Es gibt ja Menschen, die behaupten, Disney hätte ihnen ein unrealistisches Bild von Liebe vermittelt. Das ist natürlich kindisch und höchst albern. Völlig wahr und absolut ernst gemeint ist dagegen die Feststellung, dass britische Schauspieler den Zuschauer*innen ein falsches Bild von Männlichkeit vermitteln. Dieses beinhaltet Maßanzüge, Cocktails, teure Autos und ausgewählte Höflichkeit (gern auch gepaart mit irrer Bosheit).
Stellen wir uns alle für einen kurzen Moment den Archetypen britischer Männlichkeit vor. Nein, nicht Prince Charles, obwohl er natürlich auch einer sein könnte, wenn man den Durchschnittsbriten im Rautenpullunder auf dem Sessel vor dem Kamin meint. Also noch ein Versuch: Ecce heros! James Bond. Und nun denken wir uns diesen James Bond etwas jünger, weicher im Charakter, unüberlegter, aber auch grausamer. Das ist Jonathan Pine, der Nachtmanager.
In acht Episoden (jeweils ca. 45 Minuten) adaptierten BBC und AMC in gemeinschaftlicher Produktion den bereits 1993 veröffentlichten, gleichnamigen Roman des Spionagealtmeisters John le Carré.
Jonathan Pine ist Nachtmanager eines Hotels und gerät mehr oder weniger zufällig in die Rolle des Spions, der zur Zeit des Arabischen Frühlings den inneren Kreis des Waffenhändlers Richard Roper infiltriert. Unterstützt von kleineren Abteilungen britischer und amerikanischer Geheimdienste soll Pine Beweise für Ropers illegale Geschäfte sammeln. Natürlich verfällt er fast augenblicklich der Geliebten Ropers, einer klassischen Jungfrau in Nöten.
Schon das Geheimdienstsetting und die britische Beteiligung an der Produktion drängen den Vergleich mit einem anderen Gentleman im Auftrag von Königin und Krone auf, aber trotz aller Ähnlichkeiten schafft es „The Night Manager“, eine ganz eigene Erzählart zu entwickeln.
John le Carrés Buchvorlage ist deutlich düsterer und melancholischer als die von Ian Flemming geschaffene Welt. Gleißender Luxus und sonnenüberflutete Schauplätze an alle Küsten des Mittelmeers vermögen nicht darüber hinwegzutäuschen, dass Jonathan Pine alles andere als ein James Bond ist. Er verliebt sich in Frauen und hasst seine Feinde von ganzem Herzen, wodurch er zu dummer Unvorsichtigkeit wie zu kalter Grausamkeit gleichermaßen bereit ist.
Tom Hiddleston verkörpert Jonathan Pine über weiter Strecken der Handlung sehr überzeugend und mit minimalen Mittel: ein in der Nahaufnahme eingefangenes Zucken der Augenbrauen, ein überbreites, schmerzhaft falsches Grinsen oder zartes, ehrliches Lächeln. Einzig das Leiden an der vorzeitig verlorenen Geliebten geht in den zurückhaltenden Ausdrücken etwas verloren, weshalb der Durst nach Rache lange Zeit wie eine Behauptung wirkt.
In Hugh Laurie findet Hiddleston einen schauspielerisch absolut ebenbürtigen Partner. In der Rolle des Richard Roper weicht Laurie deutlich vom klassischen Weltvernichtungsschurken ab. Genau wie Pine ist Roper viel dunkler, pragmatischer und böser als die Irren, die die Welt James Bonds bevölkern, auch wenn „The Night Manager“ nicht ganz so arm an Farbsättigung wie seinerzeit „Dame, König, As, Spion“ daherkam. Lauries Schurke ist ein Geschäftsmann, dessen Stimme vor Wut beben kann, der ausrastet, wenn sein Coup misslingt und der noch kurz vor seinem vermeintlichen Ende tobt wie ein angeschossenes Raubtier; eine unterhaltsame, beängstigende und sehr überzeugende Performance.
Erfreuliche Modernisierungen erfuhr „The Night Manager“, dessen Handlungszeit vom Kalten Krieg der Buchfassung in den Arabischen Frühling der Serie verlegt wurde, bei den Nebenfiguren: Pines Vorgesetzter beim Geheimdienst Leonard wurde Angela Burr, eine ziemlich schwangere und ziemlich toughe Person, die von Olivia Colman mit scheinbar unbritischer, jedenfalls aber ungeheimdienstlicher Wärme gespielt wird. Ebenfalls spannend: Major Lance Corkoran (wunderbar verkörpert von Tom Hollander) – ein gemeiner Killer mit Hang zum Alkoholismus und sehr offen schwul (was im Zusammenhang der Serie aber kein Problem darstellt). Merke, Homosexuelle können nicht nur einfühlsame beste Freunde, durchtrainierte Priester oder weinerliche Typen, sondern eben auch ausgesprochen schlechte Menschen sein. So viel Vielfalt und Mut zur Verschiedenheit wünscht man auch dem nächsten Bondfilm.
Neben Figurenpersonal und Besetzung beweisen die Macher*innen von „The Night Manager“ auch bei Schnitt und Kamera Experimentierfreude. Bereits das Vorspanndesign gibt mit seinen fließenden und ineinander übergehenden Bildern einen Vorgeschmack auf die Optik der Serie. Interessante Schnitte, viele Nahaufnahmen, spannende Perspektiven, bei denen das Entscheidende stets außerhalb des Bildhorizontes zu liegen scheint. Es ist ein Spiel mit dem, was nicht zu sehen, oder was (noch) nicht erzählt wird. Die Serie nimmt sich Zeit, ihren Stoff zu entwickeln und widmet dem Aufbau von Pines falscher Identität etwa eine ganze Folge.
Die Musik von Victor Reyes passt sich nahtlos in diese teilweise fragmentarische Optik und das manchmal ungewohnt langsame Erzähltempo ein. Zuweilen erinnert sie allerdings stark an Alexandre Desplats Soundtrack zu den letzten beiden Harry-Potter-Teilen.
„The Night Manager“ ist gut produziertes und umgesetztes Hochglanz-TV-Vergnügen für Freund*innen guter und spannender Agentengeschichten à la James Bond, auch wenn man Jonathan Pine nur auf den ersten Blick mit 007 verwechseln kann.
Cover & Szenenbilder © Concorde Home Entertainment
- Titel: The Night Manager
- Originaltitel: The Night Manager
- Staffel: 1 (zur Zeit noch Miniserie)
- Episoden: 13 (je ca. 45 Minuten)
- Produktionsland und -jahr: GB/USA, 2016
- Genre:
Spionagethriller, Drama, Miniserie
- Erschienen: 21.04.2016
- Label: Concorde Home Entertainment
- Spielzeit:
338 Minuten auf 3 DVDs
344 Minuten auf 2 Blu-Rays - Darsteller:
Tom Hiddleston
Hugh Laurie
Olivia Colman
Tom Hollander
Elisabeth Debicki
David Harewood
- Regie: Susann Bier
- Drehbuch:
David Farr
John le Carré - Kamera: Michael Snyman
- Musik: Victor Reyes
- Extras:
Auflistung der Extras, ggf. mit Gesamtlänge selbiger. - Technische Details (DVD)
Video:
Sprachen/Ton: D, GB (5.1 DTS), D (DD 2.0)
Untertitel: D
- Technische Details (Blu-Ray)
Video:
Sprachen/Ton: D, GB (5.1 DTS-HD), D (2.0 DTS-HD)
Untertitel: D - FSK: 12
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Erwerbsmöglichkeiten
Wertung: 12/15 dpt