Zoë Beck – Die Lieferantin (Buch)


Zoë Beck - Die Lieferantin (Cover © Suhrkamp)«Sie kannten von ihrer Auftraggeberin nur den Decknamen, TheSupplier, die Lieferantin, und das reichte ihnen.»

London in naher Zukunft. Eine Dealerin namens „TheSupplier“ bringt die Unterwelt in Aufruhr. Sie hat den perfekten Weg gefunden, ihre Ware an den Mann zu bringen – sauber, anonym, schnell, spurlos. Mithilfe von Drohnen wird der Stoff innerhalb kürzester Zeit an die Käufer geliefert, ganz ohne Risiko. Nach dem Tod eines Drogenhändlers und dem Verschwinden eines Schutzgelderpressers weiß Ellie Johnson, die Lieferantin, dass auch sie auf der Abschussliste steht. Die Drogenbosse wollen Ellie tot sehen und sich ihr ausgefuchstes Geschäftsmodell unter den Nagel reißen. Die junge Frau nimmt den Kampf gegen ihre Verfolger auf.

Eines ist sofort klar: Zoë Beck kann schreiben (da sie schon lange zu den festen Größen in der deutschen Thriller-Landschaft zählt, ist das allerdings kaum ein Geheimnis). Sicherlich ist ihr Stil etwas speziell, dabei aber ungeheuer flüssig. Sie versteht es, den Leser sofort in die Handlung zu ziehen und von Beginn an Atmosphäre zu erzeugen. Was sie beschreibt, könnte nicht aktueller sein. Nach dem Brexit herrscht in England Chaos, die „Rotweißblauen“ wüten mit ihrem offenen Rassismus durch die Straßen. Der nächste Schritt soll der „Druxit“ sein, der bewirken würde, dass Abhängige – egal welcher Art – keinerlei medizinische und soziale Hilfe mehr bekämen. Die Gegenbewegung zum Referendum fordert die Legalisierung aller Drogen, weil jeder selbst bestimmen sollte, was er mit seinem Körper anstellt. Bis dahin wird nicht nur auf der Straße, sondern vor allem im Darknet gedealt. Die Währung: BitCoins.

Die Charaktere, die wir durch dieses unruhige London begleiten, sind vielfältig, differenziert und interessant gezeichnet. Auf der einen Seite stehen starke Frauen, wie die Hauptfigur Ellie, die nicht nur clever, sondern auch taff ist und sich von der männlich dominierten Drogenwelt nicht einschüchtern lässt, oder Mo, die es als Schwarze alles andere als leicht hat und sich – unter Einhaltung selbst auferlegter Regeln – mit Drogen betäubt, letztendlich aber immer wieder aufsteht und weiter kämpft. Auf der anderen Seite finden wir eine Reihe ganz unterschiedlicher Männer. Da ist der alternde Patriarch, dem die neue Technik zunehmend fremd ist, sein jüngster Sohn, der unsicher, etwas naiv und zunächst unwillig versucht, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, der gutmütige Barkeeper, dem seine Schutzgeldzahlungen über den Kopf wachsen. Auch wenn die Charaktere durchweg vielschichtig dargestellt sind und sich durch das gesamte Buch hinweg entwickeln, fehlt es ihnen etwas an Tiefe. Sie sind allesamt kaum greifbar und man kann nicht wirklich hinter ihre Fassaden blicken. Dies passt aber optimal zum Plot und wird insbesondere den Hauptfiguren gerecht.

Beck lässt ihre Protagonisten in verschiedenen Handlungssträngen agieren. Dies ist zunächst natürlich nichts Besonderes, was aber bemerkenswert ist, ist die Art und Weise der Verknüpfung. Zum Teil schon recht früh und meist ohne großes Tamtam werden sie wie selbstverständlich zusammengeführt. Die Verbindungen scheinen ganz von allein zu entstehen, wirken weder erzwungen noch konstruiert. Auch Details werden sehr geschickt integriert. Wirken sie zunächst noch unscheinbar oder banal, erschließt sich ihre Bedeutung erst viel später im Verlauf. Immer wieder wird deutlich, dass scheinbar zufällige Begebenheiten manchmal weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen. Insgesamt wartet das Buch mit einer Reihe von Beispielen dafür auf, welche Auswirkungen die Handlungen einzelner Menschen haben können. Wie Dominosteine, die einmal angestoßen unaufhaltsam kippen, lösen unbedachte Taten schwerwiegende Folgen aus – das müssen einige Charaktere schmerzlich erfahren.

Wie schon erwähnt, fällt Zoë Becks Schreibstil ganz besonders positiv auf. Mit einer klaren, flüssigen Sprache, die weit davon entfernt ist banal zu sein, sondern überaus ausgefeilt ist, erzählt sie ihre Geschichte auf packende Weise. Kurze, abgehackte Sätze wechseln sich mit verschachtelten Konstruktionen ab. Auch Dialoge sind nicht gestelzt, sondern authentisch dargestellt. Man hat das Gefühl, tatsächlich den verschiedenen Gesprächen zu lauschen. Die wortgewandte Erzählweise treibt die Handlung voran und passt sich ihr immer wieder an.

Ein waschechter Thriller ist „Die Lieferantin“ allerdings nicht. Ein Spannungsroman, ja! Der Plot nimmt sich etwas Zeit, um sich zu entfalten, und doch fehlt es dabei nicht an Tempo. Ebensowenig wie an einer guten Portion Action, so mancher Überraschung und auch dem nötigen Drama. Aber richtiger Nervenkitzel kommt in dem Sinne nicht auf.

Fazit: „Die Lieferantin“ ist ein hochaktueller Roman, der insbesondere durch seine ausgefeilte Sprache, die interessanten Charaktere und die brisante Themenwahl besticht. Die nahe Zukunft ist düster – und leider nicht unvorstellbar. Zoë Beck entwirft ein glaubwürdiges, rundes Szenario, das einen bitteren Beigeschmack hinterlässt und zum Nachdenken anregt. Zwar ist „Die Lieferantin“ nicht unbedingt ein Thriller, aber zweifellos eine spannende, temporeiche Geschichte ohne Längen.

Cover © Suhrkamp

Wertung: 13/15 Drogenlieferungen


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