goetter“Deutschland, deine Götter” ist ein Reisebericht. Autor Gideon Böss hat Vertreter unterschiedlicher Religionsgemeinschaften aufgesucht und erzählt von diesen Begegnungen. Ein religionskritisches, entlarvendes  Werk ist nicht dabei herausgekommen, was auch nicht in der Absicht des Verfassers lag.  “Ich habe bewusst auf Wertungen verzichtet”, schreibt Böss in seinem Nachwort. Er versteht sein Werk als eine Sammlung individueller, vorgeblich wertneutraler Eindrücke darüber, wie Religion, besser Religiöses, in Deutschland praktiziert wird. Im Großen wie im ganz Kleinen.

Als erster Einblick in Glaubenswelten, deren Anhängerscharen teilweise so überschaubar sind, dass ein Kanu als Schiff, das sich Gemeinde nennt, ausreichen würde, funktioniert das Buch ganz gut. Gideon Böss gesteht selbst der kleinsten Splittergruppe darstellenden Raum zu. Dennoch bleibt die Prämisse der vorgeblichen “Wertneutralität” illusorisch.

Denn von Beginn an ist klar, dass der Autor sich seinem Sujet als freundlicher Agnostiker nähert, der vorgibt ein unbedarfter Fragesteller zu sein, angewiesen auf die Offenheit seiner Gesprächspartner. Doch in Zeiten, in denen jeder Smartphone-Besitzer ein Medienprofi ist, umkreisen selbst unbedarfte Kirchenvertreter weitgehend bewusst aufgestellte oder zufällig herumstehende Fettnäpfchen. Richtig ärgerlich wird dies bei einem als Religionsgemeinschaft getarnten, repressiven Wirtschaftsunternehmen wie den Scientologen, deren Medienreferenten so trivial wie geschult auf ihre Gesprächspartner eingehen.

Womit wir beim großen Schwachpunkt des Buches sind: Was ist so schlimm daran, einen Standpunkt innezuhaben, den man geschickt und offensiv vertritt? Einen grundlegenden Fragenkatalog zu besitzen, der zumindest optional die Floskelhaftigkeit der öffentlichkeitsfreundlichen Darstellungen aushebelt und  als Kulissenschieberei enttarnt. Böss wird kaum investigativ tätig, seine Fragen zielen viel zu häufig auf schmächtige Pointen ab. Welche Erkenntnis über die katholische Kirche (laut Böss lapidar “der Platzhirsch”) gewinnt man daraus, einen Pfarrer zu interviewen, der in der Lutherstadt Wittenberg tätig ist? Das ist ein Schmalspurulk, der mehr über seinen Verfasser verrät als über den Befragten. Was soll der Mann schon sagen? Dass seine Gemeinde kleiner ist als anderswo, dass Luthers Spuren sich im gesamten Umfeld finden lassen?  Ist halt so. Ich stamme aus einer Stadt, in der die katholische Kirche  eine geringere Rolle spielt als in Wittenberg. Stattdessen hat sich an den Zipfeln ein Protestantismus eingenistet, der katholischer ist als der Papst. Da gehen wir zum Lachen nicht in den Keller sondern unter Tage.

So funktionieren Gesprächsführung und Interpretationen in Böss’ Buch. Lässt sich leicht runterlesen, ist aber selten wirklich witzig. Böss ist mild ironisch, wo eigentlich alles nach Satire schreit. Was fatal ist. Denn so werden seine Interviewpartner über Beschreibungen diskreditiert, anstatt sie über ihre Aussagen zu entlarven.
Im schlechtesten Fall wird die Umgebung (oder das Aussehen der Dialogpartner) zum  Transportmittel für den gewünschten Effekt. Wie beim Hinduismus-Kapitel, in dem Böss Hamm dem bekannten Sri-Kamadchi-Ampal-Tempel angleichen möchte. Und so eine dörfliche Idylle erschafft, die sich in der Realität kaum finden lässt. 

Hamm ist kein hinterwäldlerisches Dorf, in dem sich Fuchs und Reh die Pfoten zur Guten Nacht reichen. Hamm ist ein Ausläufer des Ruhrgebiets, mit inhomogener Bevölkerungsstruktur,  ein Zeugnis sterbender Industriekultur, als Verkehrsknotenpunkt und West-Ostanbindung,  – zumindest was den Schienenverkehr  angeht – dem weit größeren Münster um Längen überlegen, mit einer veritablen Drogenszene in Bahnhofsnähe, Arbeitersiedlungen und Villenvierteln sowie dem stillgelegten AKW-Hamm-Uentrop, etwa anderthalb Kilometer vom  Tempel entfernt. Die Idylle, die Böss heraufbeschwört, um Hamm dem  größten Dravida-Tempel Europas spirituell anzupassen, ist der poetisierenden Phantasie des Autors geschuldet.

