
Zweiter Weltkrieg, Ostfront, deutsche Soldaten machen auch vor der polnischen Zivilbevölkerung nicht halt. Der Junge Janek wird von seinem Vater in ein Versteck in den Wald gebracht. Wenigstens er soll überleben, nachdem bereits seine beiden Brüder getötet wurden. Als der Vater nicht mehr zurückkommt, schließt sich Janek einer Gruppe von Partisanen an. Die bunt zusammengewürfelte Truppe haust in den Wäldern vor Vilnius. Hunger, Kälte und die Gräuel des Krieges bestimmen den harten Überlebenskampf.
Die Geschichte um Janek ist der rote Faden des Romans. Sein Aufenthalt im Wald bis zum Ende des Krieges dauert viele Monate. Er sieht wie Fremde und Freunde sterben, wird Zeuge und Täter, verliebt sich in Partisanin Zozia und wird früh erwachsen.
Romain Gary ist ein großartiger Erzähler. Er inszeniert seine Handlung packend und spannend, aber auch gefühlvoll und anrührend. Er versteht es Cliffhanger zu platzieren, aber auch die Trostlosigkeit durch humorvolle Momente aufzubrechen. Mit zahlreichen Episoden reichert er die Haupthandlung an und entwirft ein vielschichtiges Gesamtbild der Besatzungszeit durch die Deutschen. Mit jeder einzelnen Geschichte hebt er individuelle Schicksale hervor. Der gemeinsame Nenner ist immer der Tod.
Besonderen Anteil erhält die Figur des schriftstellernden Studenten Dobranski, mit dem sich Janek besonders anfreundet. Dieser unterhält die Partisanenfreunde mit Texten aus einem Buch, an dem er schreibt, und die hier in eigenen Kapiteln wiedergegeben werden.
„Nichts Wichtiges stirbt.“
Dieser Satz von Janeks Vater wird zum Kern-Mantra des Romans. Gary beschwört eindringlich die Frage, wie die Menschlichkeit inmitten all der Grausamkeit, die sich alle gegenseitig antun, überhaupt überleben kann. Er entwirft ein zartes Bild der Hoffnung, indem er die überlebende Jugend als die Generation beschwört, die sich mit ihren im Krieg gesammelten Erfahrungen der Verständigung zwischen den Nationen verschreiben wird.
„Ich mag alle Völker“, antwortete Dobranski. „Was ich nicht
mag, sind Nationen. Ich bin Patriot, aber kein Nationalist.“
„Wo liegt da der Unterschied?“
„Patriotismus ist die Liebe zu den Deinen. Nationalismus ist der Hass gegenüber
den anderen. Russen, Amerikaner und so weiter …Derzeit gibt es auf der Welt
eine große Welle der Solidarität. So haben die Deutschen wenigstens etwas Gutes
bewirkt …“
Seite 188
Seite 188
Das Überleben wird als Lebensschule, der Krieg selbst als ein Weg zur Europäischen Erziehung gedeutet.
Romain Gary, 1914 als Roman Kacew in Litauen geboren, erlebte den Zweiten Weltkrieg in der Emigration in Frankreich, dessen Staatsbürger er später wurde. Als sein Debüt „Europäische Erziehung“ (frz. „Éducation européenne“) 1945 erschien, dürfte er sich selbst als Teil dieser neuen Generation verstanden haben. Das Gefühl eines nationenübergreifenden Neuanfangs markiert das Ende des Romans. Janek überlebt und verspricht, das Buch seines sterbenden Freundes Dobranski mit dem Titel „Europäische Erziehung“ weiter zu erzählen.
Der Roman wurde erstmalig 1945 veröffentlicht, war in deutscher Übersetzung jedoch lange Zeit nur noch antiquarisch zu erhalten. In neuer Übersetzung durch Birgit Kirberg wird das Debüt des späteren Bestseller-Autoren und zweimaligen Prix-Goncourt-Preisträgers durch den Verlag Klaus Wagenbach jetzt wieder dem deutschen Lesepublikum zugänglich gemacht.
Der Roman empfiehlt sich als literarisches Zeugnis jüngster europäischer Geschichte ebenso wie als mahnender Blick auf aktuelle nationalistische Entwicklungen in Europa.
- Autor: Romain Gary
- Titel: Europäische Erziehung
- Originaltitel: Éducation européenne
- Übersetzerin: Birgit Kirberg
- Verlag: Verlag Klaus Wagenbach GmbH
- Erschienen: 14. August 2025
- Einband: Gebundene Ausgabe
- Seiten: 224 Seiten
- ISBN: 978-3803133786
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Wertung: 13/15 dpt







