«Nur drei Tage nach dem Shankill Road Anschlag wird der Attentäter beerdigt. Er war Mitglied der IRA und hat Unschuldige in den Tod gerissen. Trotzdem oder gerade deshalb bekommt er ein ehrwürdiges Begräbnis. Für die Protestanten dieser Stadt mag er ein Monster sein, für seine katholischen Freunde ist er ein Held.»
Protestanten gegen Katholiken: Im Jahr 1993 ist der Nordirlandkonflikt noch in vollem Gange. Mittendrin versucht Ryan als Sanitäter fußzufassen. Eines Nachts wird er mit seinem Kollegen zu einem Einsatz am Bahnhof gerufen. Als sie einen toten Polizisten finden, eskaliert die Situation – Ryans Kollege wird von einem zweiten Polizisten erschossen, auch Ryan wird von einer Kugel getroffen. Bevor er das Bewusstsein verliert, sieht er einen alten Mann, der ihm zu helfen versucht. Nachdem Ryan im Krankenhaus erwacht, setzt er alles daran, seinen Retter zu finden. Er ahnt nicht, in welche Gefahr er sich damit begibt.
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Zwischen 1969 und 1998 spaltete der Nordirlandkonflikt das Land in zwei Lager. Protestanten und Katholiken bekriegten sich bis aufs Blut. A. K. Amherst siedelt ihren Thriller in dieser Zeit voller Gewalt und Hass an und baut ihre Geschichte auf wahren historischen Ereignissen auf. Ryan, der Hauptcharakter und Ich-Erzähler, ist Protestant und Mitglied einer Bruderschaft, wünscht sich aber, dass endlich Friede herrscht. Als er seinen Retter, Adam, findet, geschieht genau das, was er bislang immer zu vermeiden versucht hat: Er gerät zwischen die Fronten und findet sich in einem erbitterten Kampf zwischen Unionisten und Republikanern wieder.
Die Handlung wird aus Ryans Sicht erzählt. Wir begleiten ihn zu dem Einsatz, der sein Leben verändert, gehen mit ihm auf die Suche nach Adam und durchschauen mit ihm die Strukturen der IRA (Irisch-Republikanische Armee). Wir sehen das Geschehen durch seine Augen und erleben, wie es ihn verändert, welchen Einfluss es auf seine Persönlichkeit nimmt. Diese schrittweise Entwicklung ist sehr authentisch und nachvollziehbar dargestellt. Der eigentlich eher zurückhaltende, freundliche Ryan wird durch den Mordversuch und die darauffolgenden Ereignisse stark gezeichnet. Was er erlebt, macht ihn härter, unnachgiebiger und bringt seinen Wunsch nach Frieden ins Wanken.
Neben dem Hauptstrang rund um Ryan und Adam geben einige Nebenstränge einen tieferen Einblick in Ryans Leben. Das ist zwar interessant zu lesen, aber stellenweise auch etwas zu viel des Guten – zum Beispiel in Bezug auf die eingestreute Liebesgeschichte, die nicht direkt stört, den Plot aber auch nicht nennenswert voranbringt. Aufgrund der ohnehin schon so vielseitigen Handlung hätte es die eine oder andere Verzweigung nicht gebraucht. Die Spannung flacht aus diesem Grund immer wieder etwas ab, bevor sie erneut an Fahrt aufnimmt.
Unterbrochen werden Ryans Erzählungen von Einblicken in Adams Jugend, die uns – und Ryan – verstehen lassen, wie er zu dem Mann wurde, der er heute ist. Seine Geschichte macht vieles greifbarer und lässt uns Verständnis für ihn aufbringen.
Die Charaktere sind hier weder ausschließlich „gut“ noch ausschließlich „böse“. Sie alle verfügen über unterschiedliche Facetten und haben ihre ganz eigenen Beweggründe für ihr Handeln. Jeder sieht sich im Recht und findet Rechtfertigungen für seine Taten. Gewalt wird in diesem Konflikt grundsätzlich mit Gegengewalt bekämpft. Der einzige, der dieses Muster zu durchbrechen versucht, ist Ryan – doch auch ihm gelingt es nicht. Macht man sich beim Lesen bewusst, dass die Ereignisse nicht ausschließlich der Fantasie der Autorin entsprungen sind, sondern sich auch in der Realität so oder ähnlich zugetragen haben, erschreckt diese sture, blinde Brutalität umso mehr.
Sprachlich ist die Geschichte nicht immer hundertprozentig rund, insgesamt aber sehr gut und flüssig zu lesen. Die Ich-Perspektive macht den Leser zu einem Teil der Handlung und der nüchterne, nachdenkliche, beobachtende, manchmal abschweifende Stil passt wunderbar zu Ryan und seiner Entwicklung. Die Abschnitte zu Adams Jugend sind nicht nur formal, sondern auch stilistisch deutlich vom Hauptteil abgegrenzt.
„Belfast Central“ in ein Genre einzuordnen, ist schwierig. Es gibt durchaus spannende Thriller-Elemente, zugleich lesen wir hier aber in erster Linie einen eindringlichen Roman über den Nordirland-Konflikt, gespickt mit zahlreichen historischen Fakten. Daneben ist es eine Familiengeschichte sowie eine Geschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft. Zweifellos ein vielschichtiges Werk mit einer Grundthematik, die nicht leicht zu verdauen ist.
Fazit: „Belfast Central“ ist eine spannende Mischung aus Fiktion und realen historischen Ereignissen, die pünktlich zum 20. Jahrestag der Beendigung des Konflikts erschienen ist. Die Autorin hat die brodelnde Atmosphäre sehr überzeugend transportiert, sodass man als Leser das Gefühl hat, selbst zwischen den Fronten zu stehen und die rohe Gewalt fassungslos zu beobachten. Die Geschichte um Ryan und Adam macht deutlich, wie tragisch und sinnlos dieser Konflikt war. Wer sich für Nordirland und seine bewegte Vergangenheit interessiert, wird dieses Buch gerne lesen.
Wer mehr über das Buch, die Figuren und die Hintergründe erfahren möchte, findet auf der Website der Autorin (Link unten) zahlreiche interessante Informationen.
Cover © A. K. Amherst
- Autor: A. K. Amherst
- Titel: Belfast Central
- Verlag: Selbstverlag
- Erschienen: 04/2018
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 532
- ISBN: 978-3-990-70222-2
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 11/15 mutige Sanitäter
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