Die USA anno 2013 sind nach wie vor eine riesige Baustelle. Dass rund einhundertfünfzig Jahre nach der Abschaffung der Sklaverei und der ethnischen Gleichberechtigung noch immer offensichtliche Rassenunterschiede in den Staaten, wenn auch teilweise auf subtile Weise und unter der Oberfläche, gemacht werden, ist eine frustrierende Tatsache, wenngleich es Mitte des 19. Jahrhunderts wohl niemand für möglich gehalten hätte, dass irgendwann einmal ein dunkelhäutiger Mensch erster Mann der Vereinigten Staaten von Amerika sein würde. Republikaner Abraham Lincoln ist es zu verdanken, dass heute ein jeder Bürger der USA, ganz gleich, welcher Hautfarbe er angehört,
Wahlrecht besitzt. Ebenso darf man ihm dankbar dafür sein, dass Nichtweiße seit eineinhalb Jahrhunderten nicht mehr als Handelsgut, als menschliches Nutzvieh, für die Wirtschaft missbraucht werden.
Der sechzehnte Präsident des nördlichen Teils der USA – seinerzeit waren die Staaten entzweit und die Südstaatenkonföderation hatten mit dem Demokraten Jefferson Davis ihren eigenen sechzehnten Präsidenten – war ein Politiker, für den die Menschlichkeit das höchste Gut war, doch die Methoden, mit denen er seine Interessen, nämlich die Beendigung des Sezessionskrieges und die Durchsetzung und Inkrafttretung des die Sklaverei abschaffenden 13. Zusatzartikels zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika in Form einer Zweidrittelmehrheit, erwirkte, waren eher unkonventioneller und nicht unbedingt ehrlicher Natur. Korruption für das Gute, und durch dessen Resultat avancierte er letztendlich zu einem politischen Helden, der einen gigantischen geschichtlichen Meilenstein gelegt hat.
Die Befürchtung war nun groß, dass dieses Steven Spielberg-Epos eine uramerikanische, verklärte und unreflektierte Glorifizierung, Vergötterung, Lobpreisung und Beweihräucherung werden würde, mit inflationärem Hissen der Stars und der Stripes und viel “God bless America!”, doch bereits nach wenigen Minuten dieses über zweistündigen Films wird deutlich, dass “Lincoln” einen gänzlich anderen Ansatz verfolgt. Zwar beschränkt sich der Film auf ebendiese geschichtliche Phase von Ende 1864 bis Frühjahr 1865, sprich kurz vor, während und kurz nach diesem revolutionären Ereignis, doch es wird neben Darstellungen der politischen Debatten im Repräsentantenhaus ein tiefer Blick hinter die optisch meist dunklen Kulissen geworfen und auf neutrale Weise das Für und Wider seiner Herangehensweise, Taktik und Ausführung abgewägt, ebenso dringen wir auch in die Hinter- und Wohnzimmer einzelner Staatsmänner und deren Angehörigen ein.
Auf extreme Kamerazooms der Sorte “Er, der Heros seiner Zeit”, wird verzichtet, ebenso auf spektakuläre, effekthaschende Bilder – stattdessen strahlt “Lincoln” eine angenehme Nüchternheit aus, die das Interesse des Zuschauers voll und ganz auf die inhaltliche Komponente lenkt, und jene wird in dieser Produktion äußerst neutral beleuchtet, sodass dem Film kein Flair politischer Meinungsmache innewohnt. Das Denken wird dem Sehenden und Hörenden überlassen, der sich mit seinem Verstand seinen eigenen Reim aus dieser Quasi-Nacherzählung machen kann. Dennoch wird Abraham Lincoln (grandios von Daniel Day-Lewis dargestellt) aus sämtlichen Perspektiven gezeigt: Als Geschichtenerzähler und als Visionär, als Mensch, der familiäre und menschliche Werte schätzt und als Mann politischer Taten mit Verstand. Ohne Emporhebung und ohne Personenkult.
