Traumwelten und seltsame Todesfälle

Kenjiro Takeda arbeitet für die Mordkommission in Tokio, ist aber im Rahmen eines Austauschprogramms bereits seit sechs Monaten in Hamburg, wo er an der Seite von Hauptkommissarin Claudia Harms ermittelt. Ihr aktueller Fall stellt sie vor eine unerwartet große Herausforderung, denn eigentlich scheint alles klar zu sein. Eine Schulklasse wartet am Bahnhof Dammtor auf die Bahn und als es soweit ist, stürzt plötzlich eine elegant gekleidete Frau vor den einfahrenden Zug. Der siebzehnjährige Schüler Simon Kallweit, seit jeher ein Außenseiter, bekennt sich lächelnd zu der Tat. Ein Geständnis, viele Zeugen und dennoch gibt es gleich zwei große Probleme.
Hartmut Kallweit, der Vater, ist Hamburgs Justizsenator mit Ambitionen auf das Amt des Bürgermeisters. Würde der Name seines Sohnes in der Zeitung stehen, wäre seine Karriere wohl vorzeitig beendet. Das zweite Problem besteht darin, dass die Zeugenaussagen unzuverlässig sind, die Videoüberwachung die Tat nicht eindeutig erfasst hat und Simon sein Geständnis widerruft. Kurzum, man steht mit leeren Händen da und muss Simon freilassen.
„Manga-Mörder wie diesen Kannibalen, von dem Sie mir erzählt haben …“
„Tsutomu Miyazaki. Der Otaku-Mörder.“
„So etwas mag es in Japan geben. Aber hier bei uns? In Deutschland? Lassen Sie es lieber.“
Zwei Wochen später wird ein Pensionär in einem Kino tot aufgefunden. Er wurde während der Spätvorstellung mit einer Garotte getötet. Sollte er, ähnlich wie die Tote am Dammtor, ein Opfer einer Willkürtat geworden sein? Takeda und Harms stehen erneut vor einem Rätsel. Da entdecken sie auf einer Kameraaufzeichnung, dass sich Simon zur Tatzeit nicht unweit des Kinos aufgehalten hat. Doch sollen die Morde in Wirklichkeit dem Vater schaden, wie Harms vermutet, oder hat sich der Mangafan in seine eigene Traumwelt zurückgezogen und lebt, wie Takeda glaubt, das Leben eines Ghoul wie er es aus dem Manga „Tokyo Ghoul“ kennt?
Dritter Teil der lesenswerten Inspektor-Takeda-Reihe
Nach „Inspektor Takeda und die Toten von Altona“ sowie „Inspektor Takeda und der leise Tod“ ist der vorliegende Band der dritte von insgesamt acht Romanen, wobei der letzte Band „Inspektor Takeda und der tödliche Ruhm“ im Juni dieses Jahres erschienen ist. Die Reihe lebt von einem sympathischen Ermittlerduo, das ein recht ambivalentes Verhältnis zueinander pflegt und dem Aufeinandertreffen zweier grundverschiedener Kulturen. Autor Henrik Siebold (Daniel Bielenstein) wuchs in der Megacity Tokio auf und kennt die japanische wie die deutsche Kultur. Daraus ergeben sich nicht nur Widersprüche, sondern damit einhergehend auch unterhaltsame Missverständnisse, wenngleich Harms ihren Partner immer besser kennenlernt. Jedenfalls beruflich, wobei insgeheim beide nicht nur kollegiale Sympathien füreinander hegen.
„Ich bin beeindruckt, Ken. Bruce-Willis-Morde. Sogar ich hätte Ihnen die Sache beinahe abgekauft.“
„Wir Japaner sind ein sehr ehrliches Volk. Darum müssen wir lernen, besonders gut zu lügen.“
Neben alkoholischen Exzessen, nicht selten fällt Takeda nach einem Whisky-Gelage nachts besoffen in sein Bett, das nur ein eingerollter Futon ist, und Jazzsessions, Takeda ist ein begnadeter Saxophonist, ist er auch ein Kenner von Mangas, die hier eine wesentliche Rolle spielen. Allen voran der bekannte Tokyo Ghoul mit Hauptfigur Ken Kaneki. Simon ist mehr als begeistert von dieser Fantasiewelt, denn sie bietet ihm einen idealen Rückzugsort. In der Schule ist er Außenseiter und wird, vorsichtig formuliert, gemobbt. Ähnlich wie vielen Mangafans in Japan, einem Land mit strengen Sitten und Regeln, bietet ihm die Flucht in Traumwelten eine Alternative zu den rigiden Zwängen des bürgerlichen Lebens.
Die japanische Gesellschaft, die so sehr von Harmonie und Konformität geprägt war, reagierte auf das Phänomen, das sich seit den achtziger Jahren entwickelt hatte, zunächst wie auf alle Formen von Abweichung: Sie ignorierte es.
Takeda fühlt sich in Deutschland wohl, doch immer wieder kommt „der Japaner“ zum Vorschein, was Harms mitunter zur Weißglut treibt. Warum kann er nicht einfach mal entspannen und die Dinge locker sehen? Zugegeben, bei dem vorliegenden Fall bleibt dies schwierig, wie sich später herausstellen wird. Obwohl die Morde, es bleibt nicht bei den beiden erwähnten, immer wieder zu Simon führen, bleibt es bis zum Schluss spannend, denn ein umstrittener Bau einer Flüchtlingsunterkunft sorgt für weitere Fragen. Dieses Mal geht es aber nicht um Rechtsradikale, sondern um die Bebauung eines Grundstückes inmitten eines Landschaftsschutzgebietes. Einen kleinen Seitenhieb auf die SPD kann sich der Autor dabei nicht verkneifen, denn diese regiert in Hamburg ähnlich dominant wie die CSU in Bayern. „Zu Risiken und Nebenwirkungen …“
„Magst du traurige Orte?“
„Sie sind wahrhaftig. Ohne Lüge.“
„Das stimmt. Im Tod enden alle Lügen. Niemand braucht mehr jemanden etwas vorzumachen.“
- Autor: Henrik Siebold
- Titel: Inspektor Takeda und der lächelnde Mörder
- Verlag: atb
- Umfang: 349 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: April 2018
- ISBN: 978-3-7466-3385-5
- Produktseite

Wertung: 12/15 dpt





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