Tobias Ginsburg – Die letzten Männer des Westens (Buch)


Undercover unter Rechtsradikalen, Rassisten und Frauenhassern

© Rowohlt Polaris
© Rowohlt Polaris

Bereits vor einigen Jahren wurde ein Buch (Die Reise ins Reich. Unter Reichsbürgern) von Tobias Ginsburg veröffentlicht, in dem er seine Erfahrungen undercover in der Reichsbürgerszene beschreibt.
Dieses Jahr ist sein zweites Buch erschienen und erneut nimmt er die Leser:innen mit auf eine rasante Fahrt in die aggressive und hasserfüllte Welt der Manosphere und der Männerbünde. Eine Welt, in der Frauenhass, Rassismus, Queerfeindlichkeit und gefährliche Männlichkeitsversprechen längst zur Normalität geworden sind – und erschütternderweise auch in der gesellschaftlichen Mitte schon lange angekommen sind.

Der Autor legte sich für seine Recherchen mehrere Pseudonyme und Identitäten zu, bastelte sich Websiten und Onlineprofile, um undercover in die Netzwerke und Vereine eindringen zu können, von denen er detailliert in seinem Werk erzählt.
Seine Recherchen führen ihn nicht nur in ganz Deutschland herum, sondern auch in die USA und Polen, er besucht hypermännliche Burschenschaften, Konzerte von Rechtsextremisten und Demonstrationen.
Für sein Werk begleitete er (beziehungsweise seine neue Identität) über einen längeren Zeitraum hinweg verschiedene Männer, lässt sie erzählen und wird von ihnen in eine Welt eingeführt, in der die Verachtung für Nicht-Weiße und Nicht-Heterosexuelle an der Tagesordnung ist. Eine Welt, in der diese Männer sich gewaltsam auf den Tag X vorbereiten und für ihre hasserfüllte Armee junge Soldaten heranziehen und rekrutieren, aufgebaut auf einem gefährlichen und toxischen Bild von Männlichkeit und falscher Stärke.

Sprach mit all den Typen, die sich doch zum Großteil weder als rechts, schon gar nicht als radikal verstehen. Und begriff erst das Ausmaß, mit dem die Rechten den Diskurs verändert haben und noch immer verändern. Wie tief sich ihr Fiebertraum vom untergehenden Westen und der muslimischen Invasion, dem grassierenden Genderwahn und dem Aussterben wahrer Männlichkeit in die Köpfe eingebrannt hat.
Der Schaden ist angerichtet. Und aufgehört haben sie noch lange nicht.

Tobias Ginsburg zeichnet ein entsetzliches Bild und schreibt ein erschütterndes Buch über Männer (und auch hier und da wenige Frauen), die Juden, Migranten und Frauen als Feinde sehen, die um jeden Preis vernichtet oder unterdrückt werden müssen. Er beschreibt Menschen, die den weißen Mann als Opfer sehen, der sich wehren muss – mit Gewalt und Aggression.
Man mag meinen, dass diese Männer in einer Parallelwelt leben, in ihrem eigenen kleinen Kreis, am Stammtisch böse Parolen zischen, ihre Ex-Frau oder wahlweise die Flüchtlingspolitik für ihr Elend verantwortlich machen und auf die verweichlichte Jugend schimpfen. Oder dass Nazis mit kahlgeschorenem Schädel und Hitlergruß nur die NPD wählen, eine kleine Minderheit sind.
Doch der Autor beschreibt glaubwürdig und nachdrücklich, dass diese vermeintliche Parallelwelt in ihrer gesamten Radikalität und Gewaltbereitschaft nicht abgeschottet vor sich hinlebt, sondern viel Nährboden in der Mitte der Gesellschaft findet und das gnadenlos ausnutzt.
Er zeigt das hochgefährliche und politische Potenzial auf, was von diesem Menschen ausgeht. Wie sehr der hasserfüllte, rassistische, queer- und frauenverachtende Diskurs bereits die rechte Ecke verlassen und in der bürgerlichen Mitte Platz genommen hat. Wie Begriffe, Gedanken und Vorstellungen von dem ‘unterdrückten weißen Mann’, der angeblichen Translobby und dem Feminismus als Feindbild in Zeitungen abgedruckt werden und rechtsradikale Rapper auf den Deutschen Charts weit vorne landen können.

Ich bin erschöpft. Ich will nicht aussteigen und klingeln und lachen und lärmen. Will nicht wieder dieser ekelhafte Mann sein, mit dem ich mir schon so lange einen Körper teile. Ich ekele mich vor ihm. Vor mir.

Man spürt mit jeder Zeile die Verzweiflung die von dem Autor undercover ausgeht – der Schock, die Wut und letztendlich die Entschlossenheit, nicht mit geschlossenen Augen durch diese immer mehr radikalisierte Gesellschaft hindurchzugehen.
Mit Die letzten Männer des Westens hat Tobias Ginsburg ein aufrüttelndes, erschreckendes und zugleich spannendes, wie erstaunlich humorvolles Buch geschrieben, welches die Leser:innen mit jeder Seite weiter in den Strudel einsaugt.
Ein wahnsinnig wichtiges Werk um einen wertvollen Blick auf die Rekrutierungsmechanismen, Netzwerke und Männer zu werfen, die sich in ihrer Männlichkeit bedroht fühlen und bereit sind, dafür zu töten1.


Wertung: 14/15 dpt

  • Autor: Tobias Ginsburg
  • Titel: Die letzten Männer des Westens: Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriachats
  • Verlag: Rowohlt Polaris
  • Erschienen: 10/2021
  • Einband: Paperback
  • Seiten: 336
  • ISBN:978-3-499-00353-0
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite
    Erwerbsmöglichkeiten

  1. Oder es bereits getan haben, wie die rassistisch und sexistisch motivierten Massenmorde von Utøya, Christchurch oder München zeigen []
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