Spielberg setzt in “Lincoln” bis zu einem bestimmten Grad auf cineastisches Understatement, denn die leisen Töne hinsichtlich sämtlicher audiovisuell wahrnehmbarer Sinne kontrastieren perfekt mit den aufbrausenden, emotionalen und explosiven Momenten. Auch bezüglich der musikalischen Untermalung wird von übertriebener Dramatik und Kitsch abgesehen, doch ebenso muss vor dem Rest des Stabs, beispielsweise der Maske und den für die Kostüme und die Kulisse Verantwortlichen (man sehe sich nur mal die Bekleidungen, die Tapeten, die Einrichtungen an…) respektvoll der Hut gezogen werden.
Nimmt man die Auswahl und die Leistung der für dieses Werk aufspielenden Darsteller noch hinzu, kommt man nicht umhin, diesen Film zu einem der wohl stärksten des Jahres 2012 zu erkiesen – und zu einem der schlichtweg besten Historiendramas ohnehin. Seien es die ganz Großen Schauspieler wie eben Daniel Day-Lewis, Tommy Lee Jones oder Joseph Gordon-Levitt oder gar solche Darsteller aus auch hier bekannten TV-Serien wie etwa “Boston Legal” (James Spader), “Justified” (Walton Goggins), “Rizzoli & Isles” (Bruce McGill) oder “Damages” (David Costabile) – ein jeder der unzähligen Akteure verübt seine hochdotierte Arbeit mit solch schauspielerischer Glaubwürdigkeit und Herzblut, dass selbst ähnlich gelagerte Filme wie “Schindlers Liste” sich hinten anstellen dürfen.
Womit alles gesagt wäre, was es zum Film zu sagen gibt.
Coverabbildungen und Packshots © Twentieth Century Fox Home Entertainment
- Titel: Lincoln
- Originaltitel: Lincoln
- Produktionsland und -jahr: USA, 2012
- Genre:
Geschichte
Drama
- Erschienen: 24.05.2013
- Label: Twentieth Century Fox Home Entertainment
- Spielzeit:
ca. 144 Minuten auf 1 DVD oder
ca. 150 Minuten auf 1 Blu-Ray - Darsteller:
Daniel Day-Lewis
Sally Field
David Strathairn
Joseph Gordon-Levitt
James Spader
Hal Holbrook
Tommy Lee Jones
John Hawkes
Jackie Earle Haley
Bruce McGill
Tim Blake Nelson
Joseph Cross
Jared Harris
Lee Pace
Peter McRobbie
Gulliver McGrath
Gloria Reuben
Jeremy Strong
Michael Stuhlbarg
Boris McGiver
David Costabile
und viele mehr
- Regie: Steven Spielberg
- Drehbuch: Tony Kushner
- Produktion: Kathleen Kennedy, Steven Spielberg
- Kamera: Janusz Kaminski
- Schnitt: Michael Kahn
- Musik: John Williams
- Extras:
Von der Idee zum Film
Die Vergangenheit gestalten
Danksagungen
Daniel Day-Lewis als Abraham Lincoln*
Der Filmdreh in Richmond, Virginia*
Making of Lincoln*
Die Erzählweise des Films*
Original Kinotrailer*
(*nur Blu-Ray)
- Technische Details (DVD)
Sprachen: GB, D
Untertitel: D, GB, F und mehr
Video: 16:9, 1,85:1
Audio: GB, D (5.1 DD)
- Technische Details (Blu-Ray)
Sprachen: D, GB
Untertitel: D, F, GB für Hörgeschädigte und mehr.
Video: 1080p/24 2,35:1
Audio: D (5.1 DTS), GB (7.1 DTS HD MA)
- FSK: 12
- Sonstige Informationen:
Link zur DVD-Info @ 20th Century Fox Home Entertainment
(inklusive Trailer und Erwerbsmöglichkeiten aller Formate)
Wertung: 13/15 dpt