Mit der Reihe um den Nürnberger Kommissar Friedo Behütuns hat sich Tommie Goerz in der deutschsprachigen Krimiszene einen Namen gemacht. Außerhalb dieser Serie liegt nun mit “Meier” ein großartiges Roadmovie vor, welches schon jetzt zu den Highlights des Jahres gezählt werden darf. Sicher, manch‘ Krimitraditionalist wird sich längere Zeit fragen, wo sich denn hier der Krimi versteckt, denn üblicherweise beginnt ein solcher ja mit einem Verbrechen, welches es aufzuklären gilt. Bei “Meier” gelten diese Regeln nicht, denn der vermeintliche Frauenmörder wird zu Beginn aus der Haftanstalt entlassen.
Es fing an als ein kleines Mädchen verschwand, dessen Leiche drei Wochen später gefunden wurde. Die im Umkreis lebenden Männer gaben eine Speichelprobe ab und so landete auch Meiers DNA in der Datenbank. Zwei Jahre später wurde eine Frau erschlagen. Am Tatort fanden sich zwei Kippen sowie die Tatwaffe, ein Baseballschläger. An den Kippen befand sich Meiers DNA und der Schläger wurde ihm kurz zuvor gestohlen. Ein Alibi für die Tatzeit hatte er nicht und so kam es zu zwölf Jahren Haft. Dabei kannte er weder die Frau, noch war er je am Tatort.
Ihr wollt mich kriminell? Ihr könnt mich kriminell haben. Ihr wart es doch, die mich zum Kriminellen gemacht haben. Und ich nehm viel mit aus den zehn Jahren, ich hab die Zeit gut genutzt. Zurück in die Gesellschaft kann ich sowieso nicht mehr, da müsste ich ganz bei Null wieder anfangen. Unter Null. Aber das geht auch anders.
Jetzt, zehn Jahre später, wird Meier wegen guter Führung vorzeitig entlassen. Die Rückkehr in ein normales Leben scheint ausgeschlossen, doch zwei Dinge sind ihm klar. Er wird nicht noch einmal einsitzen und er will Rache für all die Jahre, die man ihm gestohlen hat. Aber die Jahre im Knast waren nicht vergeblich. Er hatte hier viele Lehrmeister, hörte gut zu, kennt inzwischen alle kriminellen Tricks. Der Tschetschene Gregory war im Chef der Knast und da er Meiers überdurchschnittliche Intelligenz schnell bemerkte, vertraute er ihm einen langen Zahlencode an, den er in Duisburg an Wassily, einen Clanchef, der mehrere Viertel kontrolliert, weitergeben soll. Ein anschließender Einbruch und ein Deal mit Wassily bringen das Startkapital für seinen Rachefeldzug. Diesen gilt es sorgfältig vorzubereiten und so zieht er sich in ein kleines Kaff zurück, wo ihm die Neugier der Nachbarn aber schon bald lästig wird.
“Wo kommst du her?”
“Aus dem Knast.”
“Knast?”
“Ja, aus dem Knast.”
“Wie lange hast du gesessen?”
“Zehn.”
“Monate?”“Jahre.”
“Wegen was?”
“Angeblich Mord.”
“Angeblich?”
“Weil die es gesagt haben. Und ich’s nicht war.”
“Wie das?”
“Sie konnten es beweisen.”
“Sie konnten beweisen, dass du es warst?”
“Richtig.”
“Aber du warst es nicht?”
“Richtig.”
“Kannstes beweisen?
“Dann hätte ich nicht gesessen.”
“Meier” ist ein temporeicher Roman, der die Grenzen des klassischen Kriminalromans locker sprengt. Mit kurzen, präzisen Sätzen treibt die Handlung voran. Dabei hält sich der Autor nicht mit unwesentlichen Hintergründen auf. Meiers Vergangenheit bleibt im Dunkeln. Man erfährt, dass er als Jugendlicher gerne an Autos geschraubt hat und später Physik und Philosophie studierte. Fertig. Die Jahre im Bau waren anstrengend, aber Meier hat sich damit arrangiert. Jetzt kennt er die schmutzigen Tricks, weiß, wie man in Wohnungen einsteigt, Autos in wenigen Sekunden klaut und Beweismittel fälscht. Bei dem furiosen Finale werden ihm alle diese Dinge helfen. Zwischen der Entlassung und dem Showdown liegt eine lange Vorbereitungszeit. Genauigkeit geht vor Schnelligkeit, Meier ist nahezu ständig auf Achse, um seinen Plan vorzubereiten.
Unterwegs geht es mitunter rau zu, dazu passt die lakonische Sprache des Autors. In der Krimibestenliste von Frankfurter Allgemeine und Deutschlandfunk Kultur schaffte es der Roman auf Platz 10 im August dieses Jahres. Dort heißt es: “Knochentrocken serviert, die Ballade vom zufriedenen Knacki.” Für sein großartiges Werk benötigt Tommie Goerz gerade einmal einhundertsechzig Seiten. Auch damit setzt er sich wohltuend von den dicken Mainstream-Wälzern ab. Kleiner Schwachpunkt: Der Autor folgt dem modernen Trend, auf Anführungszeichen bei der wörtlichen Rede zu verzichten, was das Lesen teilweise erschwert.
Cover © ars vivendi
- Autor: Tommie Goerz
- Titel: Meier
- Verlag: ars vivendi
- Erschienen: 02/2020
- Einband: Hardcover
- Seiten: 160 Seiten
- ISBN: 978-3-7472-0111-4
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 12/15 dpt