Marc Raabe – Der Morgen (Buch)

Turbulente Highspeed-Action

Im verschneiten Berlin findet die angehende Journalistin Frida Wilke auf einem Pritschenwagen an der Siegessäule die Leiche einer ermordeten Frau. Bis auf einen Handschuh ist sie nackt und auf ihrer Haut ist eine Adresse notiert. An dieser wohnt Henrik Westphal, Gastgeber des in wenigen Tagen anstehenden G20-Gipfels und seines Zeichens deutscher Bundeskanzler. Aus der vermeintlich großen Story wird jedoch nichts, da das Bundeskriminalamt eine Nachrichtensperre verhängt. Man will Aufsehen um jeden Preis vermeiden, zumal das Opfer die Frau des Gesundheitsministers ist.

Martin Buchwald, BKA-Chef im Bereich für Gewalt- und Sexualdelikte, kann durch Einfluss höherer Kräfte auf seinen besten Ermittler zurückgreifen. Artur „Art“ Mayer verpasste unlängst dem Polizeipräsidenten Kauder einen Faustschlag, woraufhin er aus dem Dienst flog. Jetzt arbeitet er nachts als Türsteher für ein Etablissement, in dem seine Nachbarin Dana Karasch gearbeitet hat. Seit zwei Wochen ist sie verschwunden, während zuhause ihre kleine Tochter Milla wartet, weswegen Art die junge Mutter sucht. Widerwillig lässt sich Art zur Rückkehr zum BKA überreden, zumal er dort mit der Kommissar-Anwärterin Nele Tschaikowski zusammenarbeiten soll, die ihn mit ihrer Sprachgenauigkeit von Beginn an auf die Nerven geht.

Art Mayer schwirrte der Kopf. Alles, was er an Polizeiarbeit verachtenswert fand, begegnete ihm gerade erneut in Reinkultur. Die Forderung nach schnellen Ergebnissen, vorschnelle Thesen, politisch gefärbte Ermittlungen – und er war mittendrin, an vorderster Front. Er hasste das Gefühl, ein Spielball zu sein. Genau deshalb hatte er hingeschmissen.

Art erfährt, dass es bereits ein weiteres Opfer gab, dem ebenfalls die Adresse des Kanzlers auf den Körper geschrieben stand. Eine junge Reinigungskraft, die offensichtlich nie etwas mit Westphal zu tun hatte. Wo bitte ist der Zusammenhang? Dieser erschließt sich Art erst sehr spät und führt ihn zurück in seine Jugend, die er wohl am liebsten vergessen hätte: Mit Ausnahme einer Person.

Auftakt der Art-Mayer-Reihe

Mit „Die Dämmerung“ und „Die Nacht“ sind die beiden Folgebände bereits erschienen. Der vierte und letzte Teil der Art-Mayer-Reihe „Im Morgengrauen“ soll im März 2026 folgen. Man darf schon jetzt gespannt sein, ob es dabei bleibt, denn in den letzten Jahren gingen auffällig viele Serien, die mit drei oder vier Titeln angekündigt wurden, sozusagen in die Verlängerung. Der Auftakt „Der Morgen“ ist jedenfalls ein Kracher und – im doppelten Wortsinn – stark konstruiert. Die Überraschungen auf den ersten hundert Seiten, reichen locker für fünf Bücher, sind aber durchaus plausibel. Nun ja, es ist halt ein Roman, da kann es doch sein …

„Er hat mich darum gebeten, irgendeinen Sündenbock zu finden. Gestern, hier in diesem Zimmer.“

„Sündenbock?“

„Er hat’s Lösung genannt.“

Neben einem wendungs- und actionreichen Plot wird auch die Arbeit des BKA vertieft dargestellt, wobei natürlich im Mittelpunkt die beiden Protagonisten stehen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der beste Ermittler des BKA, ein mürrischer Einzelkämpfer schon seit seiner traurigen Zeit im Kinderheim, trifft auf eine junge Anwärterin, die zwar etwas zurückhaltend, dafür aber keineswegs auf den Mund gefallen ist. Allein, sie hat zwei Probleme, die ihr die Arbeit erschweren. Zum einen ist sie ohne Wissen ihres Freundes in Umständen und zudem die Nichte jenes Herrn, dem Art erst kürzlich eine reingehauen hat.

Zu Beginn des Romans nimmt Arts Kindheit einen größeren Umfang ein, denn im zarten Alter von zwölf Jahren verliebt er sich das erste Mal in ein drei Jahre älteres Mädchen, dass mit ihrer Freundin und drei jugendlichen Freunden abhängt. Diese Freunde sind – sehr zurückhaltend formuliert – gemein, jedenfalls Art gegenüber. Es kommt fast zu einem tödlichen Vorfall sowie einer gänzlich aus dem Ruder laufenden Mutprobe, bei der Art schwer verletzt wird. Einer der betroffenen Jugendlichen ist der heutige Bundeskanzler, was der Prolog gleich vorwegnimmt. Nein, wir spoilern bei booknerds nicht.

Wem die eine oder andere turbulente Wendung nicht zu viel ist, wird mit diesem Hochgeschwindigkeitsthriller seine Freude haben. Auch die Nicklichkeiten zwischen Art und Nele sind unterhaltsam, zumal Art partout nicht über seine Vergangenheit reden möchte. Dass er aber mit dem Kanzler und dessen Frau per Du ist, lässt Nele verständlicherweise keine Ruhe. Da wissen die Leser dank der Rückblenden schon mehr. Bei der Suche nach dem Mörder tappen aber alle, Ermittler wie Leser, lange im Dunkeln, wobei recht schnell die Presse und ein Onlineportal mit gezielten Attacken gegen den Kanzler in das Geschehen eingreifen. Fake News wohin man sieht.

  • Autor: Marc Raabe
  • Titel: Der Morgen
  • Verlag: Ullstein
  • Umfang: 592 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: März 2023
  • ISBN: 9783864932052
  • Produktseite

Wertung: 12/15 dpt

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