The Wicker Man (Final Cut (Collector’s Edition)) (Spielfilm, 1 DVD/2 Blu-ray)


 „The Wicker Man“, das „Citizen Kane“ unter den Horrorfilmen. Ein vielleicht einmal zu oft bemühter Vergleich, der aber auch deswegen passt, weil nicht jeder die Qualitäten des Klassikers als stilprägend erkennt. Regisseur Robin Hardy gelang 1973 das Kunststück, das Horrorgenre umzukrempeln, indem er einen unkonventionellen und schrägen Film inszenierte, der auf seine ganz eigene Art gruselig daherkommt. Noch in der heutigen Zeit, in der das Genre immer noch von billigen Gruselschockern dominiert wird, wäre „The Wicker Man“ ein mutiger wie außergewöhnlicher Film, von dem man sich als FilmemacherIn eine Scheibe abschneiden sollte. Nun erscheint eine umfangreiche Collector’s Edition, die dem Klassiker und seiner bewegten Geschichte gerecht wird und kaum Wünsche offenlässt.

Studiocanal hat sich liebevoll um das Erbe von „The Wicker Man“ und auch von Robin Hardy gekümmert. Der Regisseur verstarb im vergangenen Jahr, für ihn stellte der Film sein Lebenswerk dar. Hardy konnte sich nie vom Weidenmann-Stoff lösen und zeichnete neben dem zu vernachlässigen Thriller „The Fantasist“ (1986) nur noch für die „The Wicker Man“-Variation „The Wicker Tree“ verantwortlich, der vor sechs Jahren ebenfalls keinen bleibenden Eindruck hinterlassen konnte. Das hat sicher auch damit zu tun, dass die Wertschätzung für den mutigen „The Wicker Man“ noch heute groß ist. Mitten in die Flower-Power-Depression Anfang der 1970er-Jahre setze Hardy einen Horror, der seine Schockwirkung nicht aus der Fantasie, sondern aus der realen Brutalität der Religionen zieht.

Sergeant Howie (Edward Woodward) begibt sich per Polizeiflugzeug auf die schottische Insel Summerisle, um einer anonymen Vermisstenmeldung nachzugehen. Die eigensinnigen und schroffen BewohnerInnen wollen zunächst allerdings nichts davon gehört haben, dass die kleine Rowan Morrison verschwunden ist. Je mehr Howie jedoch in das Alltagsleben der Insel eintaucht, umso unheimlicher wird ihm die Angelegenheit: Summerisle entpuppt sich als Heimat einer Art Sekte, für die Fruchtbarkeit im Zentrum allen Handelns steht. Statt Gesetze vom schottischen Festland befolgen die Anhänger die Anweisungen Lord Summerisles (Christopher Lees Lieblingsrolle), der als charismatischer Führer die Geschicke der Insel leitet. Howie wird immer weiter in die kruden Machenschaften der freizügigen Gemeinschaft gezogen und als Gesetzeshüter und frommer Christ bis aufs Äußerste in seinen idealistischen Ansichten geprüft.

Gerade der letzte Punkt ist einer der Schlüssel des Films und seiner auf den ersten Blick brutalen Moral. Howie begegnet auf seinen Untersuchungen auf der Insel zahlreichen Symbolen, Ritualen und Verhaltensweisen, die ihn auf unterschiedliche Weise fordern. Egal ob er das Gesehene ablehnt, bekämpft oder sich gegen Verführung wehren muss, immer sind die Taten dieser „Heiden“ auch ein Spiegel für die Ausübung der eigenen Religion, des Christentums. Und wenn die groteske Handlung am Ende eine bittere Schwere beim Zuschauer hinterlässt, wirkt der dabei erzeugte Horror auf vorbildliche Weise, denn es sind tatsächlich Menschen, die sich dort nur aufgrund ihrer unterschiedlichen Auffassungen von Glauben und Mythen (wie dem des Weidenmanns) aufs Perfideste bekämpfen.

Dabei lebt „The Wicker Man“ von zahlreichen formalen Entscheidungen. Robin Hardy entschied sich für eine schräge Inszenierung, die ihrer Zeit weit voraus war. Der Film ist nicht eindeutig dem Horror zuzuordnen, vielmehr werden die Grenzen aufgeweicht, die Genres verschmelzen miteinander. Beispielsweise trägt die Suche nach dem vermissten Mädchen, die Begegnung des Fremden und das Spiel mit den Erwartungen der ZuschauerInnen Elemente des Mystery-Krimis in sich, doch wenn die DorfbewohnerInnen plötzlich anfangen zu singen und zu tanzen, finden bizarre Musical- und Comedy-Elemente Eingang in den Film. Es ist nicht weit hergeholt, wer hier einen wichtigen Einfluss von David Lynch und vor allem „Twin Peaks“ ausmacht.

