Emily Habeck – Shark Heart (Buch)

Es fängt damit an, dass Lewis’ Nase sich verändert, statt Nasenrücken fühlt er nur noch weichen Knorpel. Schließlich bilden sich unter seinen Backenzähnen neue, messerscharfe Zähne, und seine Haut wird seltsam rau. Dazu kommen ein gesteigerter Appetit, Knochenschmerzen, Reizbarkeit und eine bessere Sicht in der Nacht. Die Diagnose der Ärzte: Lewis mutiert vom Menschen zum Charcharodon carchiaris, zum Weißen Hai. Für manche Leser:innen wäre das die Stelle, um das Buch zuzuklappen und beiseite zu legen. Aber die Diagnose kommt bereits auf Seite 18 – und es wäre schade, sich nicht auf die restlichen Seiten von „Shark Heart“ von Emily Habeck einzulassen.

Dass ein Mensch zu einem Meeresraubtier mutiert, wird gar nicht als so ungewöhnlich dargestellt. In der Welt, die Schriftstellerin Emily Habeck entwirft, gibt es sogar Kliniken, die sich mit diesen Wandlungen in Tiere medizinisch beschäftigen und die Patient:innen auf diesem Weg begleiten. Die Botschaft, woran Lewis leidet, ist für seine Frau Wren und seine Eltern dennoch ein Schock. Gewiss ist: Die Verwandlung wird sich vollziehen, die Frage ist, wie sich die Zeit bis dahin gestaltet und wie alle damit umgehen sollen, wenn Lewis als Hai im Ozean freigelassen werden wird. Vor allem Wren will die Beziehung zu ihrem Mann nicht aufgeben und bleibt – trotz seiner körperlichen und charakterlichen Veränderungen – unbeirrt liebevoll an seiner Seite.

Sie sah auf die Uhr am Armaturenbrett und beschloss, zu weinen. Aber nur drei Minuten lang. Sie vergewisserte sich, dass kein Nachbar in Sicht war, legte die Arme um den Körper und begann zu weinen.S. 133

„Shark Heart“ schafft zwei Dinge gleichzeitig: Zum einen ist die Mutation ein zwar sehr trauriger, aber recht normaler und bekannter Krankheitsvorgang, zum anderen ist die Mutation ausgerechnet in einen blutrünstigen Raubfisch eine extreme Ausnahmesituation für alle Beteiligten und gibt ausreichend Stoff für dramatische, manchmal auch letztendlich komische Szenen. Die körperliche Veränderung schreitet voran, die Aggressivität, wenn Lewis sich provoziert fühlt, aber auch. Wie reagiert ein Beinahe-Hai beispielsweise auf eine Abschiedsfeier der Kolleg:innen mit Kuchen und Alkohol, bei der sein Nachfolger in der Theatergruppe blöde Lobreden auf sich selbst hält? Ganz genau – er reagiert gereizt, verliert die Kontrolle über sich und greift den Gegner an. Das Ergebnis sind Blut, Panik und Chaos.

Und schließlich sah er, dass Wren, seine geduldige, liebende Partnerin, ihn nicht als das sah, was er war, sondern als das, was aus ihm geworden war. Lewis‘ schlimmste Albträume waren wahr geworden. Seine Frau liebte ihn, aber sie fürchtet ihn auch. Und dann wurde alles schwarz.S. 139

Bei allen unangenehmen und manchmal amüsanten Konsequenzen seiner Mutation (Wren kauft die Fischtheke leer, um ihren Mann zu ernähren, der sich am liebsten im Pool im Garten aufhält), bleibt die Liebe im Zentrum des Romans. Die unwiderrufliche Verwandlung kann als jede beliebige Erkrankung gedeutet werden, die den geliebten Menschen verändert und ihn aus dem Leben seiner Familie und Freunde definitiv verschwinden lässt. Demenz, Krebs oder ähnliches – die Mutation ist lediglich ein Platzhalter. Der verzweifelte Wunsch von Wren, sich gegen eine Trennung zu wehren und eine Lösung für ein gemeinsames Leben zu finden, kommt gegen das Schicksal nicht an. Und auch Lewis merkt immer mehr, wie seine Verwandlung ihn auch gedanklich von seiner Liebe entfernt – auch wenn diese weiterhin einen Teil seines Wesens ausmacht.

Emily Habeck schreibt so, dass das Buch zum leicht lesbaren Pageturner wird. Eingestreut sind immer wieder eher poetische Passagen und Teile eines Theaterstücks, denn Lewis‘ Traum war die Schauspielerei und das eigene Theaterstück. Etwa in der Mitte wechselt die Perspektive zu Wren, ihrer Teenie-Mutter und Wrens Kindheit. Das hätte es vielleicht nicht gebraucht, stört aber auch keineswegs.

Fazit:

„Shark Heart“ von Emily Habeck ist ein ungewöhnliches Buch, dass sich nicht leicht einordnen lässt – Science Fiction greift zu kurz, eine Dystopie trifft es auch nicht, magischer Realismus spielt eine Rolle. Wer sich aber auf die Ausgangssituation einlässt (ein Mensch verwandelt sich in einen Hai), hat einen sehr gut lesbaren Roman, der sich vielfältig interpretieren lässt. Und eine gefühlvolle Liebesgeschichte, die immer wieder die Frage stellt: Wie weit geht Liebe, wenn eine Krankheit einen Menschen verändert und das gesamte Leben und die gemeinsame Zukunft auf den Kopf stellt? Ein absolutes Überraschungsbuch!

Wertung: 13/15 dpt

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