The Young Pope (Serie, 4 DVD/3 Blu-ray)


Manchmal genügt ein Titel, ein Zusammenspiel aus wenigen Wörtern, um auf die Möglichkeit einer ganzen Sinnwelt hinzuweisen. Doch mit diesem Hinweis gibt sich Paulo Sorrentino im Fall von „The Young Pope“ nicht zufrieden. Die Ideen und Hoffnungen, die einem zum Gedankenexperiment eines jungen Kirchenoberhauptes durch den Kopf schwirren, spricht der italienische Regisseur aus und versucht sie über das für ihn neue Medium Serie auszudrücken. Am Ende ist es dann auch nicht der Hintergrund des Filmemachers, der dem Projekt zu schaffen macht, vielmehr ist es die Frage, wie bei einem solchen Wust an Inhalten trotzdem der Eindruck von Länge und das Gefühl von Langeweile entstehen kann.

Aus dem Hause Sky/HBO/Canal+  stammend, widmen sich zehn Folgen und 550 Minuten mit dem Beginn des fiktiven Pontifikats von Papst Pius XIII. (Jude Law), weltlicher Name Lenny Belardo, Ende 40, jung, gutaussehend, amerikanisch. Er ist die Antithese zum überalterten Vatikan mit den weißen Haaren, den alten Ideen und den verkrusteten Strukturen. Eine Ausgangssituation, die Sorrentinos (u.a. La Grande Bellezza, Ewige Jugend, Il Divo) zentrale Themen Alter und Sinn- bzw. Glaubenskrisen kaum effektvoller zusammenbringen kann. Der neue Papst bringt vorhersehbar frischen Wind in die alten Gemäuer und deckt die Verbindung von gebauter Struktur und unsichtbarer Sozialstruktur auf. Gerne verstecken sich die Mächtigen hinter den heiligen Fassaden, die auch den Zuschauenden immer wieder andächtig innehalten lassen. Für Außenstehende ist es eine Ehre, in die Räumlichkeiten eintreten zu dürfen, die in einem besonderen Verhältnis zu Gott stehen.

Diese von Bedeutung erfüllten Räume verändern auch den neuen Hausherren: Auch wenn er schon zuvor als Kardinal eine gewichtige Autorität ausstrahlt, ist der Pontifex der mächtigste Mann einer gesamten Glaubensgemeinschaft. Wer ihm begegnet, erstarrt in Ehrfurcht vor der Macht, die er symbolisiert. Belardo nutzt das in seiner neuen Rolle als Pius XIII. aus, indem er mit seinen Angestellten und Untergebenen spielt und die Kirche umzukrempeln versucht. Hierbei findet Sorrentino einen der wenigen Momente, in denen die Geschehnisse über das abhakende Ausbuchstabieren eines Gedankenexperiments hinausgeht. Der junge Papst ist ein undurchsichtiger Charakter, der die Kirche anscheinend mit konservativen Mitteln revolutionieren will.

Pius XIII. ist das Produkt aus zahlreichen Einflüssen. Ohne dass es explizit angesprochen wird, schwingt immerzu die jüngere Geschichte der katholischen Kirchengeschichte mit. Das beginnt mit der Wahl des relativ jungen und beliebten Papsts Johannes Paul II. und dem Novum des Rücktritts durch Benedikt XIV. und endet mit den liberalen Tendenzen des zumindest im Geiste jungen Franziskus in Zeiten der aktuellen Krise des Katholizismus. Entgegen der (erzwungenen) Öffnung der Kirche begründet der junge Papst seine Namenswahl mit dem letzten Pius, der seinerzeit mit Mussolini paktierte. Statt auf sein Charisma und seine Attraktivität zu setzen, wählt der neue Heilige Vater eine andere Strategie: Er versteckt sich und sein Gesicht vor der Öffentlichkeit, verfolgt eine Politik der harten Hand und verbreitet Angst und Schrecken.

Welchen Effekt diese Strategie hat, wird in den Momenten eindrucksvoll klar, die auf die Symbolik der alten Tage zurückgreift. Wenn Pius auftritt, ist es dunkel und er ist laut, wenn er sich seinen Kardinälen zeigt, ist er opulent und einschüchternd gekleidet, während er die nächsten Schritte seines harten Vorgehens ankündigt. Was ihn dabei undurchsichtig erscheinen lässt, ist der Blick hinter die Kulissen. Dort ist er der junge Papst, wie wir ihn uns eher vorstellen. Ein junger Mann, der raucht, sich fit hält und mitunter im (päpstlichen) Trainingsanzug rumläuft. Ein Papst, der (in zweifacher Hinsicht) nicht in die heilige Umgebung passen will. Es bleibt unklar, welches Ziel Pius verfolgt, ob es ihm ernst ist mit den Verschärfungen der Regeln in den Bereichen Homosexualität und Abtreibung oder ob sein Vorgehen in subversiver Weise etwas aufdecken und zum Einsturz bringen soll. Klar ist, dass er den Vatikan und die katholische Kirche aufrütteln will, aber ob ihm nun etwas an den Menschen liegt oder er ein machtversessener Narzisst ist, bleibt offen.

