Sabrina Imbler – So weit das Licht reicht. Die Kreaturen der Tiefsee und was sie mir über das Leben erzählen (Buch)


Meeresbiologie gepaart mit autobiografischer Reflexion und Poesie! So lässt sich Sabrina Imblers Debut meiner Meinung nach am besten beschreiben.

In ausführlichen Essays nimmt Imbler uns mit in die Tiefsee und stellt uns verschiedene Tiere vor, von denen ich teilweise noch nicht gehört hatte – und wenn doch, nicht so viel über sie wusste, wie ich es jetzt weiß. Vom Goldfisch weiß ich jetzt, dass sie ohne Glas viel länger leben und größer werden könnten. Ich weiß, dass weibliche Oktopoden nur einmal Nachwuchs bekommen und dann sterben, weil sie bis ihr Nachwuchs auf die Welt kommt nichts mehr fressen. Ich habe erfahren, dass der chinesische Stör ein Urzeitfisch und vom Aussterben bedroht ist und dass Wale auch nach ihrem Tod noch wichtig sind für das ökologische Gelichgewicht unter Wasser. Ich habe gelernt, dass es unter Wasser Vulkane gibt und sich dort Lebewesen ansiedeln und dass der Spitzname des Riesenborstenwurms einem Sexualstraftäter entliehen wurde. Ich wusste vorher nichts über die Existenz von Salpen und wie wandelbar Sepien sind und erst Recht nicht, dass unsterbliche Quallen rückwärts altern können. Und dann wieder vorwärts. Selbst in der Danksagung gibt Imbler uns noch einen weiteren wissenschaftlichen Diskurs und das Buc hat nicht umsonst ein zwanzigseitiges Literaturverzeichnis.

Das alles klingt nach einem extremen Infodump, der schnell anstrengend oder langweilig werden könnte. Allerdings schreibt und erklärt Imbler all diese wissenschaftlichen Fakten sehr anschaulich und leicht verständlich – ein bisschen fühlte ich mich in die Zeiten meines Geolino-Abos als Kind zurückversetzt.

Am interessantesten ist für mich aber, wie diese biologischen Begebenheiten mit Imblers eigenem Leben und Themen wie Selbstfindung, Queerness, sexueller und Genderidentität, Esstörungen, Körperdysphorien, Bodyshaming, generationalen Traumata, antiasiatischem Rassismus, sexueller und häuslicher Gewalt, Zugehörigkeit, Queerfeindlichkeit und Liebeskummer assoziiert werden. Imbler wirft mit scheinbar zusammenhangslosen Fakten um sich, und verbindet diese dann plötzlich und fast unbemerkt mit den Phänomenen des Alltags einer non-binären Person und tiefsinnigen Gedanken darüber. So z. B. von der tanzenden Tiefseekrabbe zur queeren Clubnacht oder von der Nekropsie eines Walfisches zur Nekropsie einer gescheiterten Beziehung. Die angesprochenen Themen sind nicht immer leicht verdaulich und treffen einen teilweise unvorbereitet – war man doch gerade gedanklich noch zum Beispiel beim Riesenborstenwurm, der auf mich zunächst eher kurios als gefährlich wirkte, von nun aber gedanklich immer einen bitteren Nachgeschmack haben wird.

Die Kapitel sind sehr lang, bieten dafür aber eine komplette Abhandlung – sowohl über das biologische Thema, wie auch über das Thema, das Imbler gerade besprechen möchte.

Das Buch schafft es, einem die wunderbare Vielfalt der Tiefsee näher zu bringen und überträgt diese auf poetische und metaphorische Weise auf unser Leben an Land.

“Sie ist eine der am besten erforschten Quallenarten der Welt, und doch bemerkte niemand ihre Regenerationskraft, bis jemand ihr Zeit gab und darauf vertraute, dass sie zu sich selbst erwachsen würde. Vielleicht ist jede Qualle zu einer solchen Verwandlung fähig.

Ich muss dich also nochmal fragen. Wie wirst du von Neuem wachsen, und auf wie viele Arten?”

S. 253

Ich kann dieses Buch also allen empfehlen, die das Meer lieben, sich gerne von Wissenschaft verzaubern lassen und Vielfalt an Land und im Meer und die Reflexion darüber zu schätzen wissen.

Für Menschen, die sich am Gendern per Genderstar* und Neopronomen stoßen und trans Identitäten und Queerness nicht als gleichwertig zum eigenen Lebensentwurf erachten, ist dieses Buch, auch bei vorhandenem biologischem Interesse, eher nichts.

  • Autor: Sabrina Imbler
  • Titel: So weit das Licht reicht. Die Kreaturen der Tiefsee und was sie mir über das Leben erzählen
  • Originaltitel: How Far The Light Reaches: A Life in Ten Sea Creatures
  • Übersetzer: Anja Kauss
  • Verlag: C. H. Beck
  • Erschienen: 09/2023
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 288
  • ISBN: 978-3-406-80657-5
  • Sonstige Informationen:
  • Erwerbsmöglichkeiten


Wertung: 14/15 dpt

 


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