James Lee Burke – Mississippi Jam (Buch)


James Lee Burke - mississippi jamNachdem jahrelang eine, angesichts der herrschenden Schwemme untertouriger Krimis, peinliche  Flaute bezüglich deutscher Übersetzungen der James Lee Burke-Romane herrschte, geht es derzeit Schlag auf Schlag. Und das ist auch gut so.

Beim Heyne-Verlag ist der dritte Band um Hackberry Holland für November angekündigt, im Juni wird sich mit “Vater und Sohn” einem weiteren, frühen Angehörigen der Holland-Sippe gewidmet. Bei Pendragon ist frisch, neu und gelungen von Jürgen Bürger übersetzt, “Mississippi Jam” erschienen. In naher Zukunft wird auch das lange nur zu Mondpreisen antiquarisch erhältliche “Neonregen” neu in Bielefeld aufgelegt werden. Erhältlich natürlich in der gesamten Republik und darüber hinaus. Wie ich bei einer höchst unterhaltsamen und interessanten  Verlagsvorstellung – gemeinsam mit dem Polar-Jungverleger Wolfgang Franßen – vor kurzem postulierte (auch wenn mir solche Dekrete gemeinhin fern sind): Kommender Pflichtkauf!  

Doch jetzt erst einmal “Mississippi Jam”. Dessen Publikation  ein gleichzeitig erstaunliches wie mutiges Unterfangen darstellt. Nicht, weil der Roman inhaltlich oder qualitativ aus dem Rahmen fällt, sondern wegen seiner deutschen Rezeptionsgeschichte. Denn eigentlich wäre nach “The Tin Roof Blowdown” (“Sturm über New Orleans”) aus dem Jahr 2007, die Übersetzung von “Last Car To Elysian Fields” dran, als erster Roman nach Übersetzungs- Einstellung 2002, oder gar “Swan Peak”, der auf “Sturm über New Orlenas” folgende siebzehnte Band der Dave Robicheaux-Saga.  

Stattdessen das siebte Buch aus dem Jahr 1994. Das in der damals noch lückenlos übersetzten Bibliographie hierzulande sang- und klanglos ausgemustert wurde. Ob es an einem der zentralen Themen lag – versunkenes deutsches U-Boot an der Küste vor New Orleans samt Umtrieben amerikanischer Neonazis – oder einfach ein Versehen beim damaligen Verlagswechsel von Ullstein zu Goldmann war, ist ungewiss. Eins ist aber sicher: An der Qualität des umfangreichen Romans kann es nicht gelegen haben.    

Rund um den MacGuffin, dass Dave Robicheaux ein versunkenes deutsches U-Boot finden soll – möglicherweise mit einem Nazi-Schatz an Bord – baut Burke ein wuchtiges Konstrukt, in dem sich zu Feinden gewordene Jugendfreunde, irische und italienische Gangster befehden und über dem latenter und offener Rassismus wie ein Schleier liegt. Während Dave Robicheaux seine Liebsten beschützen muss. Seinen  Angestellten Batiste, der auf Betreiben eines korrupten Cops und Intimfeinds Robicheauxs, zum Mordverdächtigen wird, seinen Kumpel und ehemaligen Partner Cletus Purcell, der es mit minimalem Aufwand schafft, sich mit der gesamten Welt anzulegen. Und natürlich Ehefrau Bootsie, die durch eine perfide Attacke des diabolischen Dave Buchalter nachhaltig traumatisiert wird.

Buchalter ist eine der finstersten Psychopathen, die James Lee Burke bislang geschaffen hat. Ein durchtrainierter Neonazi und Freund alter Schallplatten, der Robicheaux mit hinterhältigem Charme einschüchternd umwirbt, während er gleichzeitig alles bedroht, was Robicheaux lieb und wert ist. Seine fast zärtliche Zuneigung zu altem Vinyl und der Musik darauf, ist eine bittere Umdeutung der Johann Gottfried Seume-Paraphrase “böse Menschen kennen keine Lieder”. Kennen sie sehr wohl. Hunde- und Wagnerfreund Adolf Hitler nickt wissend.

Grausamkeit und Sentimentalität treten bei einem Individuum fast immer gemeinsam auf, Grausamkeit und Liebe jedoch niemals.

Obwohl es einige derbe Gewaltspitzen gibt, in dieser Richtung dürfte “Mississippi Jam” das härteste Buch Burkes sein, ist Wühlen im Gekröse Sache des Autors nicht. Ihm geht es wieder um individuelle psychische Deformationen, vor allem aber um Beziehungen, die sich verändern, kippen und vom Verhältnis einzelner Figuren zu gesellschaftlich übergreifenden Belangen werden. Hier wieder am Clash der unterschiedlichen Kulturen klar und eindringlich dargestellt. Burke beherrscht dies, ohne  je belehrend zu wirken, seine Sprache ist so fließend wie zentriert, das Buch verliert bei einer Vielzahl von Konflikten nie seinen Spannungsbogen und selbst übergreifende, gesellschaftspolitische oder sozialkritische Erörterungen bindet der Autor ein als wäre es die einfachste Sache der Welt. Nur wenige Autoren gewinnen aus Landschaftsbeschreibungen, Anekdoten und kleinen Erörterungen eine derartige Tiefe, die den Handlungsverlauf nicht ausbremst sondern maßgeblich stützt.

Was selbst den kleinen Schwachpunkt, das wiederholte Auftauchen eines scheinbar übermächtigen Psychopathen, den Stachel der Beliebigkeit nimmt. Wobei man fairerweise sagen muss, dass Ronald Bledsoe aus “Sturm über New Orleans” ein blasserer Wiedergänger des charismatischen, durchtriebenen und faschistoiden Dave Buchalter ist.  

Das Aufkommen eines neuen Faschismus, seine Gestaltung als Auslebung von Machtwillkür und gelebter Grausamkeit findet einen starken Widerhall im “Mississippi Jam” und wird so, trotz seines Alters von über zwanzig Jahren, zum beklemmenden, aktuellen Kommentar.

Ganz unabhängig davon ist “Mississippi Jam” ein enorm spannendes, nur stellenweise durch Purcellsche Komik aufgelockertes Buch. Keine Bange, ich fange jetzt nicht an mit “fesselnder Lektüre”, “atmosphärischer Dichte” und “perfektem Lesekino”. Macht Euch selbst ein Bild. Lohnt sich mal wieder.

Funde deutscher U-Boote vor der amerikanischen Küste gibt es auch in den letzten Jahren noch, wie Hier zu sehen ist.

Cover © Pendragon Verlag

  • Autor: James Lee Burke
  • Titel: Mississippi Jam
  • Teil/Band der Reihe: Der 7. Auftritt von Dave Robicheaux
  • Originaltitel: Dixie City Jam
  • Übersetzer: Jürgen Bürger
  • Verlag: Pendragon Verlag
  • Erschienen: 22.02.2016
  • Einband: Paperback
  • Seiten: 588
  • ISBN: 978-3-86532-527-3
  • Sprache: Englisch
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite
    Leseprobe
    Erwerbsmöglichkeiten

Wertung: 12/15 dpt


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