Es liegt also einiges im Argen mit dem Buch (habe ich die paninigroßen, wenig aussagekräftigen Schwarzweiß-Fotos in ausgesprochen niedriger Auflösung erwähnt?), lesenswert ist es dennoch. An den burschikosen Stil des Autors und die eher mauen Versuche in Komik gewöhnt man sich, ein paar treffende Beobachtungen und ein wenig Schmunzelkost finden sich alleweil.

Gelungen ist der beschreibende Part, in den Böss seine recherchierten Erkenntnisse einfließen lässt und den Leser mit Informationen über religiöse Splittergruppen versorgt, mit denen man selten in Berührung kommt (Mandäer, Metropolitan Community Church, Raelismus, Bahai beispielsweise). Hier herrscht jene sympathische Gleichbehandlung, die noch dem unbedeutendsten Kult seine Berechtigung zugesteht. Ob das “Fliegende Spaghettimonster” und seine “Pastafaris” über den bloßen Gag hinaus in die Auflistung gehören, ist einer der wenigen kontroversen Punkte von “Deutschland, deine Götter”.  Dafür spricht, dass die ehemalige satirische Verballhornung aller religiösen Kulte und des Kreationismus etwas aus dem Ruder gelaufen ist, und es Menschen gibt, die sich das Nudelsieb mit zu viel Inbrunst überstülpen. Dabei haben Mony Python bereits vor mehr als 35 Jahren vorgemacht wie schnell Religionen aus komischen Missverständnissen entstehen können.

Man erfährt zwar einiges über die kulturelle und religiöse Vielfalt in Deutschland, für tiefergehende Erkenntnisse muss man aber selbst tätig werden. Als Anregung dazu ist “Deutschland, deine Götter” ein brauchbares Werk. Und hat, bei aller Flapsig- und Oberflächlichkeit eine wenig neue, doch umso  erschreckendere Erkenntnis zu bieten: Je weltoffener, eher humanistisch als auf Gottestreue und –glauben, eine Religion ausgerichtet ist, umso marginaler scheint sie zu sein. Was auch damit zusammenhängt, dass die Anhänger solch toleranter Glaubensbewegungen von radikaleren Vertretern – oft ähnlicher – religiöser Ausrichtungen gnadenlos ausgemerzt wurden und werden. Sollte eine Konvertierung nicht erfolgen. Nicht nur die Wicca und die Aleviten können ein schmerzliches Lied davon singen.

Neben alledem ist “Deutschland, deine Götter”, trotz seiner unbedarften Witzen und seiner vorgeblichen Harmlosigkeit, eine sehr traurige Geschichte. Denn ohne großes Zutun schält Böss hintergründig heraus, dass das Streben nach Göttlichkeit eine verquere Angelegenheit ist, wenn man dabei seine Menschlichkeit verliert. Ein Schelm, wer denkt, dass dies für großflächig okkupierende Religionsgemeinschaften  jedweder Couleur geradezu Voraussetzung ist.  

Gideon Böss stellt die wichtigste Frage im Nachwort und implementiert gleichzeitig die Antwort:

Wie hält sie [die gewählte Religion] es mit dem Zweifel? Ist Zweifel möglich oder sogar erwünscht oder wird er sanktioniert und als Glaubensschwäche angesehen? Nichts definiert einen Glauben mehr als sein Verhältnis zum Zweifel. Wer ihn unterbinden will, will Neugierde, Kritik und Reflexion unterbinden, weil er Mitläufer haben möchte anstelle von selbstbewussten Mitgliedern.

Da ist er, der Wertemaßstab, der die Neutralität wegkatapultiert und immanent die Grundlage von Böss’ Reportagen darstellt. Hätte er ruhig offensiver einbringen können. So schwierig ist das nicht. Denn Diskursfähigkeit, das Vermögen Kontroversen auszuhalten ohne dem Widerpart (verbal und/oder handgreiflich) den Schädel einzuschlagen   müsste eigentlich das Bestreben jedes aufgeklärten Menschen sein. Egal ob man an eine wie auch immer geartete höhere Wesenheit glaubt oder nicht. Dass die Menschheit meilenweit davon entfernt ist, zeigt das alltägliche Grauen, das im Namen von Religionen erzeugt wird.

Cover © Klett-Cotta/Tropen Sachbuch

Wertung: 8/15 göttlichen Einsichten


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