Die Mordkommission in Berlin unter der Leitung von Oberkommissar Wilhelm Böhm hat im März 1933 alle Hände voll zu tun, während der Kriminalkommissar Rath im heimischen Köln Karneval feiert. Am Nollendorfplatz ist ein Stadtstreicher aufgefunden worden, der mit einem langen Dolch erstochen wurde. Offenbar hat den Toten tagelang niemand bemerkt. Er ist ein Kriegsversehrter, wie es unzählige auf Berlins Straßen gibt. Der Wehrpass im Armeemantel weist den Ermordeten mit dem schlimm entstellten Gesicht als Heinrich Wosniak aus. Welche Schrecken hat der Soldat erlebt und wer trachtete ihm nach dem Leben?
Eine Spur führt zu der im Irrenhaus eingesperrten Brandstifterin Hannah Singer. Als Raths Verlobte Charly, die bei der Weiblichen Kriminalpolizei ausgebildet wird, die Sechzehnjährige befragt, bricht sie in Tränen aus. In der darauffolgenden Nacht flieht Hannah aus der Anstalt.
Der Reichstag geht in Flammen auf, und Rath wird unverzüglich aus Köln zurückbeordert, kaum dass er seinen Rosenmontagsrausch ausgeschlafen hat. Zurück in der Hauptstadt bleibt Rath wenig Zeit, sich mit dem Fall des ermordeten Veteranen zu befassen. Denn der Kommissar findet sich eins, zwei, drei bei der Politischen Polizei wieder, um Kommunisten zu verhören. Doch dann taucht der Zeuge Achim Graf von Roddeck auf, der den Ermordeten identifiziert und angibt, mit ihm im Krieg gekämpft zu haben. Der Leutnant a.D. glaubt, den Mörder zu kennen. Und kündigt an, ein Buch zu veröffentlichen, das die schändliche Tat des jüdischen Hauptmanns Engel, die nun angeblich zum Tod des treuen Kameraden führte, aufdeckt. Mit neu erwachtem Interesse liest der Kriminalkommissar den pathetisch geschriebenen Roman “Märzgefallene” und setzt sich mit der düsteren Geschichte auseinander. Auf den Spuren der abziehenden Wehrmacht während der letzten Kriegstage 1918 in Frankreich gerät Rath selbst in den Strudel von Gräueltaten, die ihn 1933 zu wenig ehrenhaften Aktionen zwingen.
Dem Verbrechen auf der Spur – dem des Mörders und denen in dieser Zeit
Der fünfte Roman der Gereon Rath-Reihe “Märzgefallene” ist mein erster Roman von Volker Kutscher. Ich weiß nicht, ob alle Krimis dieser Serie derart von dem historischen Hintergrund geprägt sind wie dieser, wage aber die Vermutung, dass dem nicht so ist. Die gerade erfolgte Machtübernahme Adolf Hitlers und die unmittelbaren Folgen prägen auf jeder Seite die Atmosphäre des Romans. Denn in diesem Handlungszeitraum, als Hitler bereits zum Reichskanzler ernannt war und die NSDAP bei den Reichstagswahlen über vierzig Prozent der Stimmen erhielt, wurden bereits Juden, Kommunisten und Sozialdemokraten von der SA verfolgt. Der Reichstag brannte ebenso wie die Bücher von Karl Marx, Heinrich Mann, Erich Kästner. Dazwischen hat Volker Kutscher einen sehr verzwickten Kriminalfall platziert, der sich ebenfalls mit einem unrühmlichen Kapitel der deutschen Geschichte beschäftigt.
“Märzgefallene” erzählt von der Veränderung der Polizeiarbeit und der Verbrechensbekämpfung während der Anfänge der Nazidiktatur, und dem Umgang der Menschen mit diesem drastischen Wandel der Zeit. Verknüpft mit einem Mordfall, der zunächst wenig mit dem Zeitgeschehen zu tun hat, und sich schließlich exakt darin wiederspiegelt.
