Luise Boege – Kaspers Freundin (Buch)


Luise Boege - Kaspers Freundin (Cover © Reinecke & Voß)Den Inhalt von “Kaspers Freundin” zusammenzufassen ist eigentlich nicht schwer, jedoch unmöglich, wenn man es intuitiv verständlich aufbereiten möchte. Was in dem Buch geschieht, geschieht ohne Grund. Es ist genauso sinnlos, das Buch bewerten zu wollen, wie es sinnlos ist, das Buch lesen zu wollen. Was geschieht also in einer Welt außerhalb des Sinns? Was geschieht in einer Welt ohne Motivation? Wer sich das fragt, sollte zu Luise Boeges Debüt greifen. Die textuelle Inszenierung ist dabei durchaus geschickt und innovativ, muss aber auch konsequenterweise lustlos genannt werden.

Obwohl Boege die grundlegendsten Regeln zur Definition eines erzählenden Textes überschreitet, gibt es zwei Strukturen, anhand derer sich etwas wie eine Geschichte entspinnen kann. Es gibt eine Protagonistin und es gibt Geschehnisse. Auf eine konsistente Perspektivierung, Duden-Deutsch, Anführungsstriche oder einen Fließtext sollte man hingegen nicht hoffen. Nach einer kleinen, ziemlich unangenehmen Eingewöhnungsphase lässt sich der Text aber sehr schön lesen, ähnelt einer terra incognita, die man zum eigenen, gemütlichen (Lese-)Zuhause machen kann. Grundsätzlich ist der Stil aber sehr offen, man könnte ihn auch komisch finden, skurril, surreal, auch zynisch oder gemein. In den schlechteren Momenten erscheint das belanglos; in den besseren als Spiegel der eigenen Gewohnheiten und Empfindungen.

Es wäre jedoch obsolet, zur Bewertung traditionelle Maßstäbe der Literaturkritik anzuwenden, was ein Grund dafür sein könnte, dass das Buch gerne als exemplarischer Stellvertreter einer neuen, jungen Literatur gesehen wird (etwa in der taz). Man könnte es aber auch dabei belassen, das Buch einen ‘Stellvertreterroman’ zu nennen – Epochales und Literarisches wird zwar aufgerufen, dient aber lediglich zur Bestimmung eines eigentlich fremden Gegenstandes. Ungefähr so, wie auch die Protagonistin des Buches ausschließlich „Kaspers Freundin“ genannt wird – sich über etwas Männliches definiert, das eigentlich weit weg sein sollte. Denn das junge Pärchen hat sich zum Herbst getrennt; der in Anspielung auf einige Klassiker den Anfang der Geschichte darstellt.

Von hier aus lässt sich die Erzählung schnell zusammenfassen: Kurz nach der Trennung stirbt Kaspers Großvater, woraufhin Kasper in dessen Haus zieht und einem unbekannten Mann, der ‘violetter Herr’ genannt wird, seine Geige verkauft, um vom Erlös zu leben. Währenddessen hat Kaspers (Ex-)Freundin eine Liaison mit Joseph, von dem sie sich bald trennt und wieder zu Kasper zieht. Beide haben aber weder Geld noch Ausbildung, nur Kasper hatte als Kind Geigenunterricht und bekommt von einem obskuren Verein das Angebot, in einem Orchester für gutes Honorar zu spielen. Kasper und seine Freundin versuchen daher, die Geige wiederzubekommen.

Um das Buch bewerten zu können, nimmt man statt abgegriffener Werte besser das Buch selbst zur Hilfe. An einer Stelle etwa sagt der violette Herr zu Kasper: »Ich wollte Sie bitten, den Fernseher auszuschalten. Es stört mich zwar nicht, aber, naja. Irgendwie doch.« Das Zitat steht auf den ersten Seiten des Buches (S. 17) und hat sich ein wenig schattenartig über meine Lektüre des Buches gelegt: Was der violette Herr über den Fernseher sagt, trifft auch auf “Kaspers Freundin” zu: Es stört mich nicht, aber die Zeit hätte ich mir auch sparen können. Es ist schön, dass Boege mit Zeilenbrüchen spielt, Ideale unterwandert und vielleicht sogar ein Lebensgefühl der Macht- und Lustlosigkeit ausdrückt, dass bei bürgerlichen jungen Leuten (wie mir) vorhanden ist. Aber wenn etwas sinnlos ist und man es nicht tun will – dann könnte man es auch einfach sein lassen.

Na ja, irgendwie habe ich das aber nicht getan.

Cover © Reinecke & Voß

  • Autorin: Luise Boege
  • Titel: Kaspers Freundin
  • Verlag: Reinecke & Voß
  • Erschienen: 2015
  • Einband: Softcover
  • Seiten: 232
  • ISBN: 978-3-942901-13-0
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite
    Erwerbsmöglichkeiten
    Bestellbar unter info[at]reinecke-voss.de (14€)

Wertung: 10/15 dpt


1 Kommentar
  1. Also, wen der Mangel an Monoperspektive, Dudendeutsch, Anführungsstrichen und Fließtext schon derart aus der Bahn wirft, dass seinen Ohren bloß noch kleine sinnlose Wölkchen entsteigen, der sollte vielleicht ein zweites Mal überlegen, ob “Vorliebe für Avantgardistisches” die passende Angabe im Profil ist. In einer Terra incognita braucht es offenbar andere Orientierungsstrategien als ein Marcopoloreiseführer sie bereit hält. Richtig scheint es hingegen, statt traditioneller Maßstäbe der Literaturkritik, mit denen vermutlich das dreiste Überstülpen normativer Korsette gemeint ist, den Maßstab der Kritik aus dem Buch selbst herauszulesen. Dann aber bloß den Satz einer Figur rauszupicken, der das eigene Desinteresse und Unverständnis ausdrückt, ist jedoch wieder sehr lame.

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