Eyre Price – Roadkill (Buch)


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Out of the blue and into the black …
… ist eine realistische Option für den abgehalfterten Musikmanager und –produzenten  Daniel Erickson. Denn er hängt zu Beginn von “Roadkill” kopfüber von einem Balkon. Wer sich mit skrupellosen russischen Gangsterbossen Filat Prisrakjewitsch einlässt, muss mit so etwas rechnen, falls er geliehenes Geld nicht zurückzahlen kann. Mit der Aussicht auf die Rückzahlung aus einer heimlichen Reserve, die eigentlich für Sohn Zack vorgesehen war, kann Daniel seinen Hals zwar (vorerst) retten, doch in der ersten brutalen Szene des Romans verliert er auf höchst drastische Weise ein Fingerglied. Blöd für einen Gitarristen, auch wenn Tony Iommi sogar den Verlust zweier Fingerkuppen geschickt ausgleichen konnte.

Doch Daniel Erickson war kein begnadeter Instrumentalist, sondern einer der Haie im Musikerfischteich, der mit geschickt ausformulierten Verträgen, Musiker und Songs an sich binden konnte und durch den ein oder anderen Hit reich wurde, bevor er nach seiner Scheidung den Großteil seines Vermögens verlor. Eine typische Rock-Geschichte. Die jetzt kurz vor ihrem Ende steht. Denn Daniel ist ein ausgebranntes Arschloch mit fast verloschenem Lebenswillen. Er will seine Schulden bezahlen, egal was danach kommt. Damit er nicht von diesem Vorsatz abkommt, stellt der fiese Filat den dunkelhäutigen Bodyguard und Ausputzer Moog sowie den durchgeknallten Soziopathen Rabidoso zur Bewachung ab.

Es kommt wie es kommen muss: Das versprochene Geld – und die Pistole für Plan B – ist nicht im Haustresor, sondern lediglich eine CD mit einem einzelnen Song, der Daniel auf eine Rock’n’Roll-Odyssee quer durch die USA schickt. Bald sind ihm nicht nur seine beiden Aufpasser, sondern auch das FBI und eine misslaunige Bikertruppe auf den Fersen.

The king is gone but he’s not forgotten
Dies stellt Daniel auf seiner Reise, die ihn von der Kreuzung auf der Robert Johnson mit dem Teufel den Blues spielte, über  New Orleans nach Memphis führt, eindrücklich fest. Denn  weibliche Fans sind ganz anderer Meinung als Daniel, was Elvis’ Relevanz betrifft. Doch Memphis ist nur eine weitere Etappe, die Daniel und seine Verfolger über Nashville (Hank Williams), Chicago (“2120 South Michigan Avenue”, von den Rolling Stones und der Sitz der Chess-Studios), Detroit (Motown-City), Cleveland (der DJ Alan ‘Moondog’ Freed oder “das Zentrum einer Explosion, die den Rock’n’Roll geografisch in tausend verschiedene Richtungen verstreut hat”), Philadelphia (‘Philly-Sound’), schließlich ins ehemalige CBGB nach New York bringt, dem ehemaligen Punk-Tempel, und von dort aus straight to Seattle, der Heimat von Nirvana und die Geburtsstätte des Grunge. An jeder Station findet Daniel eine bespielte CD, die ihn näher an sein Geld und ein Ziel bringt, dass er zu Beginn der Reise noch gar nicht im Auge hat.

There’s more to the picture than meets the eye
“Roadkill”, oder im treffenderen Originaltitel “Blues Highway Blues”, ist eine Reise durch die Mythologie der Rockmusik. Eyre Price spickt seinen Roman mit Andeutungen, Verweisen auf Songs, Musiker (‘Billy Gibbons’), einschneidende Begebnisse und zelebriert die mythische Geschichte der modernen Musik mit Wonne. Ganz obsessiv in Gestalt des geheimnisvollen alten Mr. Atibon, der Daniel mehrfach begegnet, in ganz unterschiedlicher Gestalt. Hinter dem sich ‘Papa Legba‘ verbirgt, der Torwächter des Voodoo, der die Welt der Lebenden und Toten verbindet, und der sich im Laufe des Buches als der Vater des ungekrönten Königs des Delta-Blues Robert Johnson outet.

Populäre Musikgeschichte als Pfad der Läuterung, dieses Konzept praktiziert “Roadkill” so einnehmend wie spannend und mitunter äußerst witzig. Daniel, der lebende Tote, der ehemalige Ausbeuter und hedonistische Drecksack  entdeckt die Kraft und Relevanz der Musik wieder und bekommt die Möglichkeit als besserer Mensch dem Finale entgegen zu wanken.

Konterkarierend dazu der weltliche ‘Thrill’, der aus einer gnadenlosen Hetzjagd nach der verschwundenen Million, zahlreichen Ausbrüchen von Gewalt und dementsprechend vielen, übel zugerichteten Leichen besteht. Führt zwar dazu, dass man Daniel in einer Art ‘Richard Kimble’-Rolle auf der Flucht wiederfindet, doch bleiben die FBI-Einsatzkräfte blasse Stichwortgeber für diverse Volten und Gags. Hier erzählt Price zu wenig, spult die Krimi-Routine solide aber leicht gelangweilt runter, die übertrieben brutal ausgemalten Gewalttätigkeiten werden vorgetragen, als hätte sich Roger Corman eines Drehbuchs von Quentin Tarantino angenommen. Kein Geld für Dialoge, lieber gleich auf die Fresse. Das aber deftig!

Rock and roll can never die
Genau dies vermittelt “Roadkill” überzeugend, sprachlich schlicht aber stimmig. Die blutigen Exzesse zwischendurch hätten nicht unbedingt sein müssen; andererseits leben wir nun mal in einer mitleidlosen Welt, die Opfer allzu gerne auf den Knien kriechend sieht. Dass man genau daran etwas ändern kann, merken im Verlauf der elftägigen (»Keine zwei Wochen!«) Reise nicht nur Daniel Erickson, sondern auch sein Schatten Moog und Sprössling Zack.
Als lohnenden Bonus gibt es einen etwa zwanzigminütigen Soundtrack, bestehend aus fünf Songs, die über die Heyne-Hardcore-Seite zu “Roadkill” abgerufen werden können. Akustischer Blues, fast ein wenig zu nachdenklich und eindringlich als bloßer Romanbegleiter. Im Gegensatz zum schrundigen “Level 26” ist hier die multimediale Begleitung rundum ein Gewinn.

It’s better to burn out than to fade away
Besser noch, wenn man beides vermeiden kann.

Rock and roll is here to stay
Auch wenn er manchmal ungewaschen ist und müffelt, er lebt.

Cover © Heyne Hardcore

Wertung: 10/15 dpt


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