In diesem Sinne umgeht „The Young Pope“ die Bürde, die sich eine inhaltlich ähnliche Serie eingebrockt hat. Ohne das Einreißen der vierten Wand rechtfertigt sich Pius anders als Frank Underwood oder Francis Urquhart in der jeweiligen Version von „House Of Cards“ nicht für seine Taten, er bleibt trotz der Beobachtung in einsamen Momenten auch für die Zuschauenden ein Mysterium. Wie dieser Tage üblich, muss an dieser Stelle auch der Name Trump fallen, dem wir alle möglichen Eigenschaften zuschreiben, weil uns der Blick hinter die Kulissen verborgen bleibt, aber das Bedürfnis verspüren, seinen Taten einen Sinn zuzuschreiben. Die Referenz ist auch deswegen zu nennen, weil sich „The Young Pope“ zu einem guten Teil um das Verhältnis zu den Medien und die Frage des (gespielten?) Narzissmus dreht. Gleichsam bleibt das Gefühl, dass sich Sorrentino für seinen (Anti-)Helden doch keine Hintergrundstrategie ausgedacht hat, dessen Enthüllung vom Publikum herbeigesehnt wird. Es scheint wahrscheinlich, dass Lenny nur ein unsicherer, traumatisierter Mensch ist, der sich vor sich selbst versteckt. Schade wäre das Ausbleiben eines Twists vor allem deswegen, weil ansonsten einigen verschenkten Potentialen nachgetrauert werden müsste.

Zum einen würde es Jude Law nicht gerecht, der gleich mehrere Meisterleistungen abliefert und sich ein wenig von seinem Image des unterschätzten Schönlings lösen kann. Vielleicht kann er sich nun noch einmal von durchschnittlichen Filmen und langweiligen (Neben-)Rollen verabschieden und zeigen, welche Facetten und Sprachen (neben Latein und Spanisch) er noch drauf hat. Zum anderen wäre eine Fokussierung auf das Wesentliche wünschenswert. In dieser ersten Staffel passiert so viel, dass selbst eine vollständige Aufzählung aller Themen (neben Politik, Intrigen, Sexualität, Liebe, Sünde, Glaube, Familie) den Rahmen einer Rezension sprengen würde. Gleichzeitig sind die meisten der Erzählstränge so klischeebeladen und substanzlos, dass es trotz der inhaltlichen Überladung zu oft zu Langeweile kommt. Es ist richtig, dass der Papst viel zu tun hat und deswegen zahlreiche Nebenplots legitimierbar sind, aber das heißt nicht, dass ein schlankeres Design nicht trotzdem zielführender wäre.

Zentral ist eigentlich das Thema Familie, das im Bezug auf einen Papst auf mehreren Ebenen funktioniert. Lenny Belardo ist in einem Waisenhaus aufgewachsen und ist seitdem auf der Suche nach seinen Eltern. Im Laufe seines Lebens hat sich um ihn herum eine neue Familie entwickelt, deren Mitglieder ihm mal mehr mal weniger nahestehen. Sister Mary (Diane Keaton) kennt Lenny seit seiner Zeit im Waisenhaus und ist für ihn eine Art Mutterersatz, während ihm Kardinal Michael Spencer (James Cromwell) ein spiritueller Vater ist. Kardinal Dussolier (Scott Shepard) ist im gleichen Waisenhaus aufgewachsen und seine Bruderfigur. Im Laufe seines Aufenthalts im Vatikan findet er ein Pärchen, denen er eine Onkel- oder zumindest Patenrolle (da bekommt der Begriff „Godfather“ eine ganz neue Bedeutung) spielt und Freunde, die ihm zuvor meist verwehrt blieben. Aus diesem Beziehungsgeflecht heraus ergibt sich die Frage, wie der Papst der Heilige Vater sein kann, wenn er selbst von seinen Eltern zurückgelassen wurde und nur ein unzureichendes Bild von Familie hat. Wenn man so will, wird Lenny erst im Vatikan sozialisiert, was wiederum für die positiven Seiten der Religion und des Familienbegriffs spricht.

Interessant ist der Niederschlag des Globalen in „The Young Pope“. Dass das Christentum eine Weltreligion ist, wird anschaulich am internationalen Personal im Vatikan verdeutlicht. Dadurch bräuchte eigentlich nicht immer wieder unterstrichen werden, dass der Papst und seine Entscheidungen auf der ganzen Welt allgegenwärtig sind, es reicht der Mikrokosmos Vatikan als Abbild ebendieses Effekts. Trotzdem werden zahlreiche Reisen unternommen, von denen die eine oder andere zumindest weniger ausführlich hätte thematisiert werden müssen.