Ein Qualitätskriterium eines historischen Romans ist natürlich, wie glaubhaft das Zeitgeschehen auf den Leser wirkt. Volker Kutscher baut viele der markanten Ereignisse, die diese Zeit prägte, in die Handlung mit ein. Allein das sorgt schon dafür, dass man sich als Leser mittendrin im historischen Geschehen fühlt. Recht häufig wechselt die Erzählperspektive und lässt uns die Ereignisse aus den Augen verschiedener Figuren betrachten, die den Leser in ihre Gedanken einweihen. Mundartliche und eine der Zeit angepasste Sprache, sowie genaue Ortsbezeichnungen tun ein Übriges, um den Leser unmittelbar in das Berlin von 1933 zu versetzen. Gerade weil die Reaktionen der Menschen aus der heutigen Perspektive betrachtet unfassbar erscheinen, naiv…
»Die Nazis schlagen doch nicht nur gegen die Kommunisten los! Hast Du auch nur den Hauch einer Ahnung, was gerade alles passiert in dieser Stadt?« […]
»Ich denke schon.«, sagte er. »Und deutlich mehr als nur einen Hauch. Aber das beruhigt sich auch alles wieder.« (S. 213)
..oder geradezu empörend,
»Wer hat uns denn diesen ganzen Schlamassel hier eingebrockt? Deine Demokratie! Weswegen haben denn die Nazis die Mehrheit im Reichstag? Wegen der ach so tollen Demokratie. Wer weiß: Wenn ihr Frauen nicht das Wahlrecht bekommen hättet anno neunzehn, wären die vielleicht gar nicht erst hochgekommen, die Nazis.« (S. 390)
wirken sie so authentisch.
Volker Kutscher vermeidet es, Gereon Rath als einen Mann mit allzu moderner Gesinnung zu zeigen, sondern verkörpert in ihm einen Typ Mensch, der zu seiner Zeit und der gutbürgerlichen Herkunft passt. Den Gegenpart übernimmt seine Verlobte Charly, die ihrerseits Akademikerin und somit ein Produkt der frühen Frauenbewegung ist. Die Serienjunkies unter den Lesern interessiert die persönliche Entwicklung der Serienprotagonisten, und auch die kommt in “Märzgefallene” nicht zu kurz. Gereon und Charly erleben eine stürmische Verlobungszeit, manchmal getrennt voneinander. Konflikte und dunkle Geheimnisse, die sicherlich noch in den Folgebänden für Dramatik sorgen werden, werfen Schatten über ihre Liebe.
Klug und vielschichtig hat der Autor den Werdegang eines Verbrechens konzipiert, dessen Täter geschickt zu täuschen weiß. Vielleicht folgt die Story etwas zu lange dem vorgezeichneten Weg, sodass sich kein straffer Spannungsbogen aufbauen kann. Der Wendepunkt des Falls kommt spät, dann aber auf großer Bühne mit einem eigenwilligen Schlussakt daher, der an ähnliche in Håkan Nessers Krimi-Reihe mit Kommissar van Veeteren erinnert.
“Märzgefallene” ist ein historischer Kriminalroman, der spannend unterhält, den Leser aber vor allem auf eine Zeitreise zum Beginn der Nationalsozialistischen Diktatur mitnimmt. Und eine Reihe von intensiven Eindrücken aus dieser Zeit hinterlässt, die kein noch so lebendiger Geschichtsunterricht vermitteln kann.
Cover © Kiepenheuer & Witsch
- Autor: Volker Kutscher
- Titel: Märzgefallene
- Teil/Band der Reihe: Gereon Raths fünfter Fall
- Verlag: Kiepenheuer & Witsch
- Erschienen: 11/2014
- Einband: Hardcover
- Seiten: 608
- ISBN: 978-3-462-04707-3
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 12/15 dpt
Ich bin großer Gereon Rath-Fan und kann versichern, dass alle Teile vor einem historischen Hintergrund spielen. Aber größeren Raum nahm die deutsche Geschichte tatsächlich erstmals im 4. Band ein, mit dem man sich geschichtlich der Machtergreifung Hitlers nähert.
“Märzgefalllene” habe ich noch nicht gelesen. Diese Rezension macht mich aber sehr neugierig. Ich werde es wohl bald lesen müssen.
Alles Liebe.
Kerstin
DANKE für den Kommentar! 🙂 Ich fand in “Märzgefallene” den historischen Hintergrund schon seeehr präsent. Wenn er nicht so faszinierend menschlich beschrieben worden wäre, vielleicht ZU präsent. Ich dachte mir halt, dass so die Reihe nicht angefangen haben kann. Dazu kommt das in dem Handlungsjahr bezüglich Etablierung der Nazi-Diktatur eben extrem viel passiert ist. Es wird auf jeden Fall sehr interessant sein, zu verfolgen, wie Volker Kutscher den historischen Schwerpunkt in den Folgebänden positionieren wird. LG, Eva