Ruben Rubeck möchte eine ruhige Kugel schieben. Der Kriminalkommissar, kein Haupt-, kein Ober- davor, lebt den Beamtentraum. Akten verrücken, gelegentlich frische Luft schnappen, wenn sich Einsätze nicht vermeiden lassen, und immer das Feierabendbier in der Stammkneipe im Blick, das auch durch komplizierte Fälle nicht gefährdet werden sollte. Tage, an denen nichts oder nur wenig passiert, sind gute Tage für Rubeck. Ein “Pilsbierchen” (da muss man sich als Nicht-Frankfurter erst dran gewöhnen) auf die Gemütlichkeit; Aufregung war gestern für Ruben Rubeck.
Denkste. Natürlich lässt Autor Gregor Weber seine Hauptfigur nicht in Ruhe im “Schlabbekicker” abhängen, versorgt mit Zigaretten und Alkohol, in Erwartung eines launigen, aber kostenpflichtigen Schäfer- oder Plauderstündchens. Hätte Rubeck wahrnehmen sollen, doch es treibt ihn hinaus ins nächtliche Frankfurter Bahnhofsviertel. Prompt gerät er in eine Schießerei, muss selbst zur Waffe greifen und verletzt einen der Kontrahenten schwer. Den Kosovo-Albaner Palokaj, mittleres Management im Organisierten Verbrechen, und anscheinend Ziel eines Anschlags. Den Rubeck verhindert, indem er den Mann verletzt.
Das erfährt der Kommissar häppchenweise, aufgrund der Schießerei beurlaubt und deshalb halb im Tran. Hindert ihn aber nicht daran, auf Geheiß eines Beamten des LKA zum Leibwächter des außer Gefecht gesetzten Palokajs zu werden. Korrekte Entscheidung, denn erst bricht im Krankenhaus die Hölle los, dann sind der Polizist und der Verwundete auf der Flucht, können ihre Verfolger aber nicht abschütteln. Was zu tödlichen Konsequenzen führt und der Erkenntnis, dass Rubeck nicht in einem Krieg Gangster vs. Gangster steckt, sondern die Gegner, die nach Palokajs Leben trachten, aus den Reihen der Gesetzeshüter stammen.
Es trifft sich gut, dass Ruben Rubeck selbst halb besoffen, angeschlagen und mit dem Leben hadernd auf seine kämpferischen Fähigkeiten bauen kann, die er sich in seiner Zeit als Soldat und Militärpolizist angeeignet hat.
Eingebunden in den Roman ist eine zweite Erzählebene, die vom Einsatz einer Gruppe deutscher KFOR-Kräfte in Serbien handelt, der in einem Desaster und einer blutigen Rettungsaktion endet. Erst am Ende wird deutlich, was dieser verkorkste Einsatz für “Aspahltseele” bedeutet. Gut, wer mehr als ein Buch gelesen und auch den ein oder anderen Film gesehen hat, wird erahnen wie die Ereignisse aus dem Jahr 1999 im kriegserschütterten Ex-Jugoslawien mit Ruben Rubecks Gegenwart lose, aber grundlegend zusammenhängen.
Wer bei Rubeck an Götz Georges Schimanskis denkt, liegt nicht ganz daneben. Die äußeren Accessoires, wie saufen, fluchen, Wohlfühlzone Randexistenz, cool in brenzligen Situationen, zerknautschte Militärjacke, stimmen, doch damit enden die Gemeinsamkeiten auch. Denn Rubeck ist kein verbissener Wahrheits- und Gerechtigkeitssucher, er will sich eigentlich abschotten von der Außenwelt, weil er mehr erlebt hat, als für ein Menschenleben nötig ist und gerät eher zufällig ins dickte Schlamassel und Verwicklungen, die gordisch verknotet sind.
Allerdings entpuppt sich die angebliche Empathie- und Antriebslosigkeit (erwartungsgemäß) als Behauptung und Eigenschutz. Wäre Rubeck nach seiner Militärzeit wirklich auf Schonung aus gewesen, wäre er Buchhalter oder ähnliches geworden, würde in entscheidenden Momenten woanders hinschauen und unbeeinflusst vom Geschehen um ihn herum, weiterleben. Stattdessen wird er Polizist, mischt sich, sogar betrunken, in Konflikte ein und folgt seinem moralischen Empfinden, statt den Verlockungen der Korruption oder eines irgendwie gearteten “Code of Silence” zu folgen. Rubeck ist ein Kämpfer, der auch dann noch weitermacht und sogar zu ungeahnter Stärke aufläuft, wenn er von sich selbst glaubt am Boden zu liegen.
Hätte pathetisch werden können, doch “Asphaltseele” übt sich in Understatement, aus wenigen Fakten, werden knappe Schlüsse gezogen, Sachverhalte klären sich ‚on the road‘, der vorhandene Humor pendelt zwischen sarkastischem Ausloten des Daseins und juveniler Freude an Späßeken am Wegesrand. Die Gewalt- und Actionszenen sind kurz und deftig, Weber gelingt es, seinen eigenen Tonfall zu bewahren und nicht zum Adepten amerikanischen Powerplays zu werden, was meist sowieso in die Hose geht. Hervorragend gelungen sind Weber die im Krankenhaus spielenden Szenen. Action, Spannung und hinterfotzige Komik inmitten einer begrenzten Räumlichkeit zu erzeugen, beherrscht er ausgesprochen gut.
Was die kriminellen Verwicklungen zwischen Staatsgewalt und Organisierter Kriminalität angeht, hätte der Roman etwas tiefer in die Materie einsteigen können, und die eingeschobenen Kosovo-Passagen hätten eine engere Bindung an Handlung und Rubecks aktuellem Daseinszustand vertragen. Doch das wäre vermutlich einem Konzept abträglich gewesen, das mit Verknappungen, Andeutungen und dem Vertrauen in den Leser, sich selbst Zusammenhänge zu erschließen, jongliert.
Wohltuend verzichtet Gregor Weber auf prätentiöses Psychologisieren und wehleidige Traumahandhabung. Er lässt seine Figuren lieber (inter)agieren als lamentieren. Motivationen und Positionierungen werden auch so deutlich.
Obwohl es rau zugeht auf Frankfurts dunklen Straßen, ist “Asphaltseele” kein Noir /wie er beworben wird (“Die Renaissance des deutschen Noir”), sondern ein kurzweiliger, finsterhumoriger, schnodderiger und galliger Polizeiroman, mit kleinen nachdenklichen Pausen, der geradezu nach einer Fortsetzung verlangt.
Cover © Heyne Hardcore
- Autor: Gregor Weber
- Titel: Asphaltseele
- Verlag: Heyne Hardcore
- Erschienen: 12.09.2016
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 240
- ISBN: 978-3-453-27020-6
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Gregor Weber über Asphaltseele
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