Aber nicht nur hier konnte „The Wicker Man“ Eindruck hinterlassen, weit über die Grenzen der Filmwelt hinweg sind seine ikonischen Elemente rezipiert worden. Aber auch in der Geschichte des Mediums Film ist das Werk an prominenter Stelle zu verorten. Das liegt zu einem guten Teil an der erstaunlichen Geschichte von „The Wicker Man“, die mit der vorliegenden Edition detailliert beleuchtet wird. Gleich drei Versionen umfasst das Set, das zum ersten Mal den 93-minütigen „Final Cut“ in Deutschland erhältlich macht. Während der Produktion verschwanden Teile des Films, einige sind bis heute nicht aufzufinden. Mit den wiederentdeckten Elementen wurde die Kinofassung (88 Minuten) zunächst zum „Director’s Cut“ (100 Minuten) erweitert, Letzterer liegt leider aber nur in überschaubarer Qualität vor und konnte nicht wie die anderen beiden Versionen restauriert werden. Das ist auch deswegen schade, weil sich die Überarbeitungen äußerst positiv ausgewirkt haben, was dem Schauwert des Gezeigten (gerade auf Blu-ray) deutlich zu Gute kommt. Trotzdem stellt dieser einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Vision Robin Hardys dar, der mit einigen zusätzlichen Anfangsminuten einen anderen Ton setzen wollte.

Extrem bereichernd ist das Bonusmaterial des Sets. Es gibt dem Regisseur die Möglichkeit eines Rückblicks, ordnet den Film durch die Stimmen von ExpertInnen in die Historie ein und bewertet ihn aus dem heutigen Standpunkt. Besonders interessant sind die Einblicke in die Geschichte der Filmmusik. Die außergewöhnliche Arbeit war lange nicht erhältlich, da keine Mastertapes vorhanden waren. Die Verantwortlichen beschreiben anschaulich, was nötig war, um nach Jahrzehnten doch noch einen Soundtrack veröffentlichen zu können. Dementsprechend ist das Set ein umfangreiches und vorbildliches Dokument, das sich alle Fans als ein unverzichtbares Puzzlestück der Faszination um „The Wicker Man“ ins Regal stellen müssen.

Fazit: Studiocanal hat sich liebevoll um „The Wicker Man“ gekümmert. Vierundvierzig Jahre nach Erscheinen bringt das Set alle drei Versionen und zum ersten Mal den „Final Cut“ auf den deutschen Markt und schließt so eine Lücke zum Verständnis der Vision von Regisseur Robin Hardy. Die Restauration und das umfangreiche Bonusmaterial der Collector’s Edition lassen ihrem Namen entsprechend kaum Wünsche offen – und das zu einem fairen Preis. Der Film selbst ist gut gealtert und kann in der Rückbetrachtung seinen besonderen Status in seinem Niederschlag in der Popkultur begründen. Und am wichtigsten: „The Wicker Man“ zeigt einen grotesken Horror, von dem FilmemacherInnen noch heute etwas lernen können.

P.S.: Da die Kinofassung in Deutschland seinerzeit nicht synchronisiert wurde, erscheint „The Wicker Man“ weiterhin im OmU-Format. Auf DVD erscheint nur der “Final Cut”.

Cover © Studiocanal

  • Titel: The Wicker Man – Final Cut (Collector’s Edition)
  • Produktionsland und -jahr: GB, 1973
  • Genre:
    Horror
    Mystery
    Musical

  • Erschienen: 20.07.2017
  • Label: Studiocanal
  • Spielzeit:
    93 Minuten auf 1 DVD
    280 Minuten auf 2 Blu-Rays
  • Darsteller:
    Edward Woodward
    Christopher Lee
    Britt Ekland
    Diane Cilento
  • Regie: Robin Hardy
  • Drehbuch: Anthony Schaffer
  • Kamera: Harry Waxman
  • Schnitt: Eric Boyd-Perkins
  • Musik: Paul Giovanni
  • Extras:
    Der Kult um „Wicker Man“, Die Musik, Interview mit Robin Hardy, Die Restaurierung, Trailer
  • Technische Details (DVD)
    Video:
    1,85:1
    Sprachen/Ton
    :
    GB
    Untertitel:
    D, GB
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video:
    1,85:1 (1080/24p Full HD)
    Sprachen/Ton
    :
    GB
    Untertitel:
    D, GB
  • FSK: 16
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite

Schreibe einen Kommentar

Hinweis: Mit dem Absenden deines Kommentars werden Benutzername, E-Mail-Adresse sowie zur Vermeidung von Missbrauch für 7 Tage die dazugehörige IP-Adresse, die deinem Internetanschluss aktuell zugewiesen ist, in unserer Datenbank gespeichert. E-Mail-Adresse und die IP-Adresse werden selbstverständlich nicht veröffentlicht oder an Dritte weitergegeben. Du hast die Option, Kommentare für diesen Beitrag per E-Mail zu abonnieren - in diesem Fall erhältst du eine E-Mail, in der du das Abonnement bestätigen kannst. Mehr Informationen finden sich in unserer Datenschutzerklärung.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ähnliche Beiträge
Weiterlesen

For All Mankind (VOD – Apple TV)

Was wäre, wenn nicht die Amerikaner die ersten Menschen am Mond gewesen wären, sondern die Russen? Wie hätte sich das Raumfahrtprogramm NASA danach weiterentwickelt? Welchen Einfluss hätte das auf den Kalten Krieg gehabt? Dieser Frage geht die Apple TV Serie For All Mankind nach.

Du möchtest nichts mehr verpassen?
Abonniere unseren Newsletter!

Total
0
Share