Seit Tagen grübele ich darüber nach, wie ich diese Kolumne beginnen soll, denn heute stelle ich mich der absoluten Königsdisziplin. Ladies und Gentlemänner, heuer präsentiere ich Ihnen die brillante Grammophonplatte “Gezupft und geschlagen – Gitarre und Percussion – Intim”. Ein Machwerk aus dem Presswerk. Von Martin K. und Bernd K. Sie verstehen, dass mich dieser Titel ratlos – ja gar betroffen – zurücklässt. Und sprachlos.
Deshalb beginne ich mit den Worten des Schlagzeugprofessors Siegfried Fink, dessen zärtliche Aufmunterungen an zwei seiner Studenten ausschlaggebend für die Umsetzung dieser perfiden Idee waren (zitiert nach den Linernotes):
»Setzt euch doch mal zusammen und überlegt, was ihr mit Gitarre und Schlaginstrumenten machen könnt.«
Diese väterliche Fürsprache war an Martin Krüger und Bernd Kremling gerichtet, die zu zupfen und zu schlagen begannen, und das ganz intim. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt.
Mit gierigen Fingern lege ich also die 12-Zoll-Intimsphäre auf meinen Plattenspieler und warte auf Schläge und Zupfer; auf eine orgiastisch-akustische Offenbarung, die mein Leben verändern soll. Zuvor habe ich mich in Lavendel gebadet und in Satin gekleidet. Der teure Wein, den mir mein Vater zu Weihnachten geschenkt hat (auf Vaters Weingeschmack ist Verlass) und seitdem im Regal staubansetzend auf den richtigen Moment seiner Verkostung wartet, ist entkorkt und wohltemperiert. In Erwartung dieses Vinyl-Highlights atmet er nicht, nein er haucht und japst lustvoll. Die Plattennadel gleitet durch die Einführrille in Richtung der ersten Flanken, die, umgewandelt in ein akustisches Signal, meine Ohren mit Pietro Locatellis G-Dur-Sonate verwöhnen sollen.
Tun sie aber nicht. Sollte mich mein erster Eindruck getäuscht haben? Es ist so unglaublich lang. Und weilig. Ich zünde eine Zigarette an, um demonstrativ meinen penetranten Lavendelgeruch zu verscheuchen, als ich eine folgenschwere Entdeckung auf dem Plattencover mache: Achtung! 45 UpM. Ich lösche die Zigarette, rücke den Satin zurecht und bereite mich auf einen zweiten Versuch vor. Die Musik startet.
Zum Klang der ersten Akkorde entdecke ich neben meinem Plattenspieler ein Filmdöschen – jenes, in welchem ich meine Stecknadeln aufbewahre. Das hatte ich schon so lange gesucht. Ich entleere es auf meinem Teppich und beginne, die Stecknadeln nach den farbigen Köpfen zu sortieren. Die Spannung in dieser Tätigkeit besteht darin, dass man beim Aufräumen eine Nadel in den Teppichflusen übersehen könnte. Diese wird sich dann beim nächsten nächtlichen Toilettengang in den nackten Fuß des Kolumnisten bohren. Aber immer bleibt die Frage, ob man bloß diese eine Nadel übersehen hat. Oder ist da noch eine Zweite? Ich male Jon Arbuckle noch ein paar Schnurrbärte und schon ist Seite 1 von “Gezupft und geschlagen” vorbei. Hab ich was verpasst? Mir ist gar nicht aufgefallen, dass Musik lief.
Während Seite zwei rotiert, fange ich an, mein Klopapier von den Papprollen abzurollen und verkehrt herum wieder aufzurollen. Dabei freue ich mich diebisch über auf Gesichtsausdruck meiner Freunde, wenn diese beim nächsten Besuch vom Klo kommen und völlig verwirrt sind. (Die Tatsache, dass man mit dieser Plattensammlung keine Freunde hat, wird einem nicht den Spaß nehmen.) Ich schreibe noch schnell ein Gedicht, mit den Worten, die auf …nf enden und schon ist die Platte vorbei.
Fazit: Diese Platte ist der ideale Begleiter, um endlich die Dinge zu tun, für die uns unsere Zeit ansonsten viel zu schade wäre.
Verehrter Leser, sie haben diese Kolumne tatsächlich bis zum Schluss gelesen? Ich gratulückwünsche Ihnen. Was haben Sie getan, während die Buchstaben Ihre Iris geflutet haben, ohne Ihr Gehirn zu erreichen, weil der Inhalt so unglaublich dröge gewesen ist? Haben Sie während des Lesens ein Gedicht geschrieben, in dem die Wörter Fünf, Senf, Hanf und Genf vorkommen? Haben Sie ein Brettspiel aus Wäscheklammern entworfen? Haben Sie versucht, die Quersumme der Ecken eines Quadrats herauszufinden und das Ergebnis wieder und wieder überprüft? Lassen Sie mich teilhaben an Ihren Erfahrungen unter Warum_nur.Meine_Herrn_warum@gmx.de und gewinnen Sie eine handsignierte Vinyl-Single meiner Wahl.
Appendix (oder müsste es Addendum heißen?):
In der Schweiz, nicht in Genf, sondern an den Ausläufern der Sernf
baumelt meine Seel’, denn hier sitz ich gern. F
antasien, die ich hab, aufgrund von Hanf
Und der Lektüre von “Mein Kanf”
Ach, dieses Gedicht ist doch Senf.
Woraufhin mein Deutschlehrer sagt: »Hoffmann, Fünf! Setzen! Sie können froh sein, dass ich Ihnen keine Sechs gebe. Aber wer ‘Gezupft und geschlagen’ hört, kann kein schlechter Mensch sein. Über Ihre antisemitischen Tendenzen wird jedoch beim Elternabend noch zu sprechen sein!«
Dank an Ralf-Siegmund Gleitenreiter für die vielen Möglichkeiten langweiligen Zeittotschlagens, die spannender sind als die hier besprochene Platte. Dank auch an Theodor Fontane, dessen Schnitzelzitat zu Beginn dieser Kolumne meine Emotionen beim Hören dieser Platte in acht Worten besser ausdrückten, als ich es in einem ganzen Buch vermocht hätte.
Martin Krüger und Bernd Kremling: Gezupft und geschlagen – Gitarre und Percussion- Intim
Pladde für 1 € erstanden.
“audite” Schallplatten Friedrich Mauermann
Achtung! 45 upm! Achtung!