Darüber hinaus wird noch eine ganze Menge Anderes verhandelt, aber eben nicht auf sonderlich innovative Weise. Ein junger Papst ist den Alteingesessenen ein Dorn im Auge, weil sie selbst auf das Amt schielen, die Revolution fürchten und eine lange Amtszeit des Konkurrenten größtenteils nicht überleben werden. Diese Analogie zur Politik ist genauso bekannt wie die Erkenntnis, dass der Glaube für viele nur ein hohles Konstrukt ist, um an Macht zu kommen. Dass Pius als Papst in einer handfesten Glaubenskrise steckt, ist zwar das Worst-Case-Szenario eine Gläubigen, bietet aber keinen Stoff zur weiteren Vertiefung der Thematik. Im Bereich Marketing greift der junge Pontifex zu bekannten Mitteln aus dem Popbetrieb. Er macht aus sich ein Geheimnis und nennt u.a. Daft Punk (aber leider nicht Ghost) als Vorbilder für eine erfolgreiche Kampagne. Aber auch hier fehlt die Konsequenz die Storyline spannend zu Ende zu erzählen.

Es bleibt ein typisches Sorrentino-Werk, nur eben kein gutes. Neben den für ihn typischen Themen, greift der Regisseur wie immer zu prominent eingesetzter (Pop-)Musik, einem exotischen Tier, surrealen Sequenzen im Stile der legendären italienischen Filmemacher und zu wunderschönen Bildern. Auf der Blu-ray wird das gesamte Können Sorrentinos deutlich, der die Locations auf selbstsichere Art zu inszenieren weiß. Während das Visuelle über alle Zweifel erhaben ist, fehlt es auf der dramaturgischen Seite an Substanz, aber auch an Feingefühl. „The Young Pope“ muss zynisch sein, aber zu oft wird die Schraube zu weit gedreht. Der Humor muss mit den Konventionen brechen, ist aber selbst dafür manchmal zu albern.

Außerdem steht der Charakter des Pius so sehr im Zentrum des Geschehens, dass die anderen Figuren teilweise zu eindimensional bleiben. Ohne dass Diane Keaton etwas dafür kann, wirkt Sister Mary unfreiwillig komisch, spröde und flach. Obwohl ihr eine wichtige Rolle zugeschrieben wird, bekommt sie weder die Bühne noch die spannenden Redebeiträge, die ihr gebühren. Die Kardinäle werden zu oft als Mittel zum Zweck genutzt, als dass ihnen eine emotionale Tiefe zugesprochen wird. Hier kommt wieder das Argument zu tragen, dass „The Young Pope“ zu viel verhandeln will und sich trotz langer Einstellungen und ausgiebigen Dialogen zu wenig Zeit für die Entwicklung der Figuren lässt. Und am Ende bleibt auch noch die Frage, ob das Gesehene nun als eine Abrechnung oder eine Liebeserklärung an die Katholische Kirche zu verstehen ist. Wahrscheinlich liegt die Antwort wie so oft irgendwo in der Mitte, aber nach der Schlusseinstellung darf man sich schon die Frage stellen, was denn nun Sorrentinos Anliegen ist.

Fazit: „The Young Pope“ ist eine sinnvolle Erweiterung in Paolo Sorrentinos Vita, die Umsetzung lässt jedoch zu wünschen übrig. Die Serie ist überfrachtet und trotzdem von Längen geprägt, weil zu viel Klischee und zu wenig Substanz vorhanden sind. Der italienische Regisseur versteht sein Handwerk und schafft wunderschöne Bilder, auf inhaltlicher Seite wirkt es aber so, als würde er das Gedankenexperiment des jungen Papsts mit einer Strichliste in der Hand durchspielen. Während Jude Law voll und ganz überzeugt, sind die anderen Charaktere dünn gezeichnet und die Dialoge mit zu wenig Fingerspitzengefühl konstruiert. Trotzdem gibt es einige Elemente, die überraschen und die zum Nachdenken anregen, für die zweite Staffel wird eine Fokussierung von Nöten sein, um „The Young Pope“ zu einer guten und relevanten Serie zu machen.

Cover © polyband

Wertung: 7/15 dpt

  • Titel: The Young Pope
  • Produktionsland und -jahr: ITA, ESP, FRA, UK, USA 2016
  • Genre:
    Drama
    Satire
  • Erschienen: 31.03.2017
  • Label: Polyband
  • Spielzeit:
    544 Minuten auf 4 DVDs
    544 Minuten auf 3 Blu-Rays
  • Darsteller:
    Jude Law
    Diane Keaton
    James Cromwell
    u.v.m.
  • Regie: Paolo Sorrentino
  • Extras:
    Making Of, Pius XIII.
  • Technische Details (DVD)
    Video:
    16:9, 1,78:1
    Sprachen/Ton
    :
    z.B. D, GB, IT, S
    Untertitel:
    z.B. D, F, E, RU
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video:
    16:9, 1,78:1
    Sprachen/Ton
    : D, GB
    Untertitel:
    D, GB
  • FSK: 12
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite

1 Kommentar
  1. Sehr schöne, ausführliche Besprechung, die mir leider die Freude nimmt, wenigstens mal in diese Serie zu schauen. Oder vielleicht probiere ich es doch? Ich werde berichten.

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