Wenn beim “Todesblues” alle Verdächtigen ein Alibi haben
Privatdetektivin Tamara Hayle ist mal wieder chronisch knapp bei Kasse als sie einen neuen Auftrag erhält. Bessie Raymond bittet Tamara, den Mord an ihrem Sohn Shawn aufzuklären, der bereits vor sieben Monaten in seiner eigenen Wohnung erschossen wurde. Die Polizei ermittelt schon lange nicht mehr.
„Dann haben Sie den Mörder von Shawn Raymond gefasst?“
„Das habe ich nicht behauptet.
Vor vielen Jahren beging Tamaras geliebter Bruder Johnny Selbstmord. Johnny war Polizist und arbeitete zudem in einem Projekt, in dem vaterlose Kinder betreut wurden, um nicht auf die schiefe Bahn zugeraten. So wurde Johnny quasi zum „Paten“ für den ermordeten Shawn, wodurch sich Tamara verpflichtet fühlt, den Fall zu übernehmen. Doch was will sie eigentlich herausfinden, wenn die Polizei damals nichts gefunden hat? Nach so langer Zeit dürften alle Spuren, so es sie denn gab, kalt sein. Und dann gibt es da noch einen wichtigen Vorfall. Kurz vor Bessies Besuch wurde Tamara von einem Jugendlichen mit einer Pistole bedroht. Bei dem Dreizehnjährigen handelt es sich um Rayshawn, den ältesten Sohn von Shawn.
Neben Rayshawn, dessen Mutter Viola Rudell für ihre Gewaltausbrüche bekannt ist, gibt es noch den jüngeren Sohn Gus, dessen Mutter die zerbrechliche Gina Lennox ist. Ihr Vater Augustus Lennox ist hingegen eine Legende, ein ehemaliger Cop, der hohes Ansehen genießt und dem man besser aus dem Weg geht. Für Tamara ist dies keine Option, denn sie muss natürlich mit allen Angehörigen und Bekannten sprechen. Dabei trifft sie auch Augustus Bruder Ben, mit dem sie vor vielen Jahren einst liiert war.
Dritter Band der Tamara-Hayle-Serie
Tamara Hayle gilt als erste schwarze Privatdetektivin des Kriminalromans, was allein schon für Aufmerksamkeit sorgen sollte. Sieben Romane sind in deutscher Übersetzung erhältlich, „Todesblues“ ist der dritte Band. Wie das bei Serien so ist, gibt es reichlich Wiederholungen und Wiedersehen mit alten Bekannten. Pflichtverteidiger Jake, Tamaras ebenso große wie platonische Liebe, darf ebenso wenig fehlen wie der Schönheitssalon in jenem Gebäude, in dem Tamara ihre Detektei betreibt. Wie seit Chandlers Zeiten sitzt auch Tamara in einem heruntergekommenen Büro, das aus genau einem Raum besteht; mit einer trostlosen Pflanze als einziger Zierde. Da ist der im Erdgeschoss befindliche Salon schon hilfreich, nicht nur um sich die Nägel machen zu lassen, sondern vor allem um mit nicht selten gut informierten Sistern ins Gespräch zu kommen. Sisters und Brothers und ab und an ein „Yeah“; es muss wohl sein, wirkt jedoch mitunter aufgesetzt.
Die Geschichte spielt in Newark, der größten Stadt im Bundesstaat New Yersey und vermutlich jedem bekannt, der schon einmal in New York war. Newark liegt auf der anderen Seite des Hudson River und dient als Kulisse für die vorliegende Reihe. Gerne wird auf das schwere Leben der schwarzen Bevölkerung verwiesen, was hier vor allem an den heftigen Rassenunruhen im Juli 1967 liegen mag, nachdem ein schwarzer Taxifahrer von weißen Polizisten kontrolliert und niedergeschlagen wurde. Noch heute – wir reden von den 1990er Jahren – ermitteln (weiße) Polizisten recht oberflächlich, wenn das Opfer ein Schwarzer war. Rassismus und Sexismus sind bei der Polizei weit verbreitet, weswegen Tamara dort einst den Dienst quittierte. Ihrem damaligen Chef De Lorca verhilft dies immerhin zu Kurzauftritten, während weiße Personen in den Romanen kaum eine Rolle spielen. Man bleibt in seiner eigenen Welt, welche durchaus lebendig vorgestellt wird.
Die Handlung in „Todesblues“ beschränkt sich beinahe ausschließlich auf das eingangs erwähnte Personaltableau, so dass es wenig verwundern dürfte, wenn am Ende des Buches, der Täter oder die Täterin dort gefunden werden sollte. Der Spannungsbogen könnte höher liegen. Wenngleich Tamara nach zahlreichen Befragungen bald einen ersten Verdacht hat, hilft ihr dies nicht weiter, denn alle Beteiligten hatten ein Alibi. Augustus und Ben waren mit ihren Frauen auf einer Kreuzfahrt in der Karibik, ihr dritter Bruder Zeke saß im Gefängnis, Gina und deren Schwester Lena waren auf einer Party mit zahlreichen Gästen und Viola, Rayshawn und Bessie scheiden ebenfalls aus. So zumindest die Ausgangslage vor dem Finale, welches einmal mehr etwas plötzlich daherkommt. Eine Eingebung, ein Verdacht und ein überraschendes Geständnis. Originell ist dies nicht, aber die familiären Verflechtungen haben es in sich, wenngleich es auf einen Beziehungsklassiker hinausläuft.
Tamara Hayle ist eine sympathische Protagonistin, deren Privatleben existiert, aber keine dominante Rolle wie etwa bei skandinavischen Krimis spielt. In „Todesblues“ steht es dieses Mal sogar noch mehr im Hintergrund, selbst Sohn Jamal kommt auffällig wenig vor, und dennoch findet sich hier eine Art Urknall. Tamara und die Männer, es will einfach nicht klappen. Ach wäre sie doch mit Jake …, aber der ist ja leider verheiratet.
Hier finden Sie die Rezensionen zu Band 1 – “Ein Engel über deinem Grab” und zu Band 2 – “In Teufels Küche“.
- Autorin: Valerie Wilson Wesley
- Titel: Todesblues
- Originaltitel: No Hiding Place. Aus dem Amerikanischen von Gertraude Krueger
- Verlag: Diogenes
- Umfang: 288 Seiten
- Einband: Hardcover
- Erschienen: Februar 1999
- ISBN: 978-3-257-06208-3
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Wertung: 11/15 dpt