Katrin Bacher & Tyto Alba – Tante Wussi (Graphic Novel)


Katrin Bacher & Tyto Alba - Tante Wussi (Cover © Carlsen)Das Genre der „Graphic Novel“ (schön, dass Carlsen den Originalbegriff verwendet und sich nicht an einer missglückten, weil einschränkenden Übersetzung versucht) eignet sich neben allem, was Comics abzudecken vermögen, auch für Themen, die in einem Roman nur schwer vermittelt werden können, ohne bedrückend zu wirken. Auch „Tante Wussi“ widmet sich mit dem Spanischen Bürgerkrieg, dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere der Verfolgung bestimmter Minderheiten in den Regimes unter Franco und Hitler keinen leichten Themen. Nichts desto trotz gelingt der Autorin/dem Zeichner das Kunststück, dass man an einem ruhigen Abend die ganze Geschichte lesen kann, ohne deprimiert zu Bett zu gehen. Immer wieder wird Schönes im Alltäglichen und Besonderen hervorgehoben.

Die Autorin und der Zeichner

 Katrin Bacher ist gebürtige Deutsche, hat in Mainz Übersetzung, Sprach- und Kulturwissenschaft studiert, aber lebt und arbeitet mittlerweile als Übersetzerin in Barcelona. Der Tatsache, dass die beiden sich vermutlich dort getroffen haben, verdanken die Leser vorliegende Graphic Novel. Tyto Alba stammt aus Badalona in Spanien und stellte früher seine Bilder in Galerien aus, bevor er zum Comic kam und mittlerweile bereits mehrere Comicalben veröffentlicht hat.

Natürlich hätte die vorliegende Geschichte eben nicht ohne jene Tante Wussi entstehen können, die mit den Lesern ihre Erinnerungen teilt und deren Geschichte wirklich passiert ist. Gemeinsam mit ihrer Familie erlebte sie auch noch die Buchpräsentation.

Zwischen Deutschland und Mallorca

Der Vater der kleinen Wussi, deren Erinnerungen man als Leser dieses Comicbuchs miterlebt, besitzt ein Fotogeschäft in Freiburg, das leider nicht so recht läuft. Durch Zufall sieht der begeisterte Fotograf Bilder aus Mallorca und entscheidet vom Fleck weg, dass er fortan mit seiner Familie dort leben möchte. Gesagt, getan! Tatsächlich beginnt das Geschäft dort zu florieren, und sowohl Wussi als auch ihre Schwestern wachsen glücklich auf und helfen im väterlichen Geschäft.

Allerdings war das Glück nicht von Dauer, denn der Spanische Bürgerkrieg beschränkte sich leider nicht aufs Festland, sondern erreichte schließlich auch die Balearen. Da die Familie dort nun nicht mehr sicher war, wusste sich der Vater nicht anders zu helfen, als seine Frau und die Kinder nach Deutschland zurück zu schicken.

Rückblickend eine tragische Entscheidung, denn mittlerweile schrieb man das Jahr 1936, und Wussis Mutter war jüdischer Abstammung. Auch in Deutschland musste die Familie viele Umwege und Entbehrungen auf sich nehmen, um zu hoffen, eines Tages wieder vereint zu sein.

Erzähl doch mal. Wie war das damals?

 Tante Wussi lebt in Bunyola auf Mallorca, und die junge Frau namens Katrin die ihr beim Umzug hilft müsste genaugenommen „Großtante Wussi“ zu ihr sagen, wenn die Verwandschaftsverhältnisse die Anrede bestimmen würden. Über Kisten und Kartons, die im Rahmen von Tante Wussis Umzug gepackt werden kommen die beiden ins Gespräch, und Wussi beginnt zu erzählen. Tatsächlich fühlt man sich sehr schnell an eben jene Orte versetzt, von denen die Geschichte handelt: Vom kalten Freiburg zu Weihnachten mit Bahn und Dampfer nach Mallorca.

Zwar reicht der Umzug nicht, damit Tante Wussi all Ihre Erinnerungen an diese aufregendste Zeit Ihres Lebens darstellen kann, doch Katrin und die ihr lieb gewordene Tante sehen sich schon bald wieder und knüpfen an die Erzählung vom vorherigen Mal an. Der Erzählrahmen wirkt nicht aufgesetzt, sondern gibt auch dem Leser die Möglichkeit, das Gelesene und Gesehene zu verarbeiten. Im Gegensatz zu Romanen sind Graphic Novels sonst mitunter all zu schnell vorbei.

Die Bildsprache

Die gesamte Geschichte ist in einer Art Aquarelloptik gehalten. Flächen werden also nicht pixelgenau koloriert, sondern großzügig schattiert, um Eindrücke eher anzudeuten, als sie präzise wiederzugeben. Die Bilder beschränken sich dabei auf Wesentliches, zeigen aber trotzdem genug Details, um stellenweise innezuhalten und einzelne Bilder etwas länger auf sich wirken zu lassen.

Die größte Stärke der Bildsprache des Zeichners liegt in den vermittelten Stimmungen: Vorfreude bei der Ankunft im Hafen von Palma nach langer Reise durch gedämpfte Rottöne im Morgengrauen; anheimelnde Gemütlichkeit beim Anblick des kleinen Häuschens auf Mallorca das der Vater für die Familie gemietet hat durch sandige warme Töne und eine klare Linienführung; Naturverbundenheit und vielleicht ein Hauch kindlicher Verklärung bei den Berichten über Ausflüge zum Schmetterlingsfangen und Schulunterricht im Freien durch dominierende Grün- und Blautöne, aber auch beklemmende Dunkelheit, als dem Vater nahegelegt wird, sich von seiner jüdischen Frau scheiden zu lassen – oder beim bangen Warten im nächstgelegenen Luftschutzbunker. Hier zeigt der Zeichner ein breites Spektrum an Möglichkeiten, um Gefühle und Erinnerungen lebendig werden zu lassen und diese mit den Lesern zu teilen.

Im Inneren des Einbandes sind Originalfamilienfotos von Tante Wussis Familie zu sehen, und daher lässt sich gut erkennen, wie der Zeichner zu den jeweiligen Gesichtern für seine Figuren gekommen ist. Nichts desto trotz empfinde ich die Gesichter als schwächsten Punkt der ansonsten starken Optik, da sie doch all zu stark reduziert sind, um viele Emotionen auszudrücken und dadurch mitunter in die sie umgebende Umwelt „hineingestellt“ wirken. Allerdings handelt es sich hierbei um Kritik auf hohem Niveau.

Wenn man im Einband schon Familienfotos zeigt, wäre vielleicht auch ein Stammbaum möglich gewesen. Ähnlich einer Karte im Einband eines Fantasy-Romans hätte das die Nachvollziehbarkeit der Geschichte enorm verbessert. Es sind schlichtweg zu viele Schwestern, Cousinen und Onkel, um in der Kürze der Geschichte alle immer richtig zuordnen zu können.

Fazit

Alles in allem kann man mit „Tante Wussi“ für 17 € ein Stück Geschichte anhand eines so wirklich stattgefundenen Familienschicksals miterleben. Das ganze nicht in Form eines Romans, sondern als Graphic Novel zu veröffentlichen, macht das Thema für andere Lesergruppen interessant, und auch innerhalb des Genres muss sich der Band mit dem angenehmen Erzählfluss und den stimmungsvollen Illustrationen nicht verstecken.

Cover © Carlsen

Wertung: 13/15 dpt


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