William March – Die böse Saat (Buch)

Mein Kind, ein Serienmörder?

In der Schule der drei Fern Schwestern wird bei der Schulabschlussfeier eine Medaille überreicht und zwar an das Kind mit den besten Fortschritten beim sprachlichen Ausdruck in einem Aufsatz. Der schüchterne Claude Daigle erhält die Auszeichnung, dabei war sich Rhoda Penmark ganz sicher, dass nur sie als Preisträgerin in Frage kommt. Anschließend geht es zu einem Schulpicknick in der Pelikan-Bucht, wo es zur Mittagszeit zu einem tragischen Unglück kommt. Obwohl die Kinder aufgefordert wurden, die dortige Kaianlage zu meiden, wird dort Claudes Leiche gefunden. Offenbar ist er ins Wasser gestürzt und ertrunken. Wenig später erfährt Rhodas Mutter Christine von der Schulleiterin, dass man ihrer Tochter im kommenden Schuljahr keinen Platz mehr anbieten könne.

„Warum sollte er mir leidtun? Claude Daigle ist doch ertrunken, nicht ich.“

Christine kommen schlimme Erinnerungen an ihre Zeit in Baltimore, wo sie vor ihrem Umzug lebten. Nach einigen Diebstählen musste auch dort Rhoda die Schule verlassen und eine ältere Dame stürzte in Rhodas Anwesenheit mit tödlicher Folge eine Wendeltreppe hinunter; angeblich wegen einer Katze. Doch die Tochter der alten Frau teilt mit, dass diese gegen Katzen allergisch war und sie daher die Tiere immer gemieden hätte.

Rhoda, acht Jahre jung, ist eine Bilderbuchtochter, zu der sich die älteren Nachbarinnen Mrs Breedlove und Mrs Fortsythe hingezogen fühlen. „So ein liebes Kind“, hört man sie immer sagen, während Rhoda in der Schule eine Außenseiterin ist, vor der sich ihre Mitschüler fürchten. Christine weiß, dass ihre geliebte Tochter nicht normalen Maßstäben entspricht. Hochintelligent, aber selbstfixiert und völlig gefühllos anderen Menschen gegenüber. Als Christine in Rhodas Schublade einige Tage später die besagte Medaille findet, scheinen sich ihre schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen. Als sie sich bei einem befreundeten Schriftsteller erkundigt, ob Kinder zu Mördern werden können, erklärt ihr dieser, dass dies gar nicht so selten sei. Christine recherchiert alte Fälle und stößt auf ein grausames Geheimnis.

Genreklassiker aus dem Jahr 1954

William Marchs (1893-1954) letzter Roman „The Bad Seed“ erschien erstmals 1954 in Amerika und löste dort Schockwellen aus. Er wurde zu einem Bestseller, verkaufte sich über eine Millionen Mal im ersten Jahr, was der Autor allerdings nicht mehr erlebte. Ein achtjähriges Kind als Serienmörderin, die Buchrückseite nimmt es vorweg, war damals unvorstellbar und so begründete der Roman zugleich ein Subgenre der Horrorliteratur, die sogenannte Weird Fiction. Der Roman riss ordentliche Schäden in die Fassaden der bürgerlichen Gesellschaft und deren Moralvorstellungen. Allerdings gab der Autor als Motiv Rhodas vor, dass dies ihrer Genetik entsprach, mit anderen Worten, sie hatte es aus ihrer Familie geerbt, womit gleichzeitig alle anderen, sprich die Gesellschaft, freigesprochen wurden. Die Theorie der Vererbung ist natürlich nicht haltbar, aber in einem Roman (Fiktion) selbstredend vertretbar.

„Ich verstehe genau, was du fühlen musst, mein Kind.“

„Ich weiß gar nicht, was du meinst, Mutter. Ich fühle überhaupt nichts.“

„Die böse Saat“ gilt als Klassiker des Psychothrillers, wurde Mitte der 1950er Jahre sehr erfolgreich auf Theaterbühnen gezeigt und bereits 1956 verfilmt. In Deutschland gab es bislang nur eine Romanveröffentlichung bei Heyne im Jahr 1971, die jedoch wenig Beachtung fand. Folglich sind Roman und Autor hierzulande kaum bis gar nicht bekannt, wenngleich bereits der erste Roman von March „Kompanie K“ (1933), er wurde mit Remarques „Im Westen nichts Neues“ verglichen, einschlug. Über siebzig Jahre nach der Erstveröffentlichung erscheint der Roman nun ein zweites Mal in deutscher Ausgabe, was wir – laut Focus „Deutschlands Krimi-Papst“ – Martin Compart zu verdanken haben, der im Elsinor Verlag schon einige Klassiker des Genres herausgegeben hat. Sein neunzehnseitiges Nachwort gibt einen beeindruckenden Einblick in das Leben und Werk von William March inklusive einer Einordnung in seine Zeit und literarische Bedeutung.

Bleibt die abschließende Frage: Ist das betagte Werk noch heute lesbar und lesenswert? Das Kinder als Mörder oder gar Serienmörder Einzug ins Krimi- oder Horrorgenre gehalten haben ist bekannt. „Schockwellen“ wie einst löst der Roman somit sicher keine mehr aus und auch der Schreibstil respektive die Dialoge wirken etwas aus der Zeit gefallen. Dies soll aber bei Klassikern naturgemäß schon mal vorkommen und ändert nichts daran, dass der Roman durchaus noch immer spannend zu lesen ist. Woher kommt Rhodas Neigung und wie wird das Ganze ausgehen? Zwei Fragen, die mit jeweiligen Knallmomenten enden. „Die böse Saat“ wirkt wie ein guter, alter Schwarz-Weiß Film-Klassiker. Nicht mehr auf dem neuesten Stand der Technik, aber in seiner Machart durchaus brillant. Zudem erlebt man hier – wie erwähnt – die Geburtsstunde eines neuen Subgenres. Vielen Dank für die Wiederentdeckung!

  • Autor: William March
  • Titel: Die böse Saat
  • Originaltitel: The Bad Seed (1954). Aus dem Amerikanischen von Leni Sobez. Mit einem Nachwort von Martin Compart
  • Verlag: Elsinor
  • Umfang: 208 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: Juli 2025
  • ISBN: 978-3-942788-86-1
  • Produktseite

Wertung: 11/15 dpt

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