Carlo Lucarelli -Der schwärzeste Winter (Buch)

Commissario De Luca zwischen allen Fronten

Der schwärzeste Winter
© Folio

Dezember 1944. Das Zentrum Bolognas ist eine Sperrzone, in denen 500.000 Menschen und 18.000 Tiere dichtgedrängt zusammenleben. Hierhin verschlägt es Commissario De Luca, den stellvertretenden Leiter der Autonomen Gruppe der Staatspolizei. Als er noch für die Kriminalpolizei arbeitete, war er der beste Ermittler, doch inzwischen arbeitet er für die Faschisten und hat unter anderem die Aufgabe, bestimmte Morde zu vertuschen. So auch jenen an Francesco Tagliaferri, der erschlagen in einem schmalen Arkadengang aufgefunden wird. Schnell steckt De Luca dem Leichnam einen Zettel zu: „So verrecken die Faschisten.“ Spagnuolo, Sondersekretär des Provinzvorstandes, bittet De Luca zu ermitteln, denn der Ermordete war kein Antifaschist. Doch wie geriet sein Name auf eine entsprechende Liste Verdächtiger und durch wen?

Inzwischen hatte die Ausgangssperre begonnen, und es konnte jederzeit eine Patrouille mit einem nervösen Finger am Abzug auftauchen, die Schwarzen Brigaden, die Guardia Nazionale Repubblicana, auch die Deutschen, auch Partisanen, seine Leute hätten ihn zwar erkannt, doch die anderen, ein frisch rekrutierter Partisan, einer von auswärts, wenn De Luca seinen Ausweis allzu schnell gezückt und Polizei geschrien hätte, wäre ihnen eine Salve sicher gewesen.

Kurz darauf wird unweit des Tatorts eine zweite Leiche gefunden, bei der es sich um den Universitätsprofessor Franco Brullo handelt. Für Commissario Santi von der Kriminalpolizei ist der Fall schnell gelöst. Professor Lorenzo Attanasio, ein Kollege des Toten, wird festgenommen, da dieser ein Verhältnis mit Brullos Frau sowie eine zu den Schussverletzungen passende Pistole hatte. Hier schaltet sich jedoch Vicecommissario Luigi Petrarca vom Passamt ein, denn es gibt einen Zeugen, der eine Frau mit einer Pistole vom Tatort hat weglaufen sehen. Ein womöglich Unschuldiger in Haft? Das geht gegen die eisernen Prinzipien De Lucas, der erst spät erkennt, dass der verhaftete Attanasio ein gesuchter Führer der Resistenza ist.

Wenig später wird sogar eine dritte Leiche gefunden, deren Zustand an eine Mumie erinnert. Es stellt sich heraus, dass der Ermordete SS-Rottenführer Ernst Weber ist. Wehrmacht und SS drängen De Luca den Fall aufzuklären, da Weber während seiner Wachdienste seine Kameraden bestohlen hat. Wollte er desertieren? In der Börse Webers findet sich das Foto einer jungen Frau, die womöglich zur Lösung des Falles beitragen kann. De Luca bleibt eine Woche um die Frau zu finden, andernfalls sterben zehn unschuldige Menschen.

Anspruchsvolle Unterhaltung, die Krimi und Zeitgeschichte gekonnt kombiniert

„Der schwärzeste Winter“ von Carlo Lucarelli ist der sechste Band der Commissario-De-Luca-Reihe und setzt nach „Hundechristus“ an, wenngleich ein Jahr später. Im Vorgänger wird erklärt, wie De Luca zur Faschistischen Polizei kam und seitdem ein Schwarzhemd trägt. Jetzt also finden sich drei Tote in einem Abstand von rund vierhundert Metern. Dabei bedrängen gleich mehrere Seiten De Luca, wenngleich aus denkbar unterschiedlichen Interessen. So arbeitet er für die deutschen Nazis, die Faschisten und den Widerstand. Eine Quadratur des Kreises will man meinen und schon bald gerät De Luca zwischen alle Fronten. Denn natürlich wird sein Handeln mit Argusaugen beobachtet und die einzelnen Gruppierungen haben ihre Spitzel. Schnell landet De Luca in einem Wespennest voller Intriganten, zudem bleiben viele Aussagen im Ungefähren. Anspielungen hier, falschgelegte Spuren dort. Recht schnell scheint De Luca die Lösung gleich aller drei Fälle zu gelingen, doch dann muss er sich eingestehen, dass er überall falsch lag. Zurück auf Anfang. Wenn er wenigstens wüsste, wem er trauen kann?

Wenn Sie einen Anführer der Resistenza aus dem Gefängnis holen, gewinnen Sie außerdem Freunde, die Ihnen in Zukunft vielleicht nutzen können. Aber vor allem … Vor allem hätten Sie, der sie immer sagen, Sie seien ein Polizist, die Gelegenheit zu entscheiden, was für ein Polizist Sie sein wollen.

„Der schwärzeste Winter“ ist ein anspruchsvolles und teilweise anstrengendes Buch, denn die vielen Gruppen und Personen wollen auseinandergehalten werden. Der Umstand, dass Lucarelli auf jegliche Anführungszeichen verzichtet, macht es dem Leser nicht unbedingt einfacher. Neben dem vertrackten Krimiplot wird Bologna gegen Ende des Zweiten Weltkrieges lebhaft vorgestellt. Gleiches gilt für die brutalen Methoden der Deutschen, der Faschisten und des Widerstands.

Sollten Sie eine Unregelmäßigkeit finden, die man den Schwarzen Brigaden, Paglianis Pappalardo-Brigade oder Tortis Facchini-Brigade oder auch dem Politbüro der Guardia Nazionale Repubblicana unter Capitano Serrantini anlasten kann, freuen wir uns, das zu erfahren.

Folter ist keine Seltenheit und wenngleich De Luca sich selber nie die Hände schmutzig macht, so bleibt er doch ein ambivalenter Charakter mit dem man nur teilweise warm wird. Wie er sich allerdings durch das Labyrinth von Lügen und Intrigen durchwuselt, verlangt Respekt ab. Dass De Luca an der einen oder anderen Stelle nicht durchblickt verwundert wenig, dem Leser geht es genauso. „Der schwärzeste Winter“ kann man nicht mal eben so zwischendurch lesen. Wer sich dennoch darauf einlässt, liest einen gut konstruierten Krimiplot mit interessanten Einblicken in die Geschehnisse in Bologna im vorletzten Kriegsjahr.

  • Autor: Carlo Lucarelli
  • Titel: Der schwärzeste Winter
  • Originaltitel: L’inverno più nero. Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl
  • Verlag: Folio
  • Umfang: 317 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: September 2021
  • ISBN: 978-3-85256-836-2
  • Produktseite


Wertung: 12/15 